Pierre-Emmanuel Taittinger kaufte 2007 für stolze 660 Millionen Euro den Champagnerhersteller Taittinger zurück. Die Einsatzbereitschaft seiner Kinder Vitalie und Clovis war Voraussetzung für das risikoreiche Engagement.

Vitalie Taittinger kredenzt ihren „Comtes de Champagne“, einen Jahrgangs-Champagner, der im Handel ab 150 Euro zu haben ist, ziemlich nonchalant. Kein Wort über die Chardonnay- Trauben der besten Grand-Cru-Lagen, die zehnjährige Lagerung in den Kreidestollen von Reims, die von Hand gedrehten Flaschen, die einzigartige Perlage oder das besondere Bukett.

„A votre santé“, ist der einzige Kommentar der 34-Jährigen, als sie wahrscheinlich schon zum x-ten Mal am heutigen Tag ein Glas Champagner leert. Mehr als ein Glas trinken sie und ihre Gäste nicht. Die kostbare Flasche bleibt halb voll. Bei 18 Millionen Flaschen im Keller ist es wohl schwer möglich, jeden einzelnen Tropfen entsprechend zu würdigen.

Vitalie Taittinger ist Marketingleiterin und Tochter des Inhabers eines der wenigen großen sich noch in Familienbesitz befindenden Champagnerhersteller. Die attraktive Französin ist zudem die Protagonistin in den aktuellen Taittinger-Werbefilmen, ziert die Plakate für den nationalen und internationalen Verkauf und repräsentiert Taittinger bei kleinen, großen und sehr großen gesellschaftlichen Anlässen.

Ihre unkomplizierte Art steht in auffallendem Gegensatz zur aufwendigen Champagnerherstellung. Wer es schafft, 0,75 Liter Traubensaft jenseits der 100-Euro-Marke millionenfach zu verkaufen, muss viele Details an vielen Stellen richtig machen: die besten Trauben besitzen oder kaufen können, gute Lager- und Produktionsstätten haben sowie einen exzellenten Kellermeister, innovatives Marketing und ein globales Vertriebsnetz. Während die kleineren Champagnerhäuser primär in Frankreich verkaufen, gehen bei den großen Häusern wie Taittinger 70 Prozent in den Export.

„Wichtig ist, dass die eigene Persönlichkeit sich nicht dem Geschäft anpasst, sondern umgekehrt.“
Clovis Tattinger

Den Export verantwortet ihr Bruder Clovis (35), der den Großteil seiner Zeit mit Reisen in die 140 Länder verbringt, in denen Taittinger-Champagner zu kaufen ist. Sei es ein kanadisches Weinportal, die Londoner Wine Fair oder ein TV-Spot für ein mexikanisches Luxusmagazin – Clovis repräsentiert, erklärt, lächelt. Außerhalb dieser Termine macht er ähnlich wie seine Schwester wenig Aufheben um seine Person oder sein Produkt. Lieber scherzt er darüber, wie viel weniger Arbeit ein Appartement im Vergleich zu einem „Chateau“ macht, als unaufgefordert große Reden über Champagner zu schwingen.

Beide sind jetzt seit sechs Jahren im Champagner-Geschäft und seit drei Jahren in leitenden Positionen. Sie wirken noch immer etwas überrascht von der Wendung, die ihr beider Leben im Jahr 2007 nahm.

Vermächtnis des Großvaters

Ihr Urgroßvater, Pierre-Charles Taittinger, Bürgermeister von Reims und Justizminister unter Pompidou, hatte einst ein kleines Imperium aufgebaut. Die Unternehmensgruppe bestand aus einem Champagnerhaus, einer Bank, einer Hotelkette, der Kristallfabrik Baccarat und den Parfüms von Annick Goutal. Was der Großvater bestellt, der Vater erhält, dem Enkel zerfällt: Im Jahr 2005 beschloss die auf 39 Per – sonen angewachsene Familie den Verkauf der gesamten Gruppe für 2,2 Milliarden Euro an den amerikanischen Finanzinvestor Starwood. Es gab zu viele Personen, zu viele Interessen.

Der Verkauf war ein Schock. Vor allem für den Vater von Vitalie und Clovis, Pierre-Emanuel Taittinger. Das Champagnerhaus war sein Leben. 30 Jahre lang hatte er als Exportleiter dort gearbeitet „Es war, als würde man von seiner Vergangenheit abgeschnitten. Alles endet plötzlich mit dem Verkauf“, sagt Vitalie. Mit „alles“ meint Vitalie nicht nur die Weinberge, das malerische Familienschloss La Marqueterie oder den Firmensitz in Reims mit 200 Mitarbeitern. Sie meint auch die jahrhundertealte Tradition, die man nicht auf den ersten Blick sieht. Man muss in Reims auf verschachtelten Treppen 18 Meter in die Tiefe steigen, um zu erahnen, was sie meint. Hinter jeder Biegung stauben Tausende von Champagnerflaschen vor sich hin. Konstante 10 Grad Celsius sorgen für ideale Lagerbedingungen. Die Keller wurden von den Römern geschlagen und später von den Mönchen der berühmten Benediktinerabtei Saint Nicaise genutzt. Ganze 150 Kilometer solcher Kreidestollen dehnen sich unterhalb der Stadt Reims aus. Diese Tradition aufgeben – das konnte und wollte der Vater nicht. Zum Rückkauf entschlossen, versicherte er sich der Unterstützung seiner Kinder und setzte dann seinen Erbanteil aus dem Verkauf von rund 55 Millionen Euro ein, um den Kaufpreis von 660 Millionen Euro zu finanzieren. „Es ging meinem Vater um die Firma, die Mitarbeiter, die Geschäftspartner, die Tradition“, erklärt Vitalie.

Info

Das Unternehmen Taittinger

Taittinger macht mit 200 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von rund 110 Millionen Euro. Das Betriebsergebnis soll bei rund 30 Millionen Euro liegen. Zum Besitz gehören 288 Hektar Rebflächen, mit deren Trauben Taittinger die Hälfte seiner Produktion deckt. Taittinger produziert rund 6 Millionen Flaschen Champagner pro Jahr. 70 Prozent gehen ins Ausland.

Im Jahr 2005 verkaufte die Familie die Unternehmensgruppe, zu der das Champagnerhaus, Hotels, eine Bank und weitere Beteiligungen gehörten, für 2,2 Milliarden Euro an den amerikanischen Finanzin – ves tor Starwood. Pierre Emmanuel Taittinger holte sich das Champagnerhaus zurück: In einem anderthalbjährigen Verhandlungsmarathon mit multiplen finanziellen, persönlichen und politischen Interessen setzte er sich schließlich im Bieterkampf durch. Im Jahr 2007 brachte er für 63 Prozent der Anteile und 80 Prozent der Stimmrechte einen Kaufpreis von 660 Millionen Euro auf. Die Regionalbank Crédit Agricole sprang als Finanzier und Co-Investor ein.

Einige große Wettbewerber wie Moët & Chandon, Ruinart oder Veuve Clicquot wurden vom Luxuskonzern LVMH aufgekauft.

Auf Vitalie und Clovis dagegen lastet die Bürde des Traditionserhalts nicht so stark. Sie hatten zum Zeitpunkt des Verkaufs sehr wenig mit dem Unternehmen zu tun. „Wir kannten Taittinger in erster Linie als Konsumenten“, erinnert sich Clovis. Als Kinder waren sie weder durch die Rebstöcke noch durch die Gänge der Keller gerannt. Am Verkaufsprozess waren sie nicht beteiligt. Umso größer die Leichtigkeit, mit der beide auf ihren plötzlichen Lebenswandel reagieren.

„Je jünger man ist, desto verrückter und risikobereiter ist man auch“, sagt Clovis und lacht. Vitalie ergänzt: „Egal, was noch kommt. Bis hierher hat keiner von uns etwas bereut. Es war ein großes Abenteuer und eine extrem bereichernde Erfahrung.“ Vitalie beschloss kurz nach dem Rückkauf, ihre Arbeit als Grafikerin in Paris gegen die Mitarbeit bei Taittinger einzutauschen. Für Clovis war die Entscheidung nach seinem Geschichtsstudium und Abschluss an der EDHEC Business School komplizierter: „Mein Vater hat ein bisschen Druck gemacht“, sagt er. Seine Schwester lacht laut: „Ein bisschen? Ganz viel!“ Clovis zuckt mit den Schultern: „La responsabilité. Sie wissen schon.“

Bloß nicht anpassen

Für die Zukunft wünschen sie sich vor allem, Taittinger als Marke und als Produkt nach vorne zu bringen. „Wir wollen keinen Trends hinterherlaufen, sondern eher mit neuen Ideen Branchenführer sein“, erklärt Clovis. Und sich dabei nicht verbiegen lassen. „Wichtig ist, dass die eigene Persönlichkeit sich nicht dem Geschäft anpasst, sondern umgekehrt.“ Die Stimmung und die Dynamik im Unternehmen seien gut. Viele junge Mitarbeiter wurden eingestellt. „Wir könnten uns familiäre Konflikte auch gar nicht leisten“, schmunzelt Clovis. Und lässt einiges ungesagt. Der nach dem berühmten in Reims getauften König Chlodwig I. benannte junge Exportmanager hat dabei ein klares Motto: „Alles verändern, damit sich nichts verändert.“

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