Revoluzzer, Waldorfschullehrer, Restrukturierer

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Dr. Andreas Kaufmann (58) sieht nicht aus wie der klassische Unternehmer. Bart, Brillenbändchen, eine „rundliche Version des Regisseurs Roberto Benigni“, wie ihn eine Zeitung sehr treffend beschrieb. Und er passt in keine Schublade. Er ist Mehrheitsaktionär und Aufsichtsratschef des börsennotierten Solmser Kameraherstellers Leica Camera AG. Ein „stark operativer“ Aufsichtsrats – chef. Seit er vor sieben Jahren die Mehrheit am 1.300 Mitarbeiter zählenden und 250 Millionen Euro Umsatz machenden Unternehmen erworben hat, sagt er, wo es lang geht. In der offiziellen Aufgabenteilung mit dem CEO ist Kaufmann für Strategie und Marke verantwortlich. Ein Alptraum für jeden CEO, von denen Leica in den vergangenen Jahren schon einige gesehen hat. Kaufmann sieht das anders: „Das muss man als Asset sehen. Wer das nicht als Asset sieht, kann sich ja einen anderen Eigentümer suchen.“

Kaufmann hat sich auch schon selbst als Leica- CEO erprobt. Er gesteht freimütig ein, dass er dafür nicht die optimale Besetzung ist: „Ich habe so viele Ideen. Aber ich habe wenig Geduld, wenn die nicht sofort umgesetzt werden.“ Kaufmann ist unorthodox. Seine Biografie ist noch unorthodoxer. 1953 in Mannheim geboren, wuchs er in einem anthroposophisch geprägten Elternhaus auf. Er studierte Literatur- und Politikwissenschaften in Stuttgart. Sein Berufsziel damals: die Welt revolutionieren. „Ich gehörte damals zu einer Gründergruppierung der heutigen Grünen. Wir propagierten den dritten Weg, eine Gesellschaftsordnung zwischen Kommunismus und Kapitalismus“, erklärt er. Eine Möglichkeit, seine Ideale umzusetzen, sah er damals im Bildungswesen. Kaufmann wurde Waldorfschullehrer in Göppingen.

Die vermögende Tante

„So hätte das auch weitergehen können, wenn es da nicht noch den anderen Familienzweig in Österreich gegeben hätte“, so Kaufmann. Das waren sein Onkel Fritz Hartmann und seine Tante Harriet Kaufmann, denen das österreichische Papierunternehmen Frantschach gehörte. Nach dem frühen Tod des einzigen Sohnes Tibor übertrugen sie ihr Erbe auf Andreas Kaufmann und seine beiden Brüder. Zu dem Zweck wurde Kaufmann sogar von seiner Tante adoptiert. Zunächst veränderte der Umstand sein Leben kaum: „Die Familie hatte schon 1971 entschieden, dass kein Familienmitglied ins Management geht. Das lief mir damals gerade so rein. Das war ja schließlich eine grässliche kapitalistische Sache“, so Kaufmann im Rückblick.

Sukzessive wurden Kaufmann und seine Brüder jedoch aktiver in die Vermögensverwaltung eingebunden. Sie saßen in Gremien und Aufsichtsräten, die das recht komplexe Familienvermögen steuerten, das neben der Frantschach AG auch Immobilien in Europa und den USA umfasste. Auch die Entscheidung, das Papiergeschäft aufzugeben und an die südafrikanische Mondi-Gruppe zu verkaufen, trafen die Kaufmann-Brüder. Gemeinsam, aber nicht unbedingt einhellig. Schon damals sah Andreas Kaufmann unternehmerisches Potential an anderen Stellen als seine Brüder. „Ich wollte damals den Bereich ‚Liquid Packaging‘ herauskaufen. Das ist Hochtechnologie, eine sehr attraktive Nische“, schwärmt er immer noch. Aber so weit kam es nicht. Seinen Brüdern war das Investment zu risikoreich.

So schnell wurde aus dem Weltverbesserer also ein Investor? Stand die Verwaltung eines ererbten Vermögens als ultrakapitalistische Angelegenheit nicht im Gegensatz zu seinen linksliberalen, anthroposophischen Überzeugungen? „Einen emotionalen Konflikt gab es da eigentlich nie. Ich hatte schon in der Waldorfschule verstanden, dass Geld ein Gestaltungsmittel ist. Wer Ideen verwirklichen will, braucht Geld.“ Kaufmann war damals als Vorstand des wirtschaftlichen Trägervereins der Schule in Göppingen u.a. für die Beschaffung des Schuletats zuständig.

Aber wirklich miteinander vereinbar waren die beiden Leben des Andreas Kaufmann auf lange Sicht nicht. „Wenn man zum wiederholten Mal einen Lehrerkollegen um eine Vertretung bitten muss, weil man zum Board Meeting auf die Cayman Islands fliegen soll, dann passt das irgendwann nicht mehr.“

Info

Andreas Kaufmann und Leica

Schon 1997 beteiligt sich Kaufmann im Vorgriff auf sein Erbe erstmals an einem mittelständischen Unternehmen, einer Softwarefirma mit rund 100 Mitarbeitern. „Das war mein Trainingscamp“, sagt er im Rückblick. Ein anderes Investment, die Beteiligung an der Weller Feinwerktechnik GmbH, einem Zulieferer von Leica, brachte ihn ins hessische Wetzlar und in die Welt der optoelektronischen Industrie. Ende 2004 erfolgte der Einstieg bei Leica. Das Traditionsunternehmen war 1849 von Carl Kellner gegründet worden. Die spätere Inhaberfamilie Leitz hatte das Unternehmen vor allem mit der Herstellung von Mikroskopen bekanntgemacht. In den neunziger Jahren erfolgte u.a. aufgrund der sich verändernden Nachfrage hin zur Digitalfotografie ein geschäftlicher Einbruch.

Heute operiert Leica wieder profitabel. Im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2011/2012 steigerte Leica seinen Umsatz gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 8,5 Prozent auf 81,9 Millionen Euro. Das operative Ergebnis (Ebit) lag mit 16,5 Millionen Euro um 10 Prozent höher. Insgesamt erwirtschaftete das Unternehmen in den ersten neun Monaten bei einem Umsatz von 223,7 Millionen Euro ein Ebit von 49,6 Millionen Euro.

Kaufmann kümmert sich immer stärker gemeinsam mit seinen Brüdern um das Vermögen der Familie. Immer öfter gehören auch Direktbeteiligungen an Industrieunternehmen dazu. Denn da liegt Kaufmanns Leidenschaft. Nur Direktbeteiligungen an produzierenden Unternehmen gäben ihm die Chance, mit seinem Vermögen tatsächlich etwas zu gestalten.

Dass ausgerechnet das Traditionsunternehmen Leica zum Ziel von Kaufmanns Gestaltungsdrang wurde, war mehr Zufall als Kalkül. Dass es sich darüber hinaus als Sanierungsfall entpuppen würde, war so nicht geplant. Nachdem Kaufmann Ende 2004 gemeinsam mit seinen Brüdern bei Leica eingestiegen war und die Mehrheit im Jahr darauf übernahm, wurde schnell klar, dass die neuen Eigentümer Kapital würden nachschießen müssen. Unstimmigkeiten zwischen den Brüdern, die sehr unterschiedliche Anlegertypen mit unterschiedlicher Risikoneigung sind, blieben nicht aus. Kaufmanns Brüder trennten sich schon bald wieder von ihren Leica-Anteilen.

Andreas Kaufmann machte weiter, trotz aller Risiken, und er suchte sich dazu einen Partner. „Kapitalmäßig hätte ich das auch allein stemmen können. Aber ich bin Unternehmer. Ich wollte mir das Risiko gern mit einem Partner teilen.“ Nachdem die Suche nach einem strategischen Partner nicht fruchtbar war, wurde Kaufmann mit dem Finanzinvestor Blackstone handelseinig. Der stieg im Oktober 2011 mit 44 Prozent bei Leica ein.

Co-Investor Blackstone

Ein Familienunternehmer holt ohne Not eine „Superheuschrecke“ an Bord? Noch so ein unorthodoxer Schritt. „Mir ist klar, dass das eine Partnerschaft auf Zeit ist. Und für diese Zeit ist Blackstone ein sehr guter Partner für Leica“, verteidigt Kaufmann die Entscheidung. Und die hohen Renditeerwartungen? „Wir haben selbst hohe Renditeerwartungen. Wir produzieren technischen Luxus. Und das am Hochlohnstandort Deutschland. Das geht nur mit der richtigen Rendite“, sagt Kaufmann. Natürlich habe es auch unterschiedliche Auffassungen gegeben, zum Beispiel über die Höhe der Verschuldung. „Wir haben fast ein Jahr lang verhandelt, unter anderem deswegen“, sagt Kaufmann.

Egal, wie ungewöhnlich Kaufmanns unternehmerische Herangehensweise bei Leica ist. Eines hat er sicher: ein Gespür für Marken und ihren Wert. Über Leica soll er gesagt haben: „Auch wenn ich das Unternehmen nicht retten kann, die Marke kann ich immer noch mit Profit verkaufen.“ Seitdem ist Leicas Markenwert um einiges gestiegen. Der kleine Mittelständler ist wieder in aller Munde und bekommt in allen deutschen und internationalen Medien eine ungewöhnlich intensive Berichterstattung. Dafür setzt Kaufmann seine buntscheckige Biografie auch gern mal ein, obwohl der freimütige Umgang mit der Presse so gar nicht zur Familientradition passt: „Bei uns hieß es früher immer: ‚Wer in der Zeitung steht, ist selber Schuld.‘“

Die Beteiligung an der Leica Camera AG mutiert gerade zum Familienunternehmen Leica. Für Mitarbeiter und Region fühlt sich Andreas Kaufmann verantwortlich. Gerade investiert er 55 Millionen Euro in den Neubau der Firmenzentrale im 10 Kilometer entfernten Wetzlar. Damit kehrt Leica an den ursprünglichen Firmenstandort zurück. Das stark gestiegene Auftragsvolumen fordere mehr Kapazitäten, so Kaufmann. Auch weitere Zukäufe in der Region kann er sich langfristig vorstellen.

Kaufmanns Frau betreibt die Leica Galerie Salzburg. Seine Tochter macht gerade ein Praktikum im Haus. Ob die Kinder einmal bei Leica einsteigen, ist offen. Der Anthroposoph Kaufmann fügt an: „Sollten sie bei Leica anfangen, ist mir wichtig, dass sie als fertiger Mensch hier anfangen und nicht in ihrer Eigenschaft als Sohn oder Tochter.“