Gerade in der Krise kann es gut sein, wenn die junge Generation neue Ideen einbringt. Das zeigt der Hausgerätehersteller Gebr. Graef GmbH & Co. KG: Seit 2016 arbeiten die Schwestern Johanna Graef-Krengel und Franziska Graef an ihrer Vision für das Unternehmen, zweistellige Wachstumsraten inklusive.

Umsatzzahlen zu kommunizieren ist nicht zwangsläufig eine schöne Aufgabe, schon gar nicht mitten in einer globalen Wirtschaftskrise. Für Hermann Graef, Geschäftsführender Gesellschafter der Gebr. Graef GmbH & Co. KG, war das diesen Sommer anders. Die Halbjahreszahlen, die der Haushaltsgerätehersteller aus Arnsberg im Sauerland Mitte August vorlegte, konnten sich durchaus sehen lassen: Trotz eines kurzfristigen Umsatzeinbruchs von 60 Prozent im April verzeichnete das Unternehmen ein Wachstum von insgesamt 13,1 Prozent. Im Geschäftsbereich Haushaltsgeräte für Endkunden, vom Allesschneider über den Messerschärfer bis zur Siebträgermaschine, lag das Umsatzwachstum bei 18,9 Prozent, im Inland sogar bei 21,3 Prozent. Dass Hermann Graef ausgerechnet in der Pandemie mit solchen Zahlen aufwarten kann, ist nicht nur auf seine langjährige Erfahrung an der Spitze des Unternehmen zurückzuführen, sondern vor allem auf seine Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen: Seit 2016 verändern seine Töchter Johanna Graef-Krengel (31) und Franziska Graef (30) in Absprache mit der Vorgängergeneration grundlegend das Erscheinungsbild des Familienunternehmens. Dass ihre Vision die Firma, die 136 Mitarbeiter beschäftigt und rund 38 Millionen Euro Umsatz schreibt, auf die Ausnahmesituation der Pandemie vorbereiten würde, konnte damals noch keiner wissen.

Aktiv – oder gar nicht

Hermann Graef hatte seinen Kindern in Bezug auf den Einstieg in das Familienunternehmen nicht unbedingt goldene Brücken gebaut. „Mein Vater hat uns zu keinem Zeitpunkt zur Nachfolge angehalten“, sagt Johanna Graef-Krengel. „Er hat uns immer dazu motiviert, unseren eigenen Interessen nachzugehen.“ Allerdings machte er auch klar, dass die Gebr. Graef GmbH & Co. KG kein Ort ist, an dem sich Gesellschafter entspannt zurücklehnen. Vielmehr wird seit jeher erwartet, dass der erwirtschaftete Gewinn für die Weiterentwicklung des Unternehmens investiert wird. „Man muss sich sein Gehalt im Unternehmen verdienen“, so Graef-Krengel. Daraus resultiert die langjährige Regel, dass nur aktiv mitarbeitende Familienmitglieder auch am Unternehmen beteiligt werden. Aktuell besteht der Gesellschafterkreis aus drei Vertretern der dritten Generation: Hermann Graef, der Vater von Johanna und Franziska, und sein Cousin Andreas Schmidt sind Geschäftsführer. Der dritte Gesellschafter Reinhard Graef, ebenfalls ein Cousin, arbeitet im Unternehmen als Leiter des Qualitätsmanagements.

Mit Johanna Graef-Krengel und Franziska Graef ist nun die vierte Generation im Familienunternehmen am Start. Die Schwestern stehen sich, wie sie sagen, sehr nahe. Altersmäßig trennen sie nur neun Monate, Johanna Graef-Krengel wurde im Alter von vier Monaten von Hermann Graef und seiner Frau adoptiert. „Wir sind praktisch wie Zwillinge aufgewachsen“, sagt sie. Als die Schwestern später zeitgleich in Bielefeld studieren, ist klar, dass nur die jeweils andere als WG-Mitbewohnerin in Frage kommt.

Weniger einig sind sie sich zu jenem Zeitpunkt mit Blick auf die Nachfolge. Johanna Graef-Krengel fasst schon in der Oberstufe den Entschluss, ins Familienunternehmen einzusteigen. „Es war immer klar: Die ganze erweiterte Familie dreht sich um das Unternehmen. Ich wollte meinen Teil dazu beitragen, das für die Zukunft zu erhalten.“ Entsprechend zielgerichtet entscheidet sie sich für ein Studium der Betriebswirtschaft in Bielefeld und macht in Köln ihren Master in Marktorientierter Unternehmensführung. 2013 kommt sie ohne Umwege ins Unternehmen, zunächst als Assistentin im Vertrieb, der mit dem Vertriebsleiter bis dato aus genau einer Person besteht.

Info

Die 100-jährige Geschichte der Gebr. Graef GmbH & Co. KG wurde bisher vor allem von Männern gemacht. Gründer Hermann Graef vererbte bei seinem Tod im Jahr 1951 seinen vier Söhnen die Firma zu gleichen Teilen, die alle vier operativ im Unternehmen mitarbeiteten. Die drei Töchter wurden damals nicht berücksichtigt. In der zweiten Generation vererbten zwei der vier Brüder ihre Anteile jeweils an ihre ältesten Söhne, Hermann und Reinhard Graef. Die beiden anderen Brüder bleiben kinderlos. Sie begünstigten ebenfalls die genannten Erben und zusätzlich ihren Neffen Andreas Schmidt, ebenfalls Vertreter in dritter Generation.

Mit der vierten Generation verändert sich die bekannte Rollenaufteilung zwischen den Geschlechtern: Mit Johanna Graef-Krengel (Mitte links) und Franziska Graef (Mitte rechts)kommen die Töchter von Hermann Graef in die Verantwortung. Sie glauben an das Modell der Doppelspitze und streben gemeinsam die Nachfolge in der Geschäftsführung an. Ihr drei Jahre älterer Bruder Fabian Graef hat sich frühzeitig gegen einen Weg in die Geschäftsführung entschieden. Derweil arbeitet Hermann Graef an den Gesellschafterverträgen und einer Lösung für die Anteilsübertragung an die vierte Generation.

Ein weiterer Grundsatz im Familienunternehmen ist: Jeder muss sich hocharbeiten, auch Familienmitglieder. Junior-Key-Account-Manager, Key-Account-Manager, Leiterin des Inlandsvertriebs – das sind die Stationen, die Johanna Graef-Krengel in der Folge durchläuft. Als der Vertriebsleiter 2016 in Rente geht, übernimmt sie die Abteilung. Dabei steht der Aufbau von professionellen Strukturen bis heute auf ihrer Agenda. Inzwischen gehören zu ihrem Team der Vertriebsinnendienst, der Deutschland-Chef mit drei Key-Account-Managern plus Außendienst, erst Anfang des Jahres kam ein Exportleiter dazu.

Anders als bei Johanna ist für ihre Schwester Franziska zunächst nicht klar, dass ihr Weg sie einmal in das Familienunternehmen führen wird. Nach dem Abitur studiert sie aus Interesse in Bielefeld fünf Semester Jura. Doch das Unternehmen bleibt in der Familie ein allgegenwärtiges Thema. Und auch die Entschlossenheit der Schwester macht Eindruck auf Franziska Graef. Sie wechselt auf Businessmanagement in Iserlohn, gefolgt von einem berufsbegleitenden Master im Fach Corporate Management. Drei Jahre nach Johanna kommt Franziska 2016 ins Unternehmen. Sie beginnt als Mitarbeiterin im Marketing – auch das eine kaum existente Abteilung, in der erst Grundlagenarbeit geleistet werden muss. Dass Graef schon in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder als starke Marke ausgezeichnet wurde, erstaunt die Schwestern einigermaßen. „Mit ernsthaftem Marketing haben wir erst vor drei Jahren angefangen“, sagt Franziska Graef.

„Ich habe mich damals extrem über Franziskas Entscheidung gefreut“, sagt Johanna Graef-Krengel heute. „Es war klar: Wenn wir bei Graef wirklich etwas verändern wollen, dann am besten zusammen.“ Aus ihren jeweiligen Aufgaben in Vertrieb und Marketing heraus entwickeln die Schwestern gemeinsam ihre Vision für Graef, die den Hersteller näher an den Endkunden heranführen soll. Ein zentraler Baustein ist 2018 der Start eines eigenen Online-Shops, der die klassischen Vertriebswege über Kaufhäuser und Fachhandel ergänzen soll. Nach außen hin deutlich sichtbarer ist ihr Konzept für die Neupositionierung der Marke: weg von den rein technischen Themen und sterilen Hochglanzoberflächen hin zu einer Emotionalisierung der Produkte. Rückendeckung für den neuen Kurs holen sie sich bei Helmut Geltner, dem langjährigen Deutschland-Chef des italienischen Kaffeemaschinenherstellers De’Longhi, der die Schwestern als strategischer Berater des Unternehmens unterstützt. In der neuen Markenwelt von Graef wird gekocht, zubereitet, gegessen und getrunken. „Wir bringen die Geräte hinein in die Küche“, fasst Franziska Graef zusammen.

Zudem verordnen die Schwestern sich eine Social-Media-Offensive. Neben Starkoch Johann Lafer gewinnen sie die Food-Bloggerin Sally als Testimonial, die allein auf YouTube mehr als 1,8 Millionen Abonnenten hat. 2018 eröffnet Graef unter dem Titel „Graefs Mundwerk“ das komplett restaurierte historische Verwaltungsgebäude als Markenzentrum mit Bistro. Analog dazu geht eine Online-Plattform rund um das Erlebnis der Marke online, inklusive Blog, Rezeptvorschlägen, Tipps und Tricks – und Franziska Graef als kochender Gastgeberin. Diese neue Nähe zum Kunden ist der zentrale Faktor für den Erfolg im Krisenjahr 2020, in dem der Rückzug in die eigenen vier Wände ein starkes Thema ist.

Ideeller Freiraum, finanziell unterfüttert

Das alles kostet natürlich. Zum Glück hat die Vorgängergeneration die beiden Schwestern nicht nur ideell mit viel Freiraum ausgestattet, sondern auch mit dem notwendigen Kapital. Im Marketing liegt das Budget heute bei 2,5 Prozent des Umsatzes, das ist mehr als doppelt so viel wie noch vor vier Jahren. „Wir haben in den vergangenen Jahren viel in unsere Marke und das Marketing investiert. Diese Früchte ernten wir jetzt“, sagte Hermann Graef anlässlich der Halbjahreszahlen. Das Unternehmen wächst seit drei Jahren zweistellig, und auch für 2020 erwartet er trotz erneutem Lockdown nochmal bessere Ergebnisse. Mehr noch als die reinen Zahlen erfreuen dem Unternehmer aber offenbar die grundlegenden Veränderungen durch den neuen Kurs. „Unser Vater hatte immer vor, mit 65 in Rente zu gehen“, sagt Franziska Graef. „Jetzt will er den Job noch viel länger machen als noch vor zwei Jahren, weil es ihm so viel Spaß macht.“ Ist das ein Kompliment oder eine Drohung? Die Schwestern bleiben entspannt. Seine Töchter nun plötzlich in ihrer Arbeit zu beschränken, wäre für den Vater ein Schnitt ins eigene Fleisch. Auch Hermann Graef ist da, wo er heute ist, weil er die nächste Generation hat machen lassen.

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