Von allen Bildern, die im Zusammenhang mit Familienunternehmen gern bemüht werden, ist das vom „Rückgrat“ der deutschen Wirtschaft wohl das beliebteste. Wenn es nach der deutsch-schwedischen AllBright Stiftung geht, kommt in diesen Tagen ein neues Bild hinzu. Für einen aktuellen Bericht hat sie erhoben, wie es um Frauen in der Führung von Familienunternehmen steht. Kurz gesagt: Bei Diversität und Chancengleichheit in der Wirtschaft sind familiengeführte Unternehmen ein echter Bremsklotz.
Für den Bericht hat die Stiftung die Geschäftsleitungen der 100 umsatzstärksten deutschen Familienunternehmen auf ihre Zusammensetzung hin untersucht. Pate für die Definition von Familienunternehmen steht dabei die jährlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichte Liste „Die 100 Größten“. Zudem zeigt der Vergleich zum ersten Bericht aus dem Jahr 2020 die Entwicklung der vergangenen zwei Jahre auf. Das Ergebnis ist unerfreulich. Zum Stichtag des 1. März 2022 liegt der Frauenanteil in den Geschäftsführungen und Vorständen der untersuchten Unternehmen bei 8,3 Prozent, das entspricht einem Zuwachs von nur 1,4 Prozentpunkten. Weniger als ein Drittel hat überhaupt eine Frau in der Geschäftsführung. Betrachtet man von den 100 größten nur die 70 Unternehmen, die zu 100 Prozent in Familienbesitz sind, fällt das Ergebnis noch schlechter aus: Hier liegt der Frauenanteil in den Geschäftsführungen nur bei 4,8 Prozent, im Vergleich zu 2020 liegt das Wachstum bei null.
Börsennotierte Unternehmen stechen Familienunternehmen
Bei den 19 Familienunternehmen hingegen, die wie BMW, Henkel und Continental börsennotiert sind, sind 16,4 Prozent der Vorstände Frauen. Das stützt die These der Studienautoren, dass mit der höheren Verpflichtung zur Transparenz von börsennotierten Unternehmen auch die Anzahl der Frauen in der Führung steigt. Zum Vergleich: Unter den 160 an der Frankfurter Börse notierten Unternehmen des DAX, MDAX und SDAX liegt der Frauenanteil bei 14,3 Prozent (4,3 Prozentpunkte Zuwachs) – und auch das ist laut den Autoren im internationalen Vergleich ungewöhnlich wenig.
Wie kommt es zu diesem Ergebnis? An einer geringeren Anzahl an frei gewordenen Stühlen auf Seiten der Familienunternehmen liegt es offenbar nicht: Sowohl dort als auch bei den 160 an der Frankfurter Börse notierten Unternehmen lag der Anteil der Wechsel in Vorstand und Geschäftsführung bei knapp 30 Prozent. Auch der Rücksicht auf familiäre Konstellationen beziehungsweise Nachfolgekandidaten ist die Entwicklung offenbar nicht geschuldet: Bei der Mehrzahl der 100 untersuchten Familienunternehmen stehen angestellte Geschäftsführer allein oder gemeinsam mit einem Familienmitglied an der Spitze. Von den seit 2020 neu rekrutierten 126 Personen kamen nur zwei aus den Eigentümerfamilien, alle anderen Kandidaten sind Familienexterne. „Familienunternehmen schöpfen ihr Führungspersonal im Wesentlichen aus demselben Pool wie die Börsenunternehmen“, sagt Dr. Wiebke Ankersen, Co-Geschäftsführerin der AllBright Stiftung. „Sie treffen aber eine andere Wahl.“ Woran liegt das?
Das durchschnittliche Geschäftsführungsmitglied in den 100 größten Familienunternehmen ist fast immer männlich (92 Prozent), deutsch (87 Prozent), Jahrgang 1967 und mehrheitlich in Westdeutschland ausgebildet (79 Prozent). Bei den Qualifikationen liegen die Wirtschaftswissenschaftler (47 Prozent) an der Spitze, gefolgt von den Ingenieuren (33 Prozent). Viele dieser Eigenschaften spiegeln sich auch bei den Neubesetzungen, die ebenfalls mit größter Mehrheit männlich (88 Prozent), deutsch (89 Prozent) und in Westdeutschland ausgebildet sind (84 Prozent).
Das Stefan-Problem
Dabei reicht die Ähnlichkeit bis in Bereiche, die auf den ersten Blick fast absurd anmuten: Der häufigste Vorname in den Geschäftsführungen der Familienunternehmen ist Stefan – der Vorname ist seit Anfang der sechziger Jahre für rund zwei Jahrzehnte zuverlässig unter den Top 5 der beliebtesten deutschen Vornamen zu finden. Zugleich sind bei den Neurekrutierungen der Unternehmen in Familienbesitz insgesamt mehr Menschen mit dem Vornamen Stefan vertreten (7, plus ein Steven) als Frauen insgesamt (5). „Menschen neigen dazu, offene Stellen mit Kandidaten zu besetzen, die ihnen selbst sehr ähnlich sind“, sagt Ankersen. Bei Börsenunternehmen sei das zuletzt ins Stocken geraten, es werde weiblicher und internationaler rekrutiert. Aber: „In den Familienunternehmen ist dieser alte Kreislauf noch intakt.“
Damit rückt der Fokus automatisch auf den Gesellschafterkreis beziehungsweise das Aufsichtsgremium, wo über die Neubesetzung von Chefposten entschieden wird. Es zeigt sich: In 40 der 100 Familienunternehmen sind weibliche Familienmitglieder im Kontrollgremium vertreten. Davon wiederum haben 60 Prozent auch eine Frau in der Geschäftsführung. Bei den 60 Unternehmen ohne weibliches Familienmitglied im Aufsichtsorgan haben nur 13 Prozent eine geschäftsführende Frau.
Wo ist Sabine?
Womöglich liegt hier das eigentliche Problem: Familienunternehmen denken in Generationen, das gilt auch in Gesellschafter- und Aufsichtsgremien. Wenn aber der Wechsel auf Familienebene erst nach einer ganzen Generation erfolgt, kann Veränderung nur in Schleichgeschwindigkeit geschehen. Für Sabine, Sandra und Nicole – analog zu Stefan die beliebtesten weiblichen Vornamen der sechziger und siebziger Jahre – ist der Zug wohl bereits abgefahren, und auf Anna, Lisa und Julia als Familienvertreterinnen im Aufsichtsgremium müssen wir womöglich noch etwas warten.
Wer sich bis dahin nicht gedulden will, sollte sich fragen: Können nicht auch familienexterne Frauen im Aufsichtsgremium eine transformierende Funktion haben? Das könnte schneller gehen – und wäre womöglich Stoff für eine neue Untersuchung.