„Meine Bechtle“, das sagt Ralf Klenk noch heute. Knapp zehn Jahre ist es her, dass er als CEO des IT-Systemhauses Bechtle AG seinen Abschied nahm. Dass er der Firma immer noch zutiefst verbunden ist, wundert kaum. 1983 war Klenk als frisch diplomierter Maschinenbau-Ingenieur einer der drei Gründer und erster operativer Mitarbeiter der Firma. Heute ist Bechtle eine Aktiengesellschaft mit mehr als 7.600 Mitarbeitern und rund 3 Milliarden Euro Jahresumsatz.
Ralf Klenk erinnert sich gern an die Anfänge dieser Erfolgsgeschichte. Ein Foto des Backstein-Eckhauses in der Südstadt von Heilbronn, auf dessen Fassade er aus dem ersten Ladenlokal von Bechtle täglich geschaut hatte, ziert heute sein Büro, das zentral, aber nicht prominent in der Heilbronner Innenstadt gelegen ist. Hier hat Klenk ein paar Räume angemietet, sein Büro liegt gleich hinter dem Empfang, nicht weit von der Kaffeeküche. Es wirkt überschaubar und informell. Grundrisse aktueller Projekte lehnen an der Wand auf dem Boden, daneben ein kleiner Besprechungstisch, kaum groß genug für drei Menschen, an dem Klenk in lederner Trachtenjacke und rosafarbenem Hemd zum Gespräch bittet. Einen Computer sucht man auf seinem Schreibtisch vergeblich. Ralf Klenk, der die Bechtle AG „die Erfüllung meines Lebens“ nennt, hat noch mal von vorne angefangen. Warum?
Wenn Klenk sagt, das Jahr 2000 sei für ihn ein Schicksalsjahr gewesen, ist das keine Floskel. Im Frühjahr verantwortet er gemeinsam mit seinem Vorstandskollegen Gerhard Schick den Börsengang von Bechtle, um frisches Kapital für den rasanten Wachstumskurs einzuwerben. Die Firma schreibt zu diesem Zeitpunkt eine Milliarde Euro Umsatz und hat 1.600 Mitarbeiter. Gerade als der Börsengang bewältigt ist, wird im September 2000 bei Klenks zehnjährigem Sohn Markus eine aggressive Form von Krebs diagnostiziert. Die folgenden anderthalb Jahre verbringt die vierköpfige Familie mehrheitlich im Krankenhaus, im Wechsel in der Kinderklinik Heilbronn und der Uniklinik Tübingen. Sie klammert sich an jeden Strohhalm, probiert neue Behandlungsmethoden aus, weint, hofft. Nach anderthalb Jahren stirbt Markus im März 2002 in der Heilbronner Kinderklinik.
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In und nach dieser Zeit gibt die Arbeit Ralf Klenk Halt und Struktur, auch wenn er innerlich, das kann er heute unumwunden zugeben, manchmal alles andere als bereit ist für die großen und kleinen Probleme der Firma: „Welche Rolle spielt eine verspätete Lieferung an einen Kunden, wenn gerade ein Kind stirbt?“ Als sein Vertrag als CEO 2003 um weitere fünf Jahre verlängert wird, ist für ihn klar, dass es sein letzter sein wird. Klenk plant seinen Ausstieg von langer Hand. Er will die Zeit nutzen und Strukturen für einen möglichst nahtlosen Übergang schaffen. Im Dezember 2008 läuft sein Vertrag aus. Klenk verlängert nicht und verkauft in der Folge seine verbleibenden Anteile.
Besonders die eigene Hilflosigkeit im gemeinsamen Überlebenskampf der Familie hat Klenk schwer getroffen: „Eigentlich sind doch die Eltern diejenigen, zu denen das Kind kommt, wenn es Hilfe braucht“, sagt er. „Aber in so einer Situation fühlt man sich selbst einfach völlig machtlos.“ Klenk will etwas tun. Bereits während der Behandlung seines Sohnes spendet er für Projekte im Gesundheitswesen. Zugleich plant er einen größeren Schritt, will sich mit all seinen Kenntnissen und Fähigkeiten einbringen. „Wenn ein Kind schwer erkrankt, ändert das das Leben der ganzen Familie“, sagt er. Deshalb seien gesamtheitliche Ansätze für alle Beteiligten notwendig: ergänzende Therapien, Unterstützung von Geschwisterkindern, sozialmedizinische Nachsorge, Hospizdienste. Aber: „Für solche Angebote gibt es keine Mittel und keine Kostenträger.“
Hier will Klenk ansetzen, mit einer eigenen Hilfsorganisation. Seiner neuen Aufgabe nähert er sich ganz wie ein Unternehmer, strukturiert und analytisch. In ganz Deutschland besucht er Unikliniken. Welche unterstützenden Aktivitäten, Stiftungen und Vereine gibt es? Was sagen Ärzte und Pflegepersonal? Was funktioniert, was nicht? Seine Erkenntnis: An jeder größeren Klinik gibt es allein im Kinderklinikbereich zwischen 12 und 20 Organisationen, die meisten wurden von betroffenen Familien ins Leben gerufen. Das könnte hoffnungsvoll klingen, ist aber kompliziert – und vor allem nicht effizient. „Jede dieser Initiativen hat ihre eigenen Ansprechpartner, eine eigene Organisationsstruktur, einen eigenen Jahresabschluss“, sagt Klenk. „Bei so vielteiligen Strukturen kann man gar nicht eng mit der Klinikleitung zusammenarbeiten.“
Das zweite Ergebnis seiner Analyse: Die meisten Initiativen spezialisieren sich auf ein Fachgebiet, etwa Herzkrankheiten, Mukoviszidose oder verschiedene Krebserkrankungen. „Wirtschaftlich betrachtet stehen sie im Wettbewerb zueinander. Alle fischen im selben Spendenteich“, sagt Klenk. Noch dazu, so seine bittere Erkenntnis, seien manche Krankheitsbilder einfach besser zu kommunizieren und so im Fundraising erfolgreicher: „Die Mittel der Initiativen gegen Krebserkrankungen bei Kindern liegen etwa so hoch wie die aller anderen Fachgebiete zusammen.“
Ein neues Dach schaffen
Was für den Unternehmer ein logischer Schritt ist, erfordert in der Umsetzung viel Überzeugungsarbeit. Zwar hat Klenk aus seiner Zeit bei Bechtle Erfahrungen damit, akquirierte Firmen und deren Entscheider in die eigenen Strukturen zu integrieren. Doch nun sieht er sich vor einer besonderen Herausforderung: „Niemand hängt so sehr an einem Thema und kämpft so beharrlich dafür wie ein persönlich betroffener Ehrenamtlicher.“ Am Ende gelingt ihm sein Werk: Die bisherigen Institutionen geben ihre Eigenständigkeit auf und finden als Sparten Platz unter dem Dach von „Große Hilfe für kleine Helden“. Im November 2009 werden zeitgleich die Stiftung und der gleichnamige Verein gegründet.
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Hinter der Zweiteilung steht die Idee, Kapitalbeschaffung und operative Umsetzung organisatorisch zu trennen. „Ein Verein muss Spenden in zwei bis drei Jahren verbrauchen und bietet daher keinen verlässlichen Planungshorizont, etwa für Personalplanung oder Großprojekte, die viel Kapital erfordern“, sagt Klenk. Entsprechend hat die Stiftung die Aufgabe, Spenden und Zustiftungen einzuwerben und die Gesamtstrategie zu definieren. Der Verein identifiziert die Projekte und setzt sie gemeinsam mit der Klinik um, nachdem sie vom Stiftungsrat genehmigt wurden. Zudem koordiniert der Verein 150 Ehrenamtliche, allen voran diejenigen aus den Vorgänger-Institutionen. Sie haben im Verein ihren neuen „Heimathafen“ gefunden, wie Klenk es nennt. Ein weiterer Vorteil der Trennung sei, dass Verantwortungs- und Entscheidungsstrukturen der Stiftung schlank und effizient gehalten werden können.
Heute finanziert die Stiftung an der Kinderklinik Heilbronn 18 laufende Projekte mit einem jährlichen Kapitalbedarf von rund 500.000 Euro, darunter die Klinik-Clowns, Musik-, Mal- und Reittherapie und die Geschwisterbetreuung „Regenbogenland“, aber auch die Sozialmedizinische Familiennachsorge und den Ambulanten Kinder- und Jugend-Hospizdienst. Besonders begeistert Klenk sich aktuell für ein Pilotprojekt, das es Kindern im Krankenhaus mit Hilfe eines Telepräsenzroboters ermöglicht, aktiv am Unterricht ihrer Schulklasse teilzunehmen. Hinzu kommen zeitlich begrenzte Leuchtturmprojekte wie der Erweiterungsbau der Neonatologie, den die Stiftung mit medizintechnischen Geräten im Wert von 700.000 Euro ausstatten wird.
„Mein Vorleben“, so nennt Ralf Klenk seine Tätigkeit bei Bechtle heute. Besonders stolz sei er darauf, dass es gelungen sei, die Firma so aufzustellen, dass sie auch ohne ihn laufe. Auch bei „Große Hilfe für kleine Helden“ strebt er eine Struktur an, deren Erfolg nicht von ihm als Person abhängt. Nachdem ihn die Stiftung in den ersten drei Jahren nach der Gründung zeitlich sehr ausgelastet hat, schätzt er seinen Einsatz heute auf rund zwei halbe Tage die Woche. Das operative Geschäft wird von einer Geschäftsführerin geleitet, unterstützt von einem dreiköpfigen Team. An der Spitze der Stiftung stehen zwei Vorstände, Klenk hat sich in den fünfköpfigen Stiftungsrat zurückgezogen. Die Frage, was er tun wird, wenn er sich selbst in der Stiftung überflüssig gemacht hat, beunruhige ihn nicht, sagt Ralf Klenk. Das glaubt man ihm tatsächlich. Wenn er etwas gelernt hat, dann ist es Neuanfang.
Hat Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Mainz und Paris studiert. Kam über die Kulturberichterstattung zur Tageszeitung. Seit 2007 Redakteurin in der F.A.Z.-Gruppe, seit 2015 fester Teil der wir-Redaktion, wo sie die Produktion des Magazins, das Programm der „wir-Tage“ und den Podcast verantwortet.

