Böllhoff Stiftung: Das Gegenteil von Alleingang

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
Teilen auf LinkedIn
Teilen per Mail
URL kopieren
Drucken

Wenn ein Unternehmer eine gemeinnützige Stiftung gründet und ihr seinen eigenen Namen gibt, kann das schnell den Eindruck eines Alleingangs erwecken: Als Stifter setzt er sein eigenes Kapital ein und wählt den Stiftungszweck nach seinem Belieben. Indem er die Gremien auf sich selbst zuschneidet, behält er womöglich bis zum Lebensende das Zepter in der Hand, und über den Namen setzt er sich auch darüber hinaus ein Denkmal. Möglich ist das. Auch auf Wolfgang Böllhoff (88) könnte das zutreffen. Im Jahr 2006 war er, damals 70 Jahre alt, die treibende Kraft hinter der Errichtung der Wolfgang und Regina Böllhoff Stiftung. Kurz zuvor hatte er sein langjähriges Amt als Vorstand in dritter Generation des Bielefelder Familienunternehmens Böllhoff, eines Verbindungstechnikherstellers mit aktuell 3.300 Beschäftigten weltweit und 783 Millionen Euro Jahresumsatz im Jahr 2022, an seine beiden Söhne übergeben. Die Gründung der Stiftung hatte er bewusst auf diesen Zeitpunkt hin geplant, quasi als Anschlusstätigkeit nach seiner operativen Laufbahn im Unternehmen.

Doppelrolle der Familie

Rund drei Jahre vor seinem Rückzug aus dem Unternehmen beginnt Böllhoff mit seiner Frau Regina, den Plan für die Gründung einer Stiftung zu entwerfen, um die Chancengleichheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu stärken. „Es gibt eine systemische Ungleichheit in der Welt, das fängt bei der Geburt an und geht später im Umfeld weiter“, sagt Wolfgang Böllhoff. „Diese Unterschiede des Glücks und der Veranlagung wollten wir zumindest ein bisschen ausgleichen durch Bildung, Bildung, Bildung.“ Eine Förderstiftung kommt für ihn nicht in Frage. „Mir war ganz wichtig, dass die Stiftung keine anderen Projekte bezuschusst, sondern selbst operativ tätig ist, vor allem an unseren beiden großen Standorten Bielefeld und Finsterwalde.“ Aus seiner Tätigkeit an der Spitze der Böllhoff-Gruppe ist er gewohnt, die Dinge selbst in der Hand zu halten und unmittelbar in der Verantwortung zu stehen. So stellt er es sich auch Anfang der 2000er Jahre für die Stiftung vor.

Zu einem Alleingang wird die Stiftungsgründung dennoch nicht. Zu dem Zeitpunkt hat das Stifterpaar vier erwachsene Kinder und elf Enkel. Das Bewusstsein darüber, in welcher privilegierten Situation die Kinder der Familie aufwachsen, sei für ihn die Hauptmotivation zur Gründung der Stiftung mit diesem Zweck gewesen, so Wolfgang Böllhoff rückblickend. Bei der Rolle der Familie als anfänglicher Impulsgeber will er es aber nicht belassen. Zwar trägt die Stiftung die Namen der Ehepartner, doch Wolfgang Böllhoff plant von vornherein die Verankerung der Stiftung in der Familie auch über seine eigene Lebenszeit hinaus: Er will die Stiftung nicht einfach irgendwann übergeben, sondern seine Kinder von vornherein als Mitstifter gewinnen. Das gelingt ihm. Am Ende gehören 2006 zum eigentlichen Stifterkreis neben Wolfgang und Regina Böllhoff auch ihre vier Kinder Christian, Wilhelm, Marili und Michael. Bis heute sitzen sie im Stiftungsrat, gemeinsam mit ihrem Vater sowie Zustifter Manfred Vogt, einem Freud der Familie. Ein weiterer Freund und Mitstifter, Hans-Ulrich Laar, war bis zu seinem Tod 2019 ebenfalls Mitglied im Stiftungsrat.

Frau vom Fach: Anja Böllhoff ist seit 2022 Vorstandsvorsitzende der Stiftung. / Foto: Wolfgang und Regina Böllhoff Stiftung

Neue Dynamik im Stifterkreis

Wenn Wolfgang Böllhoff heute über diese Zeit spricht, scheint er zufrieden: Sein Plan ist in weiten Teilen aufgegangen. Die Wolfgang und Regina Böllhoff Stiftung ist an den Unternehmensstandorten Bielefeld und Finsterwalde mit zwei eigenen Programmen aktiv und bekannt: „Ich will“ unterstützt Schülerinnen und Schüler der 8. bis 10. Klasse beim Schulabschluss; „Hand in Hand“ treibt die berufliche Integration von zugewanderten jungen Erwachsenen voran. Das jährliche Budget der Stiftung von rund 350.000 Euro fließt im Wesentlichen in diese beiden Programme. Aktuell betreut sie 100 Patenschüler mit jeweils einem ehrenamtlichen Paten in einer 1-zu-1-Beziehung. In Summe hat die Stiftung bis heute in beiden Programmen rund 250 Patenschüler und Paten betreut.

Zufrieden ist Wolfgang Böllhoff aber auch über seine eigene Nachfolgelösung: Im Frühjahr 2022 hat er den Vorstandsvorsitz der Stiftung an seine Schwiegertochter Anja Böllhoff übergeben – gefragt hatte er sie gerade ein halbes Jahr zuvor, nach Gesprächen mit allen Mitstiftern. Die vergleichsweise kurze Vorbereitungs- und Übergangsphase erklärt Wolfgang Böllhoff auch mit seinen Erfahrungen bei der Unternehmensnachfolge 16 Jahre zuvor an seine Söhne. „Ich wusste jetzt ja, wie es geht“, sagt er scherzend und ergänzt konkret: „Im Unternehmen habe ich noch jahrelang als Aufsichtsratsvorsitzender meine Meinungen, Bedenken und auch Freuden offiziell zum Ausdruck bringen können. Das war bei der Stiftung von vornherein anders geplant.“

Ein Wechsel vom Vorstand ins Kuratorium der Stiftung kam für Wolfgang Böllhoff nicht in Frage. „Wenn Sie etwas lange verantwortlich gemacht haben und es steckt viel Herzblut darin, können Sie sich nicht danach ins Kuratorium setzen und weiter die Dinge erzählen, die Sie schon ewig im Kopf haben.“ Auch im Stifterrat ist er nur Mitglied, nicht Vorsitzender. „Ich will im gleichen Umfang informiert werden wie alle Stifter“, sagt er. „Anja kann völlig unbeeinflusst von mir ihre Arbeit machen.“

Das nächste Level der Familienarbeit

Anja – das ist Anja Böllhoff (55), die Frau von Wolfgang Böllhoffs zweitältestem Sohn Wilhelm. Und, wenigstens genauso wichtig: Sie ist im Stiftungswesen ein alter Hase. Nach verschiedenen Stationen im Bereich Fundraising war Anja Böllhoff zwischen 2002 und 2015 als Geschäftsführende Vorsitzende der Bielefelder Bürgerstiftung aktiv. „Auf dem Papier ist das ein Ehrenamt“, sagt sie lachend, tatsächlich sei es allerdings ein Vollzeitjob. Seit 2016 koordiniert sie freiberuflich eine Initiative des Bundesverbandes deutscher Stiftungen für die Vernetzung von Bürgerstiftungen auf europäischer Ebene und vertritt weitere Stiftungen in unterschiedlichen Gremien. Nach ihrer Profession gefragt, sagt Anja Böllhoff: „Stiftungsmanagement.“

Nicht immer bringt ein Nachfolger an der Spitze einer Stiftung so viel Vorerfahrung mit ein. Ihr Werdegang ist allerdings nicht der einzige Faktor, der Anja Böllhoff zu einem personellen Glücksfall für Wolfgang Böllhoff und die Stiftung macht. Ausgerechnet der Umstand, dass sie angeheiratet und keine Gesellschafterin ist und auch in der Vergangenheit keine operative Rolle im Unternehmen hatte, sieht ihr Schwiegervater als wichtigen Vorteil, denn er bewirkt eine Veränderung mit Blick auf die Gremien und die Entscheidungsprozesse. Zwar war Wolfgang Böllhoff als Stiftungsvorstand gerade eben nicht mehr in der operativen Leitung der Firma, dennoch beeinflusste seine Position als ehemaliger Chef und Familienoberhaupt die Entscheidungsfindung. „Von einem alten Herren wie mir wird ein Entschluss eher vorgegeben“, sagt er. „Meine Kinder haben im Stifterrat nie nein zu mir gesagt.“

Durch die neue Vorstandvorsitzende fällt den anderen Familienmitgliedern im Stifterrat nun eine aktivere Rolle zu. „Wenn ich etwas vorhatte, war das für die anderen eher eine Mitteilung“, sagt Wolfgang Böllhoff. „Wenn Anja im Kuratorium etwas vorstellt, ist das Ziel, eine gemeinsame Entscheidung zu treffen.“ Dabei gehe es auch um Controlling, seine Schwiegertochter müsse und wolle sich bestimmte Dinge absegnen lassen. „Es ist eher eine Vorstand-Aufsichtsrats-Beziehung – das war bisher ganz anders“, so Wolfgang Böllhoff. „Die Kinder sind viel mehr an Bord als bei mir.“

Anja Böllhoff hat sich die Entscheidung, die Nachfolge ihres Schwiegervaters anzutreten, nicht leicht gemacht. Dabei ist sie ganz auf Wolfgang Böllhoffs Linie, alle Stifter einzubinden. „Ich habe mit allen einzeln gesprochen. Wir haben ein harmonisches Miteinander in der Großfamilie, wo ich bisher allen als Privatperson gegenübergetreten bin. Den Wechsel der Rolle von der Privatperson zur professionellen Ansprechpartnerin, die auch Veränderungen mitbringen wird, wollte ich nur, wenn zugleich der Familienfrieden gewährleistet bleiben kann.“ Auch ihre Haltung gegenüber dem Stifterrat unterstreicht die Verantwortung der Familie: „Es ist eure Stiftung. Darin übernehme ich die Leitungsaufgabe gern für einen gewissen Zeitraum und so gut wie möglich.“

Neben dem Stifterrat hat sie es noch mit weiteren innerfamiliären Stakeholdergruppen zu tun. Die eine ist der erweiterte Gesellschafterkreis: Die Böllhoff-Gruppe ist in Besitz von zwei Stämmen, wobei nur der von Wolfgang Böllhoff zum Stifterkreis gehört. Allerdings wird die Stiftung zum Teil durch Spenden des Unternehmens unterstützt – und dafür ist das entscheidende Gremium die Gesellschafterversammlung. Alle Gesellschafter abzuholen und regelmäßig über die Arbeit der Stiftung zu informieren ist für Anja Böllhoff eine Herzensangelegenheit.

Daher hat sie auch gleich die nachwachsende Generation der Unternehmerfamilie in die Gremien geholt. „Wolfgang Böllhoff hat elf Enkelkinder, die mit dem Treuhandprinzip groß werden müssen“, sagt Anja Böllhoff. Es gehe darum, ihnen die Arbeit der Stiftung zu vermitteln und sie womöglich auch für eine aktive Funktion zu gewinnen. Aktuell sitzen zwei Vertreter der fünften Generation im Kuratorium. Zusätzlich hat Anja Böllhoff einen Anlageausschuss einberufen, in dem zwei ihrer Schwägerinnen sitzen. „Ich kann die Rolle nicht auf die gleiche Art ausfüllen, wie mein Schwiegervater das als Stifter getan hat“, sagt sie. „Das Ziel ist, Familienmitglieder auch über den Stifterrat hinaus in bestimmte Verantwortungsbereiche zu holen.“

Das Wie ist neu, das Was bleibt gleich

Insgesamt haben mit Anja Böllhoff verschiedene Schritte der Professionalisierung Einzug gehalten. Schon den Übergang hat sie von einer Evaluation der Projekte begleiten lassen. „Es ging mir gar nicht darum, einzelne Projekte in Frage zu stellen. Aber wir wollen wissen: Wie entfalten sie ihre Wirksamkeit?“ Inzwischen hat die Stiftung auch ein eigenes Projektbüro am Rande des Bielefelder Unternehmensgeländes. An derlei äußeren Veränderungen hält sich Wolfgang Böllhoff nicht fest, ihn interessiert das Ergebnis – „und ich sehe ganz klar, dass die Qualität steigt“, sagt er.

Zuweilen benutzt Wolfgang Böllhoff das Wort „Familienstiftung“. Technisch ist der Begriff nicht richtig. Die Wolfgang und Regina Böllhoff Stiftung ist gemeinnützig und nicht für die Absicherung von Privatpersonen gedacht. Für Wolfgang Böllhoff scheint das Wort eher deswegen naheliegend, weil es seine Wunschvorstellung beschreibt: Die Familie soll ein enges Verhältnis zur Stiftung haben und die Arbeit aktiv mitbestimmen. Beim Übergang in die zweite Generation scheint das schon mal geklappt zu haben.

Hat Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Mainz und Paris studiert. Kam über die Kulturberichterstattung zur Tageszeitung. Seit 2007 Redakteurin in der F.A.Z.-Gruppe, seit 2015 fester Teil der wir-Redaktion, wo sie die Produktion des Magazins, das Programm der „wir-Tage“ und den Podcast verantwortet.