Angela De Giacomo, Sie haben die Auflage des Buches „The Venture Capital Playbook – How families and family offices can invest in startups successfully“ erweitert. Warum?
Wir haben das Buch im Oktober 2024 herausgebracht und im Dezember 2024 mussten wir es schon nachdrucken. Ich war überrascht, wie viele Menschen mir geschrieben haben. Das Feedback war oft sehr praktischer Natur: Es gab Vorschläge, das Buch um weiterführende Tabellen, Checklisten sowie Rechenbeispiele zu ergänzen und dabei auch, wie bei amerikanischen Sachbuchformaten üblich, mit QR-Codes und weiterführenden Links zu arbeiten. Das habe ich zusammen mit acht Anwälten und Steuerberatern der Anwaltskanzlei Heuking umgesetzt.
Sie haben auch vier neue Familien und Venture-Investoren als Interviewpartner gewonnen.
Eine Ergänzung ist Katja Ruhnke, die mit ihrer Familie früh in Start-ups investiert hat und jetzt Vorstandsvorsitzende des Business Angel Verbands ist. Es war wichtig, ihre offizielle Stimme zu gewinnen. Ein weiterer neuer Impulsgeber ist Christoph Sonnen, der gemeinsam mit Horst Bente, dem Enkelsohn des Adidas-Gründers, Venture im Sport- und Gesundheitsbereich als Vehikel verwendet, um das Vermächtnis des Großvaters weiterzuführen. Und dann dachte ich, es sei sinnvoll, mit Noel Zeh die Fund-of-Fund-Perspektive aufzuzeigen sowie die grundsätzliche Bedeutung von Venture für einen Innovationsstandort wie Deutschland durch das Interview mit Frank Kerim Reinecke, Partner bei HTGF, aufzuzeigen.
Aus Schweden, Italien und auch Saudi-Arabien haben Sie unter anderem Einladungen erhalten, um das Buch vorzustellen. Mit welchen Eindrücken sind Sie von Ihren Lesereisen zurückgekehrt?
In Riad fand im Februar eine sehr große Konferenz statt, wo zum Beispiel auch interessierte Familien aus Ägypten, Tunesien oder dem Libanon zu unserer Buchlesung kamen, und sogar Mitglieder von Ministerien waren in der Runde vertreten. Es ging um Venture Capital und dessen Bedeutung für Felder wie die Künstliche Intelligenz und andere zukunftsweisende Themen, da viele lokale Investoren jetzt anfangen, sich mit dieser Art des Investments zu beschäftigen. Daher hatte diese Konferenz eher einen weiterbildenden Charakter. Was mich beeindruckt hat und was dort wirklich viel mehr zu spüren ist als bei uns in Europa: Die Regierenden in Riad oder auch in Dubai sind extrem zukunftsorientiert, sie setzen sich intensiv mit den Fragen auseinander, was die Zukunft für ihre Region bedeutet und wie sie ihre Bevölkerung am besten auf diese Zukunft vorbereitet.
Investieren Unternehmerfamilien im Ausland anders in Venture Capital als in Deutschland?
Ich denke, das hängt stark davon ab, wann in einem Land Vermögen entstanden ist. In vielen osteuropäischen oder asiatischen Ländern gibt es beispielsweise seit der Marktöffnung in den späten 90er Jahren viele neue Unternehmer, die sich ein Vermögen erarbeitet haben. Für sie spielt Venture eine zunehmend wichtige Rolle, weil sie unternehmerisch denken und junge Gründer in ihren Ländern fördern und beim Aufbau ihrer Unternehmen unterstützen wollen. Aber ihnen fehlt das Wissen und die Erfahrung in diesem Investmentfeld. Dann gibt es Länder, in denen das Vermögen schon sehr lange vorhanden ist und bereits mehrfach über Generationen übertragen wurde. Da erlebe ich zwei Dinge: Die jüngere Generation hat einerseits Interesse an Venture, weil es einfach eine innovative Art des Investierens ist. Andererseits will sie über Venture gesellschaftlich relevante Themen anpacken, Stichwort Klimawandel oder erneuerbare Energien. Hier beobachte ich aber die Sorge, zu risikoreich zu investieren und das Familienvermögen zu gefährden. Daher ist auch hier das Thema Weiterbildung, Venture Capital als Teil der strategischen Assetallokation zu sehen, gefragt.
Was sind weitere Gründe dafür, dass deutsche Unternehmerfamilien in der VC-Branche nicht richtig Fuß fassen?
Ich sehe drei Aspekte. Erstens: Der erste Ansprechpartner vieler deutscher Familien, die sich überlegen, Venture in ihrer Anlagestrategie zu integrieren, sind ihre Hausbanken. Die sind exzellent in vielen Anlageklassen, aber eben nicht bewandert in Venture, vor allem in den frühen Phasen. Das heißt, Unternehmerfamilien finden dort weder Weiterbildung noch die Zugänge zu Venture-Investments. Zweitens gehen diejenigen, die in Venture investiert sind, nicht immer systematisch vor. Sie investieren vielleicht in fünf oder sechs Start-ups in der Frühphase, testen somit punktuell den Markt und holen sich leider viel zu häufig mangels Kenntnis und Erfahrung eine blutige Nase. Meine dritte Beobachtung: Unternehmerfamilien haben profunde Kenntnisse in Private Equity. Aber Private Equity ist eben nicht die große Schwester von Venture Capital, sondern eine ganz eigene Assetklasse, die einen Finanzierungshebel hat und sich idealerweise Unternehmen aussucht, die reif sind und Cashflows generieren. Und wo sich Mehrheiten übernehmen lassen. Ganz anders Venture Capital: unerfahrene Unternehmerfamilien neigen dazu, in der ersten Investmentrunde die Mehrheit einzufordern. Das aber erstickt den Deal im Keim, weil es später keinen Spielraum mehr für andere Investoren gibt, die die Risiken mittragen.
Info
Petra Gessner ist Diplom-Volkswirtin und seit 2015 Chefredakteurin des wir-Magazins. Ihr akademischer Weg führte sie von Freiburg im Breisgau in die USA und nach Chile, wo sie sich mit der Wirtschaftsgeschichte Lateinamerikas auseinandersetzte. Seit 2000 arbeitet sie in der F.A.Z.-Verlagsgruppe und ist Gründungsmitglied des Corporate Finance Magazins „FINANCE“, wo sie die Themen M&A und Private Equity verantwortete.

