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Ehrlich gesagt: Ich war noch nie happy mit der LinkedIn-Community. Zu viel Eigenlob. Völlig austauschbare Einblicke aus dem ach so interessanten Arbeitsalltag. Alles am Ende darauf ausgelegt, viral zu gehen. Denn das ist es eben, was man macht, in dieser Ökonomie der Aufmerksamkeit. Vor knapp einer Woche veröffentlichte Verena Bahlsen, Erbin aus der Hannoveraner Süßwaren-Familie und bis zuletzt Chief Mission Officer der Bahlsen Group, einen langen LinkedIn-Post. Die Quintessenz: Sie werde ihre Stelle bei Bahlsen erst einmal hinter sich lassen, da sie die Arbeit im eigenen Familienunternehmen zunehmend an mentale Grenzen brachte.
In dieser trostlosen Einöde der eigenen Beweihräucherung ein erstaunlich verletzliches, man möchte fast sagen ehrliches Statement.
Die Anzahl der Reaktionen beweist, dass der Post die Lesenden offenbar berührt. Aber viele nicht in der Richtung, die man vielleicht erwarten würde. Statt die Offenheit der Nachfolgerin zu loben, sich mit einem solchen Statement an die Öffentlichkeit zu wagen, wird wild kommentiert. Das passe zur heutigen Jugend, dieses Einknicken vor Herausforderungen – so ein Fazit in der Kommentarspalte. Die Bahlsen falle doch weich, sie gehe erstmal surfen, sie könne sich das ja leisten zu scheitern. Ein User behauptet gar: als Führungskraft müsse man da durch. Die Springerpresse in Gestalt der Welt am Sonntag setzt noch einen drauf und kürt Verena Bahlsen zur Verliererin der Woche.
Führungskräfteroboter
Mal abgesehen von dem Druck, der in vielen Unternehmerfamilien bei der NextGen herrscht, die Nachfolge und das Vermächtnis anzunehmen und in die Fußstapfen der Vorgängergeneration zu treten – was zeigen solche Reaktionen eigentlich für das Denken vieler über Führung und Verantwortung?
Nach den Kommentaren zu urteilen, wünschen sich offenbar viele Menschen, von einer Art emotionslosem Arbeitsroboter geführt zu werden. Der nie Schwäche zeigen darf und der selbst dann noch weitermacht, wenn es ihm mental schlecht geht.
Nach dieser Logik ist jemand, der nicht mit Herz und Seele bei der Sache ist, als Führungskraft besser angesehen als jemand, der die Stelle hinter sich lässt, weil er oder sie dieser Rolle nicht gewachsen ist.
Ich höre schon den Einwand: Wenn sie kein Unternehmerkind gewesen wäre, wäre sie sowieso nie in der Position gelandet! Aber ist das wirklich der Punkt? Allerorten werden Menschen einmal zu viel befördert, und landen dann in einer Position, für die sie nicht geeignet sind. Die Frage ist: Was macht man damit?
Einen Gipfel zu besteigen, mag eine fantastische Leistung sein. Aber kurz vorher umzudrehen, weil man spürt, dass die Kraft schwindet und die Gefahr besteht, dass man krank und geschwächt zurückkommt, ist eine viel größere Leistung. Das eigene Familienunternehmen und eine spannende Rolle dort hinter sich zu lassen, zeugt von Größe.
Das Statement von Verena Bahlsen ist eine Chance
Niemand sollte sich im Beruf quälen müssen – auch nicht Mitglieder von Unternehmerfamilien, die neben ihren operativen Aufgaben womöglich auch Gesellschafteranteile haben und somit in doppeltem Maße dafür verantwortlich sind, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Für das Unternehmen Bahlsen ist der Abgang der jungen Nachfolgerin eine Chance zu einer positiveren Arbeitskultur, einem offeneren Umgang mit Führungsverantwortung und Fehlerkultur. Diese Aufgabe fällt vor allem dem neuen CEO Alexander Kühnen zu, der das Unternehmen im Januar zu führen beginnt. Der ist übrigens Bergsteiger. Kennt sich also auf steinigem Untergrund aus. Und nach dem WamS-Kommentar haben sich auch auf LinkedIn viele Userinnen und User mit Bahlsen solidarisiert. Hoffentlich aus Überzeugung und nicht, um als Trittbrettfahrer wieder Viralität zu generieren.