Bianca Esser, Sie haben 2008 die operativen Aufgaben bei der Erik Walther GmbH & Co. KG hinter sich gelassen, nach zehn Jahren im Unternehmen. Warum hat es bei Ihnen mit der Unternehmensnachfolge nicht geklappt?
Oft machen sich Unternehmenskinder und deren Kinder keinen Kopf, was sie beruflich machen möchten. Denn meistens ist es so, dass sie in dem von der Familie gegründeten Unternehmen landen. So auch bei mir. Meine Cousins und Cousinen aus den anderen beiden Stämmen der Unternehmerfamilie sind über die Lehre sehr früh bei Erik Walther eingestiegen. Bei mir gab es einen zeitlichen Versatz, da ich nach dem Abitur noch BWL studiert habe und in zwei anderen Unternehmen Erfahrungen sammelte. Mit meinem Einstieg waren also alle drei Stämme im Unternehmen, und es gab großen familiären Druck und Konkurrenzgedanken zwischen den Stämmen. Ich war die jüngste der dritten Generation und die Einzige, die studiert hatte. Da kam viel zusammen, und Streit war sozusagen programmiert. Schlussendlich ist es mir zu viel geworden. Ich stand kurz vor dem Burn-out durch den Stress und das Familien-Mobbing, das ich im Unternehmen erlebte. Ich hatte das Gefühl, dass ich kaputtgehe, wenn ich jetzt nicht die Kurve kriege.

Bianca Esser hat sich aus dem Familienunternehmen wieder zurückgezogen. / Foto: Bianca Esser
Das operative Geschäft als Gesellschafterin hinter sich lassen zu wollen ist eine Sache. Wenn die Gründe für den Ausstieg die Familienkonstellation, Streit und Burn-out sind, ist das für die Familie brisant. Wie haben Sie den Ausstieg und die Gründe dafür kommuniziert?
Ich wusste, dass der Haussegen schief hängen wird, egal, wie und aus welchen Gründen ich das Unternehmen verlassen werde. Meine Mutter, die eine der drei Töchter des Gründers ist, wohnte mir zu dieser Zeit gegenüber. Der Weg über die Straße hat sich angefühlt wie der Gang zur Guillotine. Und damals war meine Intention lediglich, ihr darzulegen, dass ich meinen Workload erst einmal auf halbtags reduzieren möchte. Die Streitigkeiten, den Druck und die schlechte Familiensituation im Unternehmen habe ich noch gar nicht angesprochen. Als ich ihr dann nahelegte, dass ich mich auf weniger Zeit zurückstufen möchte, hat sie die Welt nicht mehr verstanden. Ich sollte doch ihren Posten übernehmen. Sie wollte sich zurückziehen und das Feld mir als dritter Generation überlassen. Das war eine schwere Phase, und es hat Zeit gebraucht, bis sie meinen Schritt akzeptiert hat. Erst später hat sie erfahren, dass meine Gründe schwerwiegend waren.
Wie hat Ihre Mutter dann reagiert?
Sie hat eine komplette Wendung gemacht und mich dann auch voll unterstützt, das Unternehmen und meine operative Rolle komplett zu verlassen.
Sie haben anschließend die BE! Academy gegründet, mit der Sie Selbständigen und Unternehmern zu mehr Erfolg verhelfen wollen. Welche Dimension hat bei der Gründung Ihre Rolle als Gesellschafterin und auch als Nachfolgerin im operativen Bereich des Unternehmens gespielt?
Durch die für mich schwere Zeit im Unternehmen habe ich viel gelernt. Klar, in der Zeit unserer Firma ging es mir nicht gut, und das hat mich sehr geprägt. Auf der anderen Seite hat mir das auch geholfen, mich selbst zu entdecken und heute dem nachzugehen, was ich als meine Leidenschaft beschreiben würde: anderen Menschen zu helfen, ihre Probleme zu lösen, auf ihr nächstes Wachstumslevel zu kommen und so erfolgreich ihren Weg gehen zu können. Ich sehe es durchaus als Vorteil an, dass ich nicht gleich ins Unternehmen eingestiegen bin, weil ich durch meine Studienzeit und die beiden vorherigen Stellen in anderen Unternehmen einen anderen Blickwinkel auf das Unternehmen hatte.
Muss man erst schlechte Erfahrungen mit dem Familienunternehmen machen, um es objektiv zu betrachten?
Ich will es mal so sagen: Als Unternehmerkind wird man schon auf das Familienunternehmen konditioniert, durch Erziehung und auch durch Sprache. Beispielweise haben mein Großvater und meine Mutter mir gegenüber immer von „unserer Firma“ gesprochen. Wenn man das von klein auf oft hört, dann denkt man irgendwann auch so. Wenn du dich immer mit dem Unternehmen beschäftigst, dann wird es ein Teil von dir. Man wird förmlich zum Unternehmen gezogen. Und dann kam mein Opa natürlich auch noch auf mich zu und fragte, wann ich denn endlich in die Firma kommen würde. Da ist der Einstieg irgendwann fast unausweichlich, denn wenn man nicht ins Unternehmen geht, enttäuscht man die Familie. Also bin ich dem Ruf gefolgt, als meine Mutter sagte: Wir brauchen dich im Unternehmen. Und dann bin ich eingestiegen und habe in der Realität der operativen Arbeit das Unternehmen und die Arbeit dort immer mehr als Last gesehen. Und trotzdem bin ich zehn Jahre geblieben und habe mich durchgekämpft, weil man das eben so macht, wenn man Unternehmerkind oder -enkelin ist.
Ihr Großvater hatte vermutlich nicht im Sinn, dass die drei Stämme der Familie in dritter Generation streiten und seine Enkelin durch die Tätigkeit im Unternehmen unglücklich ist. Wie schätzen Sie heute seinen Blick auf die Unternehmensnachfolge ein?
Es sollte seinen Nachkommen nicht so gehen wie ihm, das war ihm das Wichtigste. Mein Großvater musste sehr oft von vorne anfangen. Im Zweiten Weltkrieg verlor er sein Tankstellenunternehmen, es wurde von den Nazis beschlagnahmt. Nach dem Krieg baute er im Osten wieder ein Unternehmen mit Tankstellen auf. Das wurde allerdings von den Russen beschlagnahmt, und er wurde enteignet. Nachdem er in den Westen nach Schweinfurt geflohen war, gründete er erst eine Wäscherei, die er wieder verkaufte, und dann startete er zum vierten Mal neu und baute dieses Mal mit seinen drei Töchtern einen Mineralölhandel und ein Tankstellennetz auf. Das Unternehmen lief gut nach der Gründung, und so hat er seine Schwiegersöhne und Enkel allesamt ins Unternehmen geholt. Er wollte, dass es allen in der Familie gutging. Sein Verständnis war: Wenn alle im florierenden Familienunternehmen mitarbeiten, werden auch alle monetär profitieren. Das stimmte zwar, aber eine echte Wahl zwischen Einstieg und Dem-Unternehmen-fern-bleiben hatten meine zwei Tanten und meine Mutter als zweite Generation damals nicht.
In der dritten Generation spitzte sich die Situation dann zu. Wie stehen Sie zu der verbreiteten Idee, dass unter dem Enkel beziehungsweise der Enkelgeneration das Unternehmen besonders häufig zerfällt?
Der Gründer hat eine Vision und steckt alles, was er an Zeit, Wissen und Geld hat, ins Unternehmen, um es operativ erfolgreich zu machen. Die ganze Unternehmensvision und -organisation ist sein Baby, das meistens gehütet und getragen wird durch den Ehepartner und die Kinder, ob sie es wollen oder nicht. Und das ist die Krux. Es ist nicht ihre Vision, nicht ihr Baby, und so gehen sie einen Weg, der eigentlich der Weg des Unternehmers sein sollte.
Inwiefern?
Ab der zweiten Generation gilt es, im Sinne des Gründers und seiner Vision zu handeln und damit das Unternehmen weiterzutragen. Oft verbiegen sich die Menschen dabei. Wenn man nicht seinen Weg geht, sondern den eines anderen, kann man daran zerbrechen. Die Folge kann Krankheit oder zu hoher psychischer Druck sein. Anders als viele glauben, sollten Firmengründer nicht den Fehler begehen, dass die zweite Generation auch operativ einsteigen muss oder sollte. Die Rolle des Gründers lässt sich nicht reproduzieren. Er muss der nächsten Generation das Wissen und die Freiheiten geben, mit denen sie das Unternehmen wie ein Steuermann lenken kann, aber mit einem eigenen Kurs und einem Ansatz der Selbstverwirklichung. Wenn das zwischen der ersten und zweiten Generation oder spätestens der dritten Generation verpasst wird, dann kann die dritte Generation das nicht mehr auffangen.
In dem Fall sollte man die operative Führung besser abgeben?
Ja. Mein Opa hat genau dies durch seine vielen Unternehmensaufbauten vorausgesehen und sich schon frühzeitig um einen Geschäftsführer gekümmert. Jahrelang wurde das Unternehmen erfolgreich durch seinen Schwiegersohn und heute durch zwei externe Geschäftsführer geführt. Er fungierte tatsächlich zu dieser Zeit nur noch als Steuermann. Allerdings versäumte er, die Funktion als Entrepreneur seinen Kindern und Enkelkindern beizubringen. Sie hingen alle im Operativen fest. Und zu viele Manager verderben den Brei. Die erste und zweite Generation muss der dritten nicht beibringen, wie man ein Unternehmen führt, sondern wie man das Familienvermögen erhalten und vor allem vermehren kann. Erfolgreiche Unternehmen in mehreren Generationen haben die Firma so aufgestellt, dass sie autark dasteht und die Familie als Impulsgeber agiert, aber nicht als operativ handelnder Kopf.
Dafür muss aber auch gegeben sein, dass es mit der Vermögensnachfolge klappt.
Definitiv. Und wenn Nachfolgerinnen und Nachfolger sich nicht für das Familienunternehmen interessieren, dann sollten sie auch die Chance haben, ausbezahlt zu werden oder das Unternehmen zu verlassen.
Haben Sie für sich über diese Option nachgedacht?
Ich habe das Unternehmen verlassen. Unser Gesellschaftervertrag hält fest, dass man seine Anteile nicht verkaufen kann. Das habe ich auch nie in Betracht gezogen. Ich verbinde meine Gesellschafteranteile nicht mit den schlechten Erfahrungen, die ich operativ im Unternehmen gemacht habe. Ich möchte, dass das Unternehmen weiterhin besteht und seine Daseinsberechtigung hat. Aus dem Grund übernehme ich das Erbe gern.
Denken Sie heute im Alter von 52 anders über Unternehmensnachfolge?
Ich bin sicher, dass unser Stamm es schaffen wird, unser Erbe in die kommenden Generationen zu geben. Meinem Sohn, der erst 14 Jahre ist, bringe ich heute schon bei, mit Geld umzugehen und Geld zu vermehren. Ich denke auch, dass es das Vermächtnis meines Großvaters ist, dass seine Familie vom Unternehmen profitiert und ein gutes Leben leben kann, ohne dass auf Teufel komm raus jemand aus der Familie an der Spitze stehen muss. Das zu erfüllen, muss unser Anspruch sein.