Extravagante Kleider, prächtiger Schmuck, ein Leben im Blitzlichtgewitter – seit Dekaden erfüllt die Miss Germany Corporation einmal im Jahr diesen Mädchenwunsch. Die einjährige Regentschaft von „Miss Germany“ ist durchzogen von Terminen, Kameras und Öffentlichkeit. Die Zeit kann ein Sprungbrett für die ganz große Karriere im Showbusiness sein. Wohlgemerkt, Showbusiness: Die Miss-Wahlen seien keine Modelschmiede, stellen die Veranstalter klar. Das Finale findet seit 2003 im Europa-Park statt. Allerhand Promis schreiten hier durch die Reihen, eine Hundertschaft an Medienvertretern sucht nach der nächsten großen Persönlichkeit, und Glamour ist nicht nur ein Wort, sondern ein Lebensstil. Eine Familie ist immer mittendrin: die Klemmers. Für sie ist es der größte Tag des Jahres. Dabei macht kein Vertreter der Familie beim Wettbewerb mit.
Horst Klemmer gehört mit seinen 81 Jahren zu den Veteranen auf dem Event, aber er passt immer noch hierhin wie die Faust aufs Auge. Klemmer ist seit jeher ein Mensch der Unterhaltungsbranche. In den sechziger Jahren fand er als junger Bursche ins deutsche Showbusiness. Er war Manager von Künstlern wie Heinz Erhardt und Axel von Ambesser. Für Dieter Thomas Heck und Heinz Schenk leitete Klemmer Tourneen. Bei vielen anderen wohlklingenden Namen – Udo Jürgens, Chris Howland, Tony Marshall, und, und, und – war Horst Klemmer auch immer irgendwie mit von der Partie, die graue Eminenz, der Strippenzieher.
Die Bühne war dem in Sachsen aufgewachsenen, gelernten Steuerberater nicht fremd. Im Alter von 24 moderierte er die Miss-Germany-Wahl 1960 in Baden-Baden, die vom Strumpfhersteller Opal veranstaltet wurde, dem die Namensrechte gehörten. Doch das öffentliche Interesse an solchen Wettbewerben schwächte sich infolge der 68er-Revolution ab, und es gab Zank um die Lizenzen. Das unternehmerische Hauptaugenmerk von Klemmer lag danach komplett auf der Vermarktung seiner Künstler.
Vom Bund zur Miss Germany
Dass die Miss Germany Corporation mit Sitz in Oldenburg heute mehr als hundert Miss-Wahlen im Jahr veranstaltet und die Nische förmlich im Griff hat, geht auf die Initiativen von Horst Klemmers Sohn Ralf zurück. „Ich bin in den siebziger Jahren nach der Schule zum Bund gegangen. Aber einige Monate nach der Grundausbildung entschied ich mich lieber für hübsche Menschen als das Militär“, sagt Ralf Klemmer. Die Zeiten hatten sich geändert: Ende der siebziger Jahre fanden sich wieder Investoren für Schönheitswettbewerbe. Zudem waren die Opal-Lizenzen frei geworden.
Der Markt gab mehr her, viel mehr, befand Ralf und vergrößerte die Anzahl der Schönheitswettbewerbe in seinen ersten Jahren schlagartig auf rund 150. Von Miss Oberstdorf bis zur Miss DDR: Junior Klemmer hatte überall seine Finger im Spiel und kürte in allen Teilen Deutschlands Schönheitsköniginnen. Im Jahr 1991 sogar seine ganz persönliche. Die damalige Miss Germany und anschließende „Queen of the World“ Ines Kuba heißt heute Ines Klemmer und ist als Moderatorin Teil des Familienunternehmens.
Der ambitionierte Einstieg und die Fokussierung seines Sohnes auf Miss-Wahlen waren für den Senior kein Problem: „Wir haben beide unseren Platz gefunden und harmoniert. Mein Vater kümmerte sich primär um seine Künstler, und mein Ding waren die Schönheitswettbewerbe“, sagt Ralf Klemmer.
Das Geschäftsmodell der MGC-Miss Germany Corporation Klemmer GmbH & Co. KG hat sich seitdem kaum geändert: Shoppingzentren oder Discos buchen die Schönheitswettbewerbe, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Gewinnerinnen haben die Chance, das Bundesland beim überregionalen Wettbewerb zu vertreten. Der Rummel – lokal und regional – zieht die Aufmerksamkeit von Sponsoren auf sich. Wer das Finale für sich entscheidet, dem blüht ein Jahr Ruhm und Promistatus.
Das Faible für die Schönheit machten sich Mitte der achtziger Jahre aber nicht nur die Klemmers zunutze. Konkurrenzveranstaltungen gab es zu jener Zeit viele. Zudem war der Titel „Miss Germany“ laut deutschem Recht nicht mehr schützenswert. Alles und jeder konnte somit eine Miss Germany küren. Bis zur Jahrtausendwende war der Markt unübersichtlich und hart umkämpft. „1999 war unser Unternehmen in großer Gefahr“, blickt Ralf Klemmer zurück. Das Vermächtnis seines Vaters wollte Ralf Klemmer aber nicht aufgeben. Er zog vor das europäische Markenamt in Alicante und gewann das Ringen um den Titel „Miss Germany“.
Seitdem ist das Familienunternehmen alleiniger Besitzer des Namens. „Es war mein Wunsch, den eingetragenen Namen meinem Vater unter den Weihnachtsbaum zu legen, um die Unsicherheiten unseres Unternehmens zu begraben.“ Ein richtungsweisendes Geschenk. Das Folgejahr 2000 war mit knapp 300 Veranstaltungen das umfangreichste der Unternehmensgeschichte.
Heute setzt MGC rund eine Million Euro um, beschäftigt ein Dutzend Mitarbeiter und richtet an die 150 Wahlen pro Jahr aus. Die regionalen Städtewahlen und die Länderausscheidungen machen je ein Zehntel des Umsatzes aus. Der Rest entfällt fast komplett auf das Finale der Miss Germany.
Seit ein paar Jahren ist auch die dritte Generation dabei: Ralfs Sohn Max hat sich nach Umwegen – einer Ausbildung und einem kurzen Intermezzo im Studiengang Business-Administration – für das Familienunternehmen entschieden. Auf Wunsch seines Großvaters hat er dessen Unternehmensanteile übernommen, die anderen 50 Prozent hält Ralf Klemmer. Frischen Wind in die Firma zu bringen liegt Max im Blut wie seinem Vater. Und dieser knüpft an die Tradition an, der jungen Generation die unternehmerischen Freiheiten zu lassen. Er gibt ganz frei zu: „Max kann Strategien, die ein Unternehmen wie unseres heutzutage haben muss, besser umsetzen als ich.“ Vor allem lebe der Junior den neuen Zeitgeist.
Weniger Haut, mehr Umsatz
So hat der 24-Jährige bereits durchgesetzt, dass der traditionelle Durchgang, in dem die Kandidatinnen sich in Bademode präsentieren, abgeschafft wurde. Nicht mehr zeitgemäß, stellt Max Klemmer fest. Eine einschneidende Veränderung, die nicht die einzige sein soll. Die Auflagen für die Teilnahme sollen in Zukunft ebenfalls geändert werden. „Größe, Maße oder Familienstand werden für eine Miss Germany nicht ausschlaggebend sein“, sagt er. „Wir wollen in Zukunft noch mehr auf die Persönlichkeiten und Geschichten der Teilnehmerinnen eingehen.“
Die Städtewahlen, deren Gewinn zur Teilnahme an den Länderwettbewerben berechtigt, sollen demnach in Zukunft im Netz stattfinden. Kein risikofreier Schritt. Bei der Frage, warum diese Änderung hermüsse, gibt sich Max Klemmer wie ein etablierter Familienunternehmer: „Wir müssen dieses Risiko gehen, ansonsten schafft es unser Geschäftsmodell nicht in die nächste Generation.“ Die Wachstumspläne sind ambitioniert: Der Umsatz soll sich in den kommenden Jahren vervierfachen. Die Strategie dahinter ist digital. In Kooperation mit einem großen Verlagshaus soll die Miss-Germany-Community online stärker bespielt werden. Auf der neuen Plattform werden in Zukunft die Vorwahlen stattfinden.
An vorderster Front bei diesem Changeprozess: Max Klemmer. „Er hat mich nach einem Jahr Verhandlungen zum ersten Mal zum Partner für die digitale Welt mitgenommen“, sagt Ralf Klemmer mit Stolz und fast erleichtert, dass er sich um Dinge kümmern kann, die ihm besser liegen: Er leitet hauptsächlich die Entwicklungen rund um die Miss 50Plus und Mister Germany. Es scheint, als haben die zweite und dritte Generation ihre Nische im Unternehmen gefunden. Irgendwie kommt einem das bekannt vor.