Die Vermögensforschung ist ein sehr junger Wissenschaftsbereich. Wie ist sie entstanden?
Im Rahmen meiner Forschung zum Thema demographischer Wandel hatte ich Hunderte von Interviews mit Menschen im Alter zwischen 60 und 100 Jahren geführt. Einige der Interviewten waren sehr wohlhabend. So gewann ich vor gut zehn Jahren die Einsicht, dass der meist negativ besetzte Reichtumsbegriff nicht aussagekräftig war. Es fehlte eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit großem Reichtum. Ebenso eine eindeutige Grenze, ab wann jemand reich ist. Mir wurde klar, dass der Reichtumsbegriff nur eine quantitative Größe darstellt, während Vermögen auch immaterielle Elemente wie Lebensqualität, Lebenserfahrungen und Lebenswerte umfasst. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee der Vermögensforschung, um tiefer in diese Thematik einzudringen. Der Vermögensbegriff sollte die qualitative Seite des Reichtums verdeutlichen.
Worum geht es bei der Vermögensforschung?
Am Anfang ging es darum, eine philosophische und psychologische Auseinandersetzung mit Reichtum, Erfolg und Gewinn auf den Weg zu bringen. Vermögensforschung hat das Ziel herauszufinden, wie Menschen mit ihrem Vermögen umgehen – und zwar sowohl in materieller als auch immaterieller Hinsicht. Wie kommt man zu Erfolg? Was bedeutet Verantwortung? Wie wirkt Geld auf die Psyche des Menschen? Welche psychologischen Probleme ergeben sich durch Erfolg, Neid oder eine negative Resonanz in der Öffentlichkeit? Ein Kernbereich der Vermögensforschung ist die Vermögenspsychologie. Sie beschäftigt sich mit den inneren Wirkungen von Vermögen und analysiert, wie Vermögende denken, ticken und handeln.
Warum sind diese Fragestellungen wichtig?
Ihre Bedeutung liegt auf der Hand: 0,27 Prozent der Menschen weltweit verfügen über 40 Prozent des Reichtums – etwa 1.100 Milliardäre, 110.000 Multimillionäre mit einem Vermögen von über 30 Millionen Euro und 11 Millionen Millionäre. All jene Millionäre verfügen zusammen über 39 Billionen Dollar. Dieser Zusammenhang und die Folgeerscheinungen für die Gesellschaft machen meiner Ansicht nach diese Forschung unverzichtbar.
Wie würden Sie die Vermögenskultur in Deutschland beschreiben?
Vermögenskultur ist auch die Verantwortung, die Vermögende für ihre Gesellschaft übernehmen. Im Weltmaßstab ist sie in Deutschland durchaus ausgeprägt. Im Vergleich zu den USA gibt es zwar ein quantitatives Gefälle, das auf deutliche Mentalitätsunterschiede zurückzuführen ist. Diese Diskrepanz können wir mit dem wesentlich besseren Sozialsystem teilweise ausgleichen. Aber Großzügigkeit und Mildtätigkeit gab es auch in Deutschland schon immer.
Hat sich unsere Vermögenskultur im Laufe der Zeit verändert?
Die steigende Zahl von Stiftungsgründungen und Aktivitäten unzähliger Menschen zeigt, dass im vergangenen Jahrzehnt etwas in Bewegung geraten ist. Die Professionalität dieses Sektors ist aber weiterhin verbesserungswürdig. Auch gibt es zu wenig Großstiftungen, und die unendlich vielen kleinen Organisationen müssten sich effektiver vernetzen. Spenden und Schenken kann meiner Überzeugung nach aber immer nur Nothilfe sein. Wirklich nachhaltig ist sozialunternehmerisches Handeln, d.h. das Investieren in gemeinnützige Unternehmen, da es immer auch mit der Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden ist. Dieses sogenannte Social Business ist für mich der größte gesellschaftliche Gewinn und wird hoffentlich unsere Vermögenskulturstärker prägen als bisher. Insofern haben Familienunternehmer, die sich in sozial orientierten Unternehmen engagieren, eine wichtige Vorbildrolle. Ich bin überzeugt, dass sich familienorientiertes Bewusstsein in ein gesellschaftsorientiertes Bewusstsein übertragen lässt.
Gehört zur Vorbildrolle auch, dass Familienunternehmer häufiger über ihr Engagement sprechen?
Das würde ich nicht pauschalisiert fordern. Das kommt ganz auf den Menschentypus an. Entscheidend ist der wirkliche Beitrag und nicht so sehr die feierliche Hervorhebung. Gerade in Zeiten der medialen Überversorgung mit Eitelkeit und Selbstbeweihräucherung ist Handeln mit Bescheidenheit eine wunderbare Konstellation. Aber Sie haben insofern recht, als dass sich die Großzügigen nicht verstecken sollten, was leider oft der Fall ist.
Neid schreckt viele vor dem Gang in die Öffentlichkeit ab.
Neid ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ist er destruktiv, weil er lediglich missgönnt und an der Besserstellung anderer leidet. Andererseits kann ein gesundes Maß an Neid auch Ansporn sein. Die Anlage dazu liegt in jedem von uns, da sich jeder Mensch mit anderen vergleicht. Wir brauchen das zur Selbstorientierung. Neid wirkt allerdings extrem belastend, wenn ein gesellschaftliches Gefüge mit diesem Gefühl durchzogen ist. Ein Beispiel ist der Eindruck emotionaler Ungerechtigkeit. Schlechtes Management und unangemessene Entlohnung sowie hohe Boni und gesellschaftliche Ignoranz erzeugen Missmut. Dieser Zusammenhang ist nachvollziehbar. Aber es gibt auch den inszenierten Neid, um gesellschaftliche Milieus gegeneinander auf zubringen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Neid ein gefährliches Instrument und eine selbstzerstörerische Gefühlslage sein kann.
Wie können Familienunternehmer dem entgegenwirken?
Das kommt auf den Aspekt des Neides an. Wenn verdienter Erfolg geneidet wird, helfen Transparenz, Aufklärung und nachvollziehbare Erläuterungen, aber auch die Fähigkeit, die Leistungen anderer zu würdigen und hervorzuheben. Jedoch habe ich den Eindruck, dass Familienunternehmen ohnehin viel näher an den Menschen sind, als dies Konzernen und globalen Einrichtungen gelingt.
Im vermögenspsychologischen Teil Ihrer Studie „Vermögen in Deutschland“ schaffen Sie erstmals einen detaillierten Einblick in die Besonderheiten vermögender Menschen.
Die Kernfragen lauten: Wie reagieren Menschen auf Geld und Vermögen? Was bedingt ihre psychische Haltung? Ist es das Geld, oder sind es andere Faktoren? Im Ergebnis stellen wir fest, dass es eine Fülle von Einflussfaktoren gibt: die Familie, in die wir hineingeboren werden, das Milieu, die Kultur, Religion und so weiter. Wir versuchen, diese Faktoren in der Vermögenspsychologie zu untersuchen und zu benennen.
In der Studie wurden „mentale Typen“ herausgearbeitet. In welchen „Typen“ könnten sich Familienunternehmen wiederfinden?
Dazu gehört sicherlich „der Gönner“, der eine höhere gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt als andere. Er tut dies, weil er glaubt, die gesellschaftlichen Verhältnisse beeinflussen zu können. Seine Haltung basiert auch auf der Einschätzung, dass der Staat nicht alles lösen kann. 20 Prozent der Befragten gehörten in diese Kategorie. In die Gruppe der „Individualisten“ fielen zwar nur 5 Prozent, aber gerade diese Personen sind besonders stark von der eigenen Wirksamkeit und Leistung überzeugt. Bei diesem Typus fanden wir viele „Self-made“-Beispiele, die stark daran glauben, dass man besondere Fähigkeiten zum Aufbau einer Karriere braucht. Sie sind zu vielen Anstrengungen bereit, weil sie den eigenen Werdegang für gestaltbar halten. Dennoch rechnen sie auch mit den Launen des Schicksals. Die größte Gruppe stellte der „solidarische“ Typ dar. Er glaubt, sein Leben und sein Umfeld gestalten zu können und fühlt sich verpflichtet, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Sein Engagement tut seinem Selbstwertgefühl gut.
Gibt es Unterschiede im Umgang mit Vermögen zwischen den Generationen?
Die Einflussfaktoren sind vielfältig. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Familientradition. In Dynastien ist durchaus eine größere Routine zu beobachten. Man hat über Jahrzehnte gelernt, im Alltag mit Geld und Besitz umzugehen. Man weiß oder hat vielleicht erfahren, dass Vermögen auch vernichtet werden kann, dass es immer auch eine Hypothek ist. Junge Internetunternehmer denken und handeln viel kurzfristiger. Manchmal verdient man relativ schnell sehr viel Geld, muss aber auch wieder Einbußen hinnehmen. Demgegenüber stellt der Verlust von Vermögen für ältere Generationen häufig eine psychische und schwerwiegende Belastung dar. Scheitern wird vielmehr verinnerlicht und mit dem Verlust gesellschaftlicher Achtung gleichgesetzt. Insgesamt ist festzustellen, dass die Vermögenseinstellung zuweilen eher von der Milieuzugehörigkeit bestimmt wird als von der Zugehörigkeit zu einer Generation.
Welche Unterschiede gibt es im gesellschaftlichen Engagement zwischen Unternehmern und vermögenden Gruppen wie zum Beispiel Sportlern, Künstlern oder anderen Prominenten?
Es gibt gravierende Unterschiede. Gerade im Bereich der Prominenz sind viele „Luft blasen“ zu beobachten, die eigentlich über kein Werk verfügen, sondern nur mediale Erzeugnisse sind. Bei Sportlern und Künstlern ist das in vielen Fällen anders, da man deren Leistungen beurteilen oder messen kann. Sie eignen sich in dieser Hinsicht eher als Vorbilder. Ihr gesellschaftliches Engagement allerdings sollte im Rahmen ihrer Glaubwürdigkeit fair bewertet werden. Diese kritische Beobachtung gilt natürlich auch für Unternehmer. Allerdings scheinen mir die nachprüfbare und konkrete unternehmerische Leistung sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen die zentralen Formen gesellschaftlichen Engagements zu sein. Insofern glaube ich, dass das Unternehmertum für jede gelingende demokratische Gesellschaft eine der entscheidenden Grundlagen darstellt.
Das steht im Widerspruch zum oft negativen Bild des vermögenden Unternehmers und der sozialen Marktwirtschaft in der Öffentlichkeit.
Die Bedeutung des unternehmerischen Handelns ist jahrzehntelang unterbewertet worden. Aber jetzt entstehen im Zuge der Eskalation zwischen Finanzwirtschaft und Güterwirtschaft neue Chancen einer begründeten Selbstdarstellung. Die Leistungsfähigkeit muss aber dem Bürger auch vermittelt werden. Öffentlichkeitsarbeit heißt nicht nur Werbung, sondern auch Sinnschöpfung. Hier hapert es tatsächlich.
