In rheinischen Wirtschaftskreisen ist er bestens bekannt. Aber auch die Mitglieder der Königsfamilien in Phnom Penh oder Kathmandu kennen den weißhaarigen Doctor Kill. Der Bensberger Unternehmer hat seinen Wirkungskreis erweitert. Winfried Kill gründete im Jahr 1989 die heute börsennotierte Indus Holding AG, eine Mittelstands-Holding, zu der aktuell 42 mittelständische Unternehmen gehören. Als Privatperson hat sich Winfried Kill noch an zahlreichen weiteren Unternehmen beteiligt. Kill hat das „Sammeln von Unternehmen“ in Deutschland zum Geschäftsmodell gemacht, lange bevor angelsächsische Investoren den deutschen Mittelstand als Geldanlageobjekt für sich entdeckten.
Aus dem operativen Geschäft der Indus hat Kill sich 2002 zurückgezogen. Aber nur so weit, wie sich ein Gründer und Patriarch alter Schule eben zurückziehen kann. Sein Büro bei Indus unterhält er weiterhin. Über die wichtigen Entscheidungen ist er selbstverständlich informiert. Der Draht zum Vorstandvorsitzenden Ruwisch ist zweifellos kürzer, als er zum Aufsichtsratsvorsitzenden üblicherweise ist. An Arbeit mangelt es Kill seit seinem Rückzug aus dem Vorstand nicht. Er stürmt regelrecht in das helle Büro in dem modernen Bensberger Anwesen, dem Sitz der Indus. Am Vortag erst ist er aus Kambodscha zurückgekommen. Den Jetlag merkt man ihm nicht an.
„Wie machen wir das jetzt am effizientesten?“, fragt er laut, während er in seinem Büro hin und her läuft und Dokumente über seine Hilfsprojekte zusammensucht. Endlich sitzt er still und beginnt zu erzählen. Nur kurz zur Vorgeschichte der Stiftung. Ein tragischer Fahrradunfall vor 13 Jahren. Einfacher Sturz auf den Asphalt. Einfach, aber entsetzlich unglücklich. Seine Tochter, Sonja Kill, ist sofort tot. Winfried Kill hat gelernt, die Geschichte zu erzählen, weil sie zur Sonja-Kill-Stiftung gehört und weil die Stiftung wichtig ist, um die Tochter weiterleben zu lassen.
Die Zeit heilt keine Wunden
Ein übergroßes Portrait der damals 21-jährigen Sonja Kill dominiert sein Büro. Die strahlende junge Frau auf dem Foto ist im Raum fast physisch präsent. Sie hat Pferde geliebt. Sie war eine gute Springreiterin. „Die Zeit heilt nicht alle Wunden“, sagt Kill: „Man lernt nur mit der Zeit, damit zu leben.“
Das tun Winfried Kill und seine Frau unter anderem durch die Stiftungsarbeit. Vor 13 Jahren gegründet, hat sich die Sonja-Kill- Stiftung zum Ziel gesetzt, Kindern zu helfen, die unverschuldet in Not geraten sind. Die drei größten Förderprojekte sind die Unterstützung der nepalesischen Organisation Maiti Nepal, die gegen Menschenhandel und Kinderprostitution in Nepal vorgeht, die Errichtung einer Schule in einem Armenviertel Rio de Janeiros und jüngst der Bau eines Kinderkrankenhauses im Süden von Kambodscha. Kill geht weite Wege, um zu helfen: „Natürlich kann man auch hier vor Ort helfen. Aber die Armut hier ist nicht vergleichbar mit der in Nepal oder Kambodscha. Armut in Deutschland ist verglichen damit Armut auf hohem Niveau“, sagt er. Der Ton ist bestimmt. Seine Erzählweise ist ein wenig ungeduldig.
Mehr Zufall als Plan
Hat der Tod seiner Tochter in Winfried Kill ein grundsätzliches Umdenken bewirkt? Er winkt ab: „Wir hätten uns ohnehin sozial engagiert.“ Zu viel Aufhebens um die Stiftung will er nicht machen. Die Tatsache, dass er sich als Unternehmer bei Hilfsprojekten engagiert, habe nichts mit dem Tod seiner Tochter zu tun. Aber das Ausmaß seines Engagements, das schon. Kurz hört man so etwas wie Müdigkeit in der Stimme des energischen Mannes: „Die Kraft, das durchzuziehen, hätte ich womöglich nicht gehabt“, sagt er. Die Reiserei sei anstrengend: „Alle paar Monate bin ich vor Ort.“ Kill macht fast alles selbst. Seine Stiftung hat in Deutschland keine Mitarbeiter. Ein bisschen juristische Unterstützung kommt bisweilen vom Indus-Team.
Bei dem Ausmaß, das Kills Projekte angenommen haben, ist das kaum vorstellbar. Aber er ist ein Unternehmer vom Typ „Wenn ich das nicht selbst mache, dann wird das nichts“. Er selbst würde sich freilich so nie bezeichnen. Er habe im Laufe eines langen Lebens gelernt, enorm effizient zu sein, sagt er über sich. Und oft sei es eben am effizientesten, wenn er selbst anpacke.
Also reist er selbst um die Welt, spricht mit Mitgliedern der nepalesischen oder kambodschanischen Königsfamilie, sorgt für alle Arten von Genehmigungen und bringt Bauvorhaben auf den Weg. Nur so ist zu erklären, dass in Kathmandu innerhalb von zwei Jahren auf 5.000 Quadratmetern ein ganzer Campus mit Unterkünften, Verwaltungsgebäuden, Ausbildungszentrum, Krankenhaus und Schule entstanden ist.
Wie die Projekte zur Sonja-Kill-Stiftung kamen, war meist mehr Zufall als Plan.„Zufall“ würde Kill das freilich selbst nicht nennen. Eher: Bestimmung, Glaube, Religion. Kill erwähnt diese Dinge nicht explizit. Dass sie eine Rolle in seinem Leben spielen, kann man eher sehen als hören.
„Die Zeit heilt nicht alle Wunden“, sagt Kill: „Man lernt nur mit der Zeit, damit zu leben.“
Im Ausland werden die Projekte von engagierten Einzelpersonen federführend betreut, von eben den Personen, die die Projekte auch an Kill herangetragen haben. In Nepal ist das die Initiatorin vom Maiti Nepal, Anuradha Koirala, in Kambodscha ein holländischer Kinderarzt, der auf die medizinische Unterversorgung im Süden des Landes aufmerksam geworden war.
Bei Maiti Nepal ist Kill bereits einige Jahre engagiert. Maiti Nepal setzt sich gegen Menschenhandel, Verschleppung und Kinderprostitution ein. Jährlich werden in Nepal etwa 12.000 bis 15.000 Kinder und Jugendliche in die Prostitution nach Indien verschleppt. Menschenhändler gaukeln den Familien vor, ihren Kindern würde im fernen Indien eine Anstellung im Haushalt winken. Für einen kleinen „Vorschuss“ geben viele Familien ihre Kinder in die Hände der Menschenhändler.
In Indien werden für ein Mädchen zwischen 450 und 750 Euro bezahlt. 80 Prozent der Mädchen sterben innerhalb weniger Jahre an Krankheiten und anderen Folgen der unmenschlichen Lebensumstände. Maiti Nepal kämpft gegen diesen Handel an allen Fronten. Die Organisation bildet junge Frauen aus, die in den Dörfern und Städten Nepals Aufklärungsarbeit leisten. An den Grenzen unterhält Maiti Nepal so genannte Transit Homes, in denen junge Frauen, die aus Indien zurückkommen oder an den Grenzen den Schleppern entkommen können, Zuflucht finden.Viele von ihnen leisten „Dienst am Schlagbaum“. Sie stehen an den Grenzstraßen, um die Menschenhändler zu identifizieren, sie mit Hilfe der Grenzbeamten aufzuhalten.
„Diese Frauen haben auf Grund ihrer eigenen traurigen Erfahrungen einen untrüglichen Blick für Schleuser entwickelt“, beschreibt Kill die Aktion, die sich in der Vergangenheit als sehr erfolgreich herausgestellt hat. Pro Jahr werden so an die 2.000 Frauen vor der Verschleppung nach Indien bewahrt. Einen dauerhaften Zufluchtsort bietet das Child Rehabilitation and Protection Home in Kathmandu. Nur wenige Frauen schaffen es, aus eigener Kraft in ihre Heimat zurückzukehren. Viele können dann nicht zu ihren Familien zurück. Die meisten sind HIV-infiziert.
Namensgeber für Felix
Neben den Frauen finden auch Waisenkinder und andere hilfsbedürftige Kinder in dem Kill-Projekt ein neues Zuhause. 500 Kinder leben derzeit bei Maiti Nepal in Kathmandu. Eine richtige Gemeinschaft, fast schon ein kleines Dorf ist entstanden. Zum Campus gehört eine Schule, die auch von Kindern aus der Nachbarschaft besucht wird.
Anfang dieses Jahres wurde dann in Anwesenheit der nepalesischen Kronprinzessin das „Sonja Kill Memorial Hospiz“ mit 45 Betten eingeweiht. Zum Krankenhaus gehört jetzt auch ein Gemüsegarten, und jüngst bekam Maiti Nepal sogar eine Kuh geschenkt, zu der sich schon bald eine zweite und auch ein paar Ziegen gesellten. Kill ist stolz auf Maiti Nepal. Insgesamt werden dank Maiti etwa 2.500 Kinder und junge Frauen jährlich vor der Prostitution bewahrt, schätzt er. 280 Mitarbeiter sind für Maiti Nepal tätig. Die Menschen vor Ort sind ihm ans Herz gewachsen. Frau Koirala und ihr Team. Der kleine Felix, der bei Maiti Nepal in Kathmandu geboren wurde, und dem Kill einen Namen geben durfte.
„Irgendjemand wird sich schon finden“
Maiti Nepal wird nicht nur von der Sonja-Kill-Stiftung finanziert. Je bekannter das Projekt wird, desto mehr Spenden fließen. Kill hat im letzten Jahr eine Delegation guter Freunde nach Kathmandu mitgenommen. „Die waren sehr beeindruckt, von dem, was da entstanden ist“, berichtet er. Auch Reinhold Messner konnte gewonnen werden, im Rahmen des RTL-Spendenmarathons für das Projekt zu werben. „Selbst dem ausgewiesenen Nepal-Kenner war das Ausmaß der Problematik nicht bewusst“, Kill schüttelt den Kopf. Im Moment ist Kill mit seinen Gedanken in der Provinz Kampot in Kambodscha,wo er vorgestern noch war. Er steht auf, beugt sich über das Modell des geplanten Krankenhauses, das in seinem Büro auf dem Boden steht, und zeigt, was dort entstehen soll: ein Kinderkrankenhaus und eine Frauenstation mit 100 Betten. Das 70.000 Quadratmeter große Grundstück wurde vom Staat Kambodscha zur Verfügung gestellt.
Den Löwenanteil der Investitionen für dieses und die anderen Großprojekte trägt die Sonja-Kill-Stiftung. Später sollen die laufenden Kosten aber auch durch Spenden von Dritten gedeckt werden. Und was passiert mit der Sonja-Kill-Stiftung, wenn Kill einmal nicht mehr da ist? „Dann übernehmen meine Frau oder mein Sohn die Arbeit. In der Familie wird sich sicher jemand finden.“ Darum sorgt sich Kill nicht. Es gibt noch so viel zu tun. In 15 Monaten sollen in Kamboscha sämtliche Gebäude stehen. Den engen Zeitplan hat er sich selbst gesetzt. Das will er schaffen. Dank der Tatkraft ihres Vaters wird der Name Sonja Kill weiterleben. In den Buchstaben über den Eingangstüren einer brasilianischen Schule, eines kambodschanischen Krankenhauses und einer Zufluchtsstätte in Kathmandu. Und wer weiß, wo noch? Kill ist erst 67 Jahre alt.