Ein diverses Portfolio ist Ziel jedes Vermögensinhabers – nicht erst seitdem ein dauerhafter Krisenmodus herrscht. Neben Aktien, Immobilien und Real Assets finden deshalb immer häufiger Direktbeteiligungen Einzug in den Wertekorb von Unternehmerfamilien und ihren Family Offices. Die Dynamik in der Start-up-Szene ist dabei Fluch und Segen zugleich: Sie eröffnet Investitionsmöglichkeiten en masse, doch ist es schwierig, diejenigen jungen Unternehmen ausfindig zu machen, deren Geschäftskonzept und Struktur ausreichend belastbar sind, um verlässliche Renditen einzufahren. Single Family Offices, die typischerweise mit nur einer Handvoll Mitarbeitern agieren, fehlen die Kapazitäten für eine strukturierte Akquise solcher Investitionsobjekte.
Um ihre Beteiligungsstrategie auf breitere Füße zu stellen, könnten Family Offices ihr Deal-Sourcing automatisieren – zumindest teilweise. Denn es gibt Softwareprogramme, die gemäß individuell festgelegter Kriterien investitionswürdige Start-ups finden. In diesen Programmen sammeln und bewerten Algorithmen sämtliche öffentlich verfügbaren Daten zu bestimmten Unternehmen und präsentieren dem Nutzer anschließend eine Liste möglicher Beteiligungsobjekte. „Handelsregistereinträge, LinkedIn-Profile der Gründer, Klicks auf der Webseite, Zahlungsdaten, Produktfeedback in Foren, Anmeldungen beim Patentamt, Anzahl von Downloads im App-Store“, zählt Andre Retterath die unterschiedlichen Quellen auf, die ein Algorithmus für die Analysen nutzt. ITler nennen dieses strukturierte Durchsuchen von Onlinequellen „crawlen“, englisch für „kriechen“. Nach welchen Kriterien der Algorithmus Unternehmen in die engere Auswahl aufnimmt – etwa: mehr als fünf angemeldete Patente – bestimmt der potentielle Investor.
Erfolg automatisiert voraussagen
Andre Retterath hat seine Doktorarbeit zu Beteiligungsakquise per Algorithmus geschrieben und mit selbst programmierten Anwendungen die Methodik in der Realität getestet. Nach seinem Mechatronikstudium hatte er zunächst in der Prozessautomatisierung und vorausschauenden Wartung eines Industriekonzerns gearbeitet und dort datengetriebene Steuerungsprozesse etabliert. Im anschließenden Masterstudium kam er durch ein Praktikum mit der Wagniskapitalszene in Kontakt und fragte sich, ob sich auch der Erfolg junger Unternehmen automatisiert voraussagen lasse. „Die Antwort war ja“, weiß er heute.
Denn die Software kann nicht nur in großem Stil Daten sammeln, sondern auch lernen, die Erfolgsfaktoren zu erkennen. „Wir analysieren dafür diejenigen Unternehmen, die heute sehr erfolgreich sind, und schauen uns die Daten an, die vor fünf Jahren zu ihnen verfügbar waren. Indem wir sie in großem Maße zusammenführen, können wir Rückschlüsse dazu ziehen, welches die entscheidenden Kennzahlen und Muster waren“, erklärt der Computer-Wissenschaftler. Eine Künstliche Intelligenz (KI) könne diese Rückschlüsse erlernen, fortlaufend durch neue Daten verbessern und auf aktuelle Investmentopportunitäten anwenden. Sie listet dann nicht mehr nur Unternehmen mit mehr als fünf angemeldeten Patenten auf, sondern bezieht viele verschiedene Faktoren in die Auswahl ein.
Neu ist diese Technik nicht, Fondsgesellschaften und Venture-Capital-Geber wenden sie bereits seit einigen Jahren an. Auch der Impact-Investor Capacura hat sich eine KI programmiert, um Start-ups aufzutun, in die er investieren möchte. „Wir suchen nicht das beste Start-up der Welt“, erklärt Geschäftsführer Ingo Dahm. „Vielmehr suchen wir Start-ups, die einen positiven Impact auf Gesundheit, Umwelt oder Bildung erzielen und denen wir mit unserem Kapital und unserem Know-how eine Wertsteigerung verschaffen können.“ Das ist eine komplexe Anforderung für die Auswahl. Aber auch diese könne eine Akquise-KI treffen, wenn man sie richtig schule, sagt der Investor.
Die Künstliche Intelligenz bewertet Targets neutral
Aus der Sicht von Ingo Dahm spricht vor allem die Neutralität der Bewertungen für die Vorauswahl per Algorithmus: „Es gibt viel Forschung dazu, wie stark sich Menschen von Vorurteilen leiten lassen. Wenn zum Beispiel ein Investment eine gute Rendite abgeworfen hat, neigt der Investor bei der nächsten Auswahl dazu, ähnlichen Gründertypen den Zuschlag zu geben – rational sinnvoll ist das aber nicht.“ Eine automatisierte Analyse sei immer neutral und sorge dadurch für korrektere Ergebnisse und verlässlichere Renditen. „Indem sich das Programm seine Daten selbst ‚zusammencrawlt‘, vermeidet es diesen sogenannten Confirmation-Bias“, betont Dahm.
So sinnvoll es klingt, eine KI bei der Beteiligungsakquise einzusetzen, so hoch ist für ein Single Family Offices die Einstiegshürde. Denn das Entwickeln einer eigenen KI-Lösung ist teuer und komplex. „Unsere Entwicklungskosten waren deutlich sechsstellig“, berichtet Ingo Dahm. Der Einkauf einer fertigen Anwendung bewege sich seinen Informationen nach in ähnlichen Dimensionen. Da ein Data-Scientist nicht zur typischen SFO-Belegschaft gehört, aber für die korrekte Schulung der KI nötig ist, entstehen zudem weitere laufende Personalkosten. „Wenn nur ein einziges Start-up-Investment nicht kaputtgeht, hat sich die Software aber trotzdem rentiert“, findet Dahm.
Warten auf Lizenzmodelle
Andre Retterath glaubt daran, dass sich mittelfristig Lizenzmodelle etablieren werden, wenn mehr Einzelinvestoren oder Single Family Offices Bedarf an der automatisierten Beteiligungsakquise anmelden. Der Münchner Frühphaseninvestor Earlybird, für den Retterath seit seiner Promotion die Entwicklung einer datengetriebenen Sourcing- und Screeningsoftware leitet, ermöglicht ausgewählten Investoren im Fonds schon jetzt die teilweise Nutzung seiner Lösung. Einige große Technologieberater haben ähnliche Angebote.
Die gesamte Verantwortung fürs Deal-Sourcing wolle er keiner Künstlichen Intelligenz übertragen, so gut sie auch programmiert sei, das ist Ingo Dahm wichtig. „Die KI sorgt dafür, dass Start-ups viel schneller in den eigenen Analyseprozess durchlaufen, als man mit manueller Recherche schafft. Und sie trifft eine neutrale Vorauswahl. Die finale Entscheidung aber obliegt weiterhin dem Single Family Officer.“