Prof. Dr.-Ing. Berthold Leibinger kann zu sehr vielen Dingen sehr viel sagen: Unternehmertum,Wirtschaftspolitik,Wissenschaft, Kunst, Literatur. Richtige Leidenschaft aber schimmert erst dann durch, wenn er übers Erfinden, über Erfinder und Innovationen spricht. Können Familienunternehmen Erfindergeist besser wecken und hegen als andere Unternehmen? Gute Frage.

Prof.Dr. Leibinger, Sie sind Erfinder und halten ungefähr 25 Grundpatente. Woran erkennt man einen echten Erfinder?

Talent ist natürlich eine Grundvoraussetzung. Aber auch die Einstellung, die Haltung muss stimmen. Bei der Auswahl eines Ingenieurs zur Stärkung unserer Entwicklungsabteilung habe ich immer darauf geachtet, dass ich in den Augen des Bewerbers ein Fünkchen entdecke, das mir signalisiert: Diese Person ist unruhig, ist neugierig. Sie darf nicht die Neigung vieler zum Ausdruck bringen, dass Veränderung Gefahr bedeutet. Erfinden ist eine geistige Leistung. Sie erfordert neben Wissen über naturwissenschaftliche Zusammenhänge auch Phantasie, um das Neue, das Unvorhergesehene zustande zu bringen. Entscheidend ist, die Phantasie, die in einem talentierten Menschen steckt, zu wecken.

Wie entstehen aus Neugier und Phantasie Innovationen?

Damit ein Mensch seine Idee in eine Innovation und diese dann in ein marktfähiges Produkt umsetzen kann, braucht er das richtige Umfeld. Dafür muss ein Unternehmen eine Art Verfassung haben, ein Grundverständnis dafür, dass die Welt nicht so bleiben kann, wie sie ist. Um Innovationen zu stimulieren, muss diese Befindlichkeit bei allen Mitarbeitern ankommen: Wir wollen weiterkommen, wir wollen Neues wagen. Und die Mitarbeiter müssen wissen und spüren, dass Innovationen überlebensnotwendig sind. Das gilt nicht nur für Produktinnovationen, sondern auch für Innovationen bei Methoden, Prozessen, in der Produktion oder im Vertrieb. Dabei können wir selbstverständlich alle erprobten Methoden und Bewertungskriterien zum Generieren von Innovationen nutzen. Aber wenn wir das wesentliche Merkmal des Erfinderischen – ich sage es einmal naiv –, das Künstlerische, eliminieren, wenn wir glauben, alles berechenbar machen zu können, dann verlieren wir die Fähigkeit, wirkliche Neuerungen zu erreichen.

Können Familienunternehmen so etwas besser als Konzerne?

Mittelständler haben hier einige Vorteile. Für mich war vor vielen Jahren, als ich bei Trumpf begonnen habe, entscheidend, dass mir jemand gesagt hat: Wir brauchen das, was du dir ausdenkst. Wir brauchen deine Ideen, deinen Kopf für ein besseres Produkt.Wir zählen auf dich und deine Leistung. Das Gefühl, gebraucht zu werden und gefordert zu sein, ist sehr stimulierend und wichtig. So habe ich es erlebt. Dieses Gefühl können Familienunternehmen besser vermitteln, solange die Führung den Geist für Veränderung selbst vorlebt. Für den Erfinder wird es allerdings immer schwieriger, je weiter er vom Entscheider, vom Unternehmer selbst weg ist. Das habe ich zumindest so erlebt.

Große Unternehmen wie Trumpf arbeiten in konzernartigen Strukturen. Da geht dieser Vorteil – die Nähe des Unternehmers zum Erfinder – verloren.

Das ist richtig. Viele erfolgreiche Mittelständler streben dorthin, wo sie einen Teil ihrer Vorteile verlieren, nämlich nach Größe. Während ich an meiner ersten Erfindung für Trumpf arbeitete, waren wir 200 Mitarbeiter. Bei Trumpf sind wir mittlerweile 7.300 Leute.Wir versuchen diese Komplexität aufzubrechen, indem wir die verschiedenen Bereiche fragmentieren und an etlichen Stellen entwickeln. Und natürlich ist entscheidend, wie gut die Grundhaltung der Firmenspitze das Unternehmen durchdringt. Das kann grundsätzlich auch Konzernen gelingen. Die BASF oder BMW zum Beispiel, in beiden Aufsichtsräten war ich einmal aktiv, tragen die Bereitschaft zur Innovation nach dem Kaskadenprinzip in die unteren Ebenen weiter. Das funktioniert gut.

Wo kann sich ein Erfinder besser durchsetzen?

Ich glaube, dass ein Erfinder mehr Widerstände im Konzern überwinden muss als beim inhabergeführten Unternehmen. Im Konzern gibt es für jeden denkbaren Bereich hochqualifizierte Leute. Da müssen Sie gegen eine Vielzahl von hartnäckigen Argumenten kämpfen. Je größer das Unternehmen, desto häufiger hört man: „Das haben wir schon einmal probiert, das wird sowieso nichts; warum sollen wir das denn ändern, das funktioniert doch?“ und so weiter. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung: Auch in einem mittelständischen Unternehmen müssen Widerstände überwunden werden. Das Unternehmen kann zwar für gute Rahmenbedingungen sorgen. Aber es kann nicht die Skepsis des Umfelds beseitigen. Veränderungen bedeuten immer auch ein Infragestellen des eigenen Tuns. Davor fürchten sich viele Menschen. Der Erfinder muss für seine Erfindung kämpfen. Seine Erfindung begleitet ihn Tag und Nacht, er muss sich für sie einsetzen können und wollen. Das kostet sehr viel Geduld und Kraft.

Info

Das Unternehmen

Die Trumpf GmbH + Co. KG erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2006/07 einen Umsatz von 1,94 Milliarden Euro, davon 70 Prozent im Ausland. Der Jahresüberschuss betrug 206,8 Millionen Euro, die Eigenkapitalquote etwa 50 Prozent, und die Umsatzrendite vor Steuern stieg von 12,4 auf 13,7 Prozent. Das Unternehmen beschäftigt 7.258 Mitarbeiter. Der größte Geschäftsbereich sind Werkzeugmaschinen und Elektrowerkzeuge, gefolgt von Lasertechnik und Elektronik sowie der Medizintechnik. Prof. Dr. Berthold Leibinger zog sich vor zwei Jahren, also mit 75, aus dem operativen Geschäft in den Aufsichtsrat zurück, den er heute leitet. Er ist immer noch in vielen Gremien aktiv, z.B. als Vorsitzender des Rates der Universität Stuttgart, in der Stuttgarter Bachakademie oder im Freundeskreis des Deutschen Literaturarchivs in Marbach.

Welche Rolle spielt für den Erfinder Kontinuität?

Wissen, Phantasie und Neugier, diese Eigenschaften brauchen Zeit, um zu gedeihen. Der Erfinder braucht hierfür Muße. Und er braucht auch den Freiraum, sich irren zu dürfen. Ich glaube, dass Familienunternehmen ihm dies besser bieten können, weil sie zum einen mehr Kontinuität an der Spitze haben. In Konzernen ist die Fluktuation vor allem in Führungspositionen höher. Zum anderen spielt auch der Mut zum Risiko eine wichtige Rolle. Die Risikobereitschaft des Unternehmers zeigt sich nicht nur darin, dass er jeden erwirtschafteten Euro wieder in sein Unternehmen investiert und somit auch riskiert. Sondern sie zeigt sich auch darin, dass der Unternehmer selbst Fehler macht, sie eingesteht und sie wieder ausbügelt. Wenn man nur Dinge tut, die mit absoluter Sicherheit zum Erfolg führen, wird man vielleicht mit einer gewissen Tüchtigkeit überleben können. Aber man wird nicht wachsen und blühen können. Das kann ein Unternehmer einem Erfinder glaubwürdiger vorleben als Führungskräfte in einem Konzern.

Wie oft darf sich ein Erfinder irren? Mit einer Eigenkapitalquote von 50 Prozent hat Trumpf ein dickes Polster. Die Ressourcen sind in vielen Familienunternehmen nicht so üppig.

Das stimmt. Wir verdienen Geld und sind ausreichend finanziert. Da haben wir natürlich ganz andere Möglichkeiten, langfristig zu denken und zu investieren. Zum Beispiel investieren wir schon sechs Jahre lang einen zweistelligen Millionenbetrag in ein Entwicklungsprojekt, ohne dass wir bisher ein fertiges Ergebnis vorliegen haben.Wir sind immer noch nicht am Ziel, aber wir glauben fest an das Projekt. In der Tat ist die Kapitalbegrenzung aber ein Nachteil für die meisten Familienunternehmen in vielerlei Hinsicht, nicht nur hinsichtlich der Stimulierung für Innovationen.

Inwieweit schränkt ein stark zyklischer Markt die Fähigkeit ein, in die Entwicklung zu investieren?

Wir im Werkzeugmaschinenbau haben ein sehr zyklisches Geschäft, das ist schon schwierig.Aber – und das gilt für Familienunternehmen und Konzerne gleichermaßen – wenn man in guten Zeiten gut wirtschaftet, kann man auch ein Tal durchstehen und trotzdem Entwicklungskosten finanzieren. Wir geben zum Beispiel mit 7 bis 8 Prozent des Umsatzes das Doppelte für Forschung und Entwicklung aus wie der Branchendurchschnitt. Im Laserbereich investieren wir sogar noch mehr. Das haben wir auch in Krisen durchgehalten, selbst in der härtesten Zeit, die der Maschinenbau bisher erlebt hat. Zwischen 1991 und 1994 ging es 14 Quartale hintereinander bergab. Das waren auch für uns sehr harte Zeiten. Natürlich haben Familienunternehmen keine exorbitanten Forschungsbudgets wie die Großindustrie und können nicht mal eben so ein Auto oder eine neue chemische Verfahrenstechnik entwickeln. Aber wenn man weiß, wo man hingehört, kann man durchaus effizient entwickeln.

Was hat der Erfinder von seiner Innovation?

Oft wird dem Erfinder weder die Anerkennung noch der materielle Erfolg zuteil, der seiner Leistung entspricht. Aber es gibt etwas Zusätzliches: Als junger Ingenieur, zunächst sogar noch als Student, habe ich das „Glück des Erfindens“ erfahren dürfen. Natürlich darf man mir die Frage stellen, ob ich diese Terminologie richtig gewählt habe. Das Glück enthält eine fröhliche, vielleicht auch zufällige Komponente.Und man darf fragen, ob so etwas für einen Ingenieur, und dann noch für einen schwäbischen Ingenieur, zulässig ist. Seinem Denken ist doch die Pflicht immer näher als die Kür.Aber die Frage zu beantworten fällt mir leicht: Ja, Erfinder haben den Gewinn jenes stillen Glücks, das dem Schöpfer alles Neuen zuteil wird. Auch ich habe das Glück des Erfindens damals wahrlich empfunden.

Info

Patente als Akquisitionswährung

Keine Frage, Prof. Dr.-Ing. Berthold Leibinger weiß, dass er ein gestandener, erfolgreicher und bewunderter Unternehmer ist. Und er wird nicht müde, sich immer wieder als fleißiger Vertreter des schwäbischen Protestantismus zu bekennen. Dabei wirkt er keineswegs distanziert oder abgehoben. Das hat er sicher auch seiner feinen Selbstironie zu verdanken, die in vielen Sätzen unterschwellig mitschwingt. Und seinem Witz.„Wird Ihnen nicht langweilig, immer das gleiche Gesicht zu fotografieren?“, fragt er den Fotografen. „Das Licht hat sich doch wieder verändert, weil die Sonne untergeht“, entgegnet jener. Leibinger: „Ach, das habe ich natürlich gerne, wenn sie jetzt noch einen Heiligenschein dazu fotografieren. Dann kommen Sie mit Ihrem Bild gleich ins Archiv.“

Er spricht leise und langsam, lässt Pausen zu. Er ist kein glühender Redner, der sein Publikum mitreißt. Wenn er gebetsmühlenartig die schwäbischen Tugenden predigt, wirkt er altmodisch und streng. Dass er aber unter seinen drei Kindern seine Tochter Nicola als seine Nachfolgerin ausgewählt hat, zeugt von seinem Erfindergeist: das Neue und das Unerwartete wagen. Leibinger wurde 1930 geboren. Seine Eltern betrieben ein Geschäft für ostasiatischen Kunsthandel. Er absolvierte zunächst eine Lehre als Mechaniker und studierte im Anschluss Maschinenbau an der Universität Stuttgart. Während seiner Diplomarbeit, die er für die Firma Trumpf schrieb, tüftelte er an seiner ersten Erfindung, die Durchschlagskraft besaß. Er entwickelte ein Verfahren zur Führung von Blechen beim Ausschneiden, das Kopiernibbeln. Es folgten zwei weitere große Meilensteine, die auf ihn zurückgehen: die computergesteuerte Werkzeugmaschine sowie in den achtziger Jahren der Einsatz des Lasers in der Werkzeugmaschine. Diese letzte Errungenschaft verhalf Trumpf zu einem großen und lange anhaltenden Wettbewerbsvorsprung weltweit.

Leibinger hielt schließlich so viele wesentliche Patente, dass es für Christian Trumpf, Firmeninhaber und Gründer, günstiger war, Anteile an seinen ehemaligen Lehrling zu verkaufen, als ihm Lizenzgebühren für die Patente zu bezahlen. Außerdem hatte Trumpf selbst keine Kinder. Die Nachfolge war somit eingeleitet, im Jahr 1978 wurde Leibinger schließlich Geschäftsführender Gesellschafter und Vorsitzender der Geschäftsführung.

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