David Klett, vierte Generation des gleichnamigen Verlages, ist begeistert, einer Großfamilie anzugehören. Seine Familie hat er durch das gemeinsame Austüfteln eines neuen Gesellschaftervertrages erst richtig entdeckt.

Zuerst das Unternehmen, dann die Familie. Oder: Die Familie dient dem Unternehmen. Solche Sätze machen David Klett stutzig. „Sie enthalten nur die halbe Wahrheit. Natürlich bietet eine weitsichtige und verantwortungsvolle Familie einem Unternehmen große Chancen. Unrealistisch wird es jedoch, wenn man die Familie auf ein Mittel reduziert, das allein dazu da ist, das Unternehmen zu stützen.“ Seine beiden Hände wenden sich, als drehte er eine Schraube zwischen Zeigefinger und Daumen. Warum das Verhältnis nicht anders herum sehen? „Das Unternehmen ist für die Familie da“, sagt er und fügt hinzu: „um sie zu stärken.“

Die Beziehung zwischen Unternehmen und Familie beschäftigt ihn. Ganz persönlich, aber auch wissenschaftlich. In seiner 2005 abgeschlossenen Diplomarbeit nähert er sich den „Paradoxien des Familienunternehmens“. „Zwischen Kompetenz und Herkunft“, „Zwischen Gleichheit und Selektion“ sind nur zwei Beispiele für Überschriften von Kapiteln, in denen er versucht, das komplexe Verhältnis zu greifen. Der Diplom-Ökonom ist Gesellschafter der Klett Familien-KG. Sie hält die Anteile an der Ernst Klett AG, die auf die Hofbuchdruckerei Zu Guttenberg Carl Grüninger zurückgeht: Davids Urgroßvater hatte sie 1897 erworben.

Der 29-Jährige hat bei der Erneuerung des Gesellschaftervertrages vor drei Jahren mitgewirkt. Ziel war es, das Denken in Stämmen zu vermeiden und für eine schnelle Entscheidungsfähigkeit im Gesellschafterkreis zu sorgen. Dafür wurde ein Familienrat eingerichtet. Auslöser für das Umdenken war ein Treffen mehrerer Familienunternehmer zu einem Forschungsprojekt über Mehrgenerationenfamilienunternehmen am Wittener Institut für Familienunternehmen. „Meinem Vater wurde bewusst, dass das Unternehmen in seiner damaligen Organisationsform reichlich Zündstoff für die Zukunft bot“.Die Anteilseigner verteilten sich auf verschiedene Stämme. Die Gesellschafterzahl betrug mit der vierten Generation, zu der David Klett gehört, beinahe 20. „Und mit den Kindern meiner Schwester, meiner Cousinen und meinem zweieinhalbjährigen Sohn ist bereits die fünfte Generation im Anmarsch.“

Erfahrungen austauschen

Davids Vater, Dr. Michael Klett, zu jenem Zeitpunkt noch Vorstandschef der Gruppe, holte sich im Rahmen des Forschungsprojektes detaillierten Rat von Jon Baumhauer, dem Vorsitzenden des Familienrates der Merck KGaA. Obwohl der Pharma- und Spezialchemiekonzern viel größer ist, verhalf deren altgedienter Anwalt den Stuttgartern zu einem neuen Gesellschaftsvertrag. Heraus kam unter anderem ein Familienrat mit fünf Mitgliedern: David Klett, sein Vater, ein Onkel, eine Cousine und ein Cousin, beide jeweils zweiten Grades. Der Rat übt einen Teil der Gesellschafterrechte aus, hilft in Belangen der Familie und vermittelt zwischen ihr und dem Unternehmen. Die Möglichkeit einer Pattsituation bei Abstimmungen wurde bewusst vermieden, denn jedes Ratsmitglied hat nur eine Stimme. „Die Umsetzung der Idee hat gut geklappt. Das lag zum größten Teil daran, dass es bei uns zum Glück keine Stammesrivalitäten gab und die Autoritätsstrukturen, insbesondere durch unsere Väter, intakt waren“, resümiert Klett.

Was ist eigentlich Familie?

Aber nicht nur formale Gremien und Hunderte von Paragraphen waren das Ergebnis. Für Klett war etwas anderes viel einschneidender: Er fühlt sich nun einer Großfamilie zugehörig, „vom Herzen her“. Als er sich allein mit zwei anderen Gesellschaftern der vierten Generation traf, um das Grobgerüst des Gesellschaftervertrages mit Leben zu füllen, wusste er nicht so recht, was ihn erwartete. „Ich dachte:Mal sehen, wie wir gemeinsam vorankommen.Wir kannten uns von Familienfesten, aber haben uns eher als entfernte Verwandte empfunden. Etwas erzwungen kam mir diese Situation schon vor.“

Das hat sich mittlerweile geändert. Wie ist es dazu gekommen? Seine Cousine und sein Cousin,Vater, Onkel und er haben hart am Vertrag gearbeitet, stundenlang diskutiert. Natürlich ging es um Grundsätzliches wie die Ausschüttungspolitik oder die Besetzung von Führungsposten. Aber es ging auch ans Eingemachte: Wenn ich morgen sterbe, wer erbt? Können Firmenanteile außerhalb der Familie vererbt werden? Wenn ich heirate, darf mein Ehepartner in den Gesellschafterkreis eintreten? Sofort oder erst in zehn Jahren? Wer darf an wen wann wie viel verschenken oder verkaufen? „Letztendlich drehte sich alles um die Kernfrage:Wer ist denn „Familie“? Wer darf in die Familie rein, wer nicht? Bei der Diskussion über solche Fragen lernt man sich schnell kennen und kommt sich sehr nah. Die Art zu denken, zu debattieren, nachzugeben oder sich durchzusetzen – das haben wir aneinander schätzen gelernt. Unsere Kommunikation in der Großfamilie – um es wissenschaftlich zu formulieren – hat sich enthemmt. Wir konnten bei persönlichen Fragen nicht einfach sagen: Das geht Dich nichts an.Wir haben den Intimraum vergrößert.“ Will heißen: Die Familie ist emotional zusammengerückt und „trägt somit auch zur Stabilität des Unternehmens bei“.

Legenden leben lassen

Die Klett-Familie fühlt ihre Familienzugehörigkeit – und lebt sie. Diese Familiarität möchte sie vertiefen. Ideen hat David Klett einige. „Feste wurden bei uns schon immer gut und ordentlich gefeiert, das werden wir bestimmt beibehalten.“ Und das Verständnis der aktiven und passiven Gesellschafter füreinander soll gefördert werden, z.B. mit Seminaren über das richtige Lesen von Bilanzen. Der Familienrat plant die Arbeit an einer Familienstrategie und einer Familiencharta, die regelt, wie gestritten und geschlichtet wird. Dabei geht es vor allem um „den Akt der familiären Auseinandersetzung“.Wichtig findet Klett, dass „die Familie sich um sich selbst kümmert. Fühlt man sich der Familie verbunden? Fühlt man sich ihr nicht verbunden? Eine Großfamilie sollte über ihre eigenen Geschichten verfügen, solche Geschichten, die man sich über Generationen hinweg erzählen wird. Das hält sie zusammen. Und Geschichten entstehen am ehesten über gemeinsame Aktivitäten.“

Viel Zeit hat er für seine Arbeit im Familienrat allerdings nicht. Kaum hat er nach seinem Wirtschaftsstudium sein Zweitstudium der Philosophie beendet – hier war allerdings nicht Familie, sondern Kunst das Thema seiner Abschlussarbeit –, vertieft er seine Studien in Paris. Sein Thema: „Familie und Familienzugehörigkeit definieren sich nicht über Blut, sondern über Sozial- und Kommunikationsverhalten. Bei uns hat ja die Kombination von Eigentum und Kommunikation das Entstehen einer Großfamilie begünstigt. Das ist momentan mein absolutes Lieblingsthema.“

Über das wissenschaftliche, analytische Arbeiten schafft Klett nicht nur Distanz zu dem, was er persönlich erlebt, sondern auch eine andere Sichtweise. Der nächste Perspektivenwechsel steht im nächsten Jahr an. Er möchte in einem familienfremden Verlag arbeiten, höchstwahrscheinlich in den USA. Aber erst einmal genießen er und seine Familie Paris.„Nach so vielen Jahren Studium im Ruhrgebiet wünscht sich das Auge ein wenig Abwechslung.“ Seine Hände wenden und drehen sich.

Info

Das Unternehmen: die Ernst Klett AG

David Kletts Urgroßvater, Ernst Klett der Ältere, erwarb im Jahr 1897 die Geschäfte des Verlagsbuchhändlers Carl Grüniger. Heute umfasst die Klett-Gruppe mehr als 60 Verlage an 17 Standorten in Deutschland und an 14 Standorten in 13 Ländern. Etwa 2.300 Mitarbeiter erwirtschaften einen Umsatz von 340 Millionen Euro. Die Stuttgarter entwickeln ihre Produkte für Schulen, Fernschulen und Fernhochschulen. Sprachen, Fachinformationen und Publikumsverlage sind weitere Geschäftsbereiche. Dr. Michael Klett, Davids Vater, gab dieses Jahr seinen Posten des Vorstandsvorsitzenden an Uwe Brinkmann, familienexterne Führungskraft, ab und sitzt nun dem Aufsichtsrat vor. Auch in der Familie bewegt sich viel. Die dritte Generation hat mit der gleichmäßigen Begünstigung ihrer Kinder die Weichen in Richtung „Großfamilie“ gestellt.Mit dem neuen Gesellschaftervertrag von vor drei Jahren wurde die Entscheidungsfähigkeit des wachsenden Gesellschafterkreises durch einen fünfköpfigen Familienrat gesichert. Dem Rat gehören bisher nur Familienmitglieder an, er ist aber auch offen für Externe.

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