Manfred Fuchs: Kontrolle abgeben

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Dr. Manfred Fuchs, sind Sie noch eigener Herr im Haus?

Schon längst nicht mehr. Spätestens seit dem Börsengang 1985 unterlag ich in meiner Funktion zunächst als CEO und jetzt als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender den gesetzlichen Regeln des Aktienrechts. Als Familie halten wir mit 52 Prozent der Stimmrechtsanteile zwar die Mehrheit. Trotzdem kann ich deshalb nicht schalten und walten, wie ich es will oder wie ich es für richtig halte.

Ist es Ihnen schwergefallen, die Zügel ein Stück weit aus der Hand zu geben?

Naja, es ist mir nicht in den Schoß gefallen. Mit einem Börsengang hört die Alleinherrschaft auf. Macht zu teilen, vor allem Entscheidungsbefugnis zu teilen ist nicht einfach.

Warum nicht?

Weil diejenigen, die mitentscheiden, anderer Meinung sein könnten und etwas nicht überzeugend finden, was man selbst gut oder genial findet. Dann muss man sich rechtfertigen. Das ist einem Alleinentscheider lästig. Man sieht auch überhaupt keinen Sinn darin, von außen „gestört“ zu werden, wenn es gut läuft. Oder besser gesagt: wenn es vermeintlich gut läuft. Ich erzähle Ihnen hierzu eine Anekdote: Unser Finanzvorstand und ich mussten seit dem Börsengang 1985 regelmäßig mit Analysten sprechen. Wir waren ungemein stolz, als wir einem Analysten einer großen Landesbank von unseren Gewinnen, Umsätzen und Technologien erzählten. Der Analyst begann aber nach den Kapitalkosten zu fragen und danach, ob unser eingesetztes Kapital effizient eingesetzt würde. Schließlich behauptete er sogar: „Die Zahlen zeigen, dass Sie Wert vernichten.“ Ich war empört. Ich war überzeugt: Der hat überhaupt nichts verstanden. Dabei hatte der Mann recht.

Wann haben Sie verinnerlicht, dass der Analyst recht hatte?

Unser Finanzchef und ich fingen direkt nach unserer Rückkehr an, uns mit dieser vermeintlich falschen Aussage des Analysten zu beschäftigen. In den achtziger Jahren hatten Wissenschaftler ja erst begonnen, sich mit der Theorie des Unternehmenswertes und der Kapitalkosten zu beschäftigen. Was ich mit dieser kleinen Geschichte sagen möchte: Für den Verlust der 100-Prozent-Kontrolle haben wir zwei Dinge von unschätzbarem Wert gewonnen: einerseits den Zugang zum Kapitalmarkt, ohne den wir niemals so hätten wachsen können und ohne den wir heute nicht so erfolgreich dastehen würden. Andererseits den Zugang zu Know-how und Professionalität in allen Aspekten der modernen Finanzierungsinstrumente. Wir haben so viel gelernt und lernen immer noch tagtäglich hinzu, weil wir uns so nah am Puls der Zeit bewegen und zur Performance gezwungen werden.

Info

Manfred Fuchs kann mit Leidenschaft über Schmierstoffe referieren. Weniger bekannt ist, dass er auch ein leidenschaftlicher Künstler ist. Schon als Kind malte er viel, in der Schule wurde er von den Kunstlehrern gefördert, und er verbrachte viele Stunden in der Mannheimer Kunsthalle. Sein Beruf als Familienunternehmer ließ ihm kaum Zeit für seine Berufung. Doch seit dem Stabwechsel im Jahr 2004 findet er wieder mehr Zeit für die Malerei. Im Foyer der Zentrale in Mannheim säumen seine Bilder mit intensiven, kräftigen Farben die Wände. Seine Bilder stellt er unentgeltlich für Benefizveranstaltungen zur Verfügung, die Erlöse fließen in Projekte, die u.a. junge Künstler fördern. Sein ehrenamtliches Engagement konzentriert sich auf Kultur und Wissenschaft. Er ist u.a. Stiftungsratsvorsitzender der Kunsthalle Mannheim, deren Neubau die Stiftung als Bauherr verantwortet. Zeitlich ist er hier derzeit am stärksten eingebunden. Dennoch findet er Zeit für sich und die Malerei und verbringt vor allem die Wochenenden in seinem Atelier. Während er im Nachfolgeprozess sehr gut habe loslassen können, sei das Schwierigste beim Malen das Aufhören, sagt Manfred Fuchs.

Sie hatten bereits vor dem Börsengang über Privatplatzierungen Mitsprache- und Kontrollrechte abgetreten. Warum?

Wir haben nach der ersten Ölkrise 1973 in unseren Analysen und Kalkulationen festgestellt, dass uns das notwendige Kapital, um den Markt langfristig mitgestalten zu können, fehlen würde. Da musste ich die folgenden Fragen beantworten: Ist die Familie das Maß aller Dinge? Wenn ja, dann bleibt sie zwar unabhängig, verpasst aber Chancen, das Unternehmen weiterzuentwickeln. Oder ist das Unternehmen das Maß aller Dinge? Ich habe mich für das Unternehmen entschieden. Es steht an erster Stelle, auch wenn wir als Familie dadurch ein Stück Unabhängigkeit verlieren. Also habe ich 45 Kommanditisten ins Unternehmen bzw. in eine Beteiligungsgesellschaft geholt, um in einem ersten Schritt das Wachstum zu finanzieren. Ich war vor dem Börsengang also schon geübt, unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen und auszugleichen sowie mit einem Beirat zusammenzuarbeiten. Die Umwandlung von der KG in die AG zehn Jahre später war für mich ein kleines Meisterstück, denn das konnte nur einstimmig erfolgen. Ich musste 45 Kommanditisten überzeugen. Die Ablösung des Beirats durch den Aufsichtsrat im Zuge des Börsengangs hat für mich die Zusammenarbeit mit dem Kontrollgremium erheblich erleichtert.

Der Aufsichtsrat heute wirkte auch als Kontrollinstanz bei Ihrer Nachfolgeregelung.

Kein Vater ist frei von Emotionen, wenn es um die eigenen Kinder geht und wenn er prüfen muss, ob sie sich für die Nachfolge eignen. Unter Leitung des Aufsichtsratschefs haben der Vorstand, dessen Vorsitzender ich war, und der Aufsichtsrat ein Anforderungsprofil für meinen potentiellen Nachfolger entwickelt. Es gab einen sehr präzise ausgearbeiteten Plan für den Einstieg meines Sohnes, seine Aufgaben und die Zusammenarbeit mit mir. Der Aufsichtsrat hat vor allem die Zusammenarbeit zwischen meinem Sohn und mir moderiert und regelmäßig jeweils Vier-Augen-Gespräche geführt. Der Respekt und die Achtung für unseren Aufsichtsratsvorsitzenden haben uns sicherlich geholfen, nicht übermäßig selbstbewusst, sondern mit Demut in diesen Prozess zu gehen.

Gab es Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Ihrem Sohn?

(Lacht) Naja, es ist eben wie früher bei Mutter und Tochter in der Küche, die um das beste Rezept und die beste Zubereitung ringen. Keine leichte Übung. Mein Sohn, der nach seinem Studium zunächst in einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gearbeitet hat, war danach drei Jahre lang für Fuchs Petrolub in den USA tätig, wo er Feuer gefangen hat für das Unternehmen. Er hatte mit unserem Regionalchef dort einen tollen Mentor. Nach seiner Rückkehr war es zunächst schwierig, ihn von der strategischen Bedeutung auch anderer großer Märkte zu überzeugen und mindestens genauso dafür zu begeistern. Wir beide wollten die fünfjährige Übergangszeit, auf die wir uns geeinigt hatten, mit Anstand zu Ende bringen. Und so waren wir dankbar über die disziplinierende Funktion des Aufsichtsrats. Wichtige strategische Weichenstellungen hinsichtlich unserer Investitionen in die Wachstumsmärkte konnten wir „rational“ treffen.

Info

Im Jahr 1931 gründet Rudolf Fuchs eine Handels- und Vetriebsfirma für Schmieröle und legt somit den Grundstein für die Fuchs Petrolub SE, die heute mit über 60 operativen Einheiten in mehr als 40 Ländern aktiv ist. Im Jahr 2015 setzt der Spezialschmierstoffhersteller mit rund 5.000 Mitarbeitern etwa 2 Milliarden Euro um. Die Vorzugsaktie ist Mitglied im MDAX. Mit 52 Prozent der Stammaktien hält Familie Fuchs, deren 31 Mitglieder ihre Aktien poolen, die Stimmenmehrheit. Als Rudolf Fuchs plötzlich und unerwartet verstirbt, studiert sein Sohn Manfred noch BWL an der Universität Mannheim. Zwei Prokuristen führen das Unternehmen so lange, bis Manfred Fuchs im Jahr 1963 die Leitung des Unternehmens übernimmt. Im Jahr 1996 steigt in dritter Generation Stefan Fuchs ins Familienunternehmen ein; er verantwortet die Geschäfte von Fuchs Petrolub in den USA. Im Jahr 1999 kehrt er nach Mannheim zurück und wird Mitglied des Vorstands. Fünf Jahre später übernimmt er den Vorstandsvorsitz von seinem Vater Manfred, der in den Aufsichtsrat wechselt – nicht als Vorsitzender, sondern als Stellvertreter des Vorsitzenden Dr. Jürgen Hambrecht.

Sie sagen, Ihr Aufsichtsrat sei erstklassig besetzt. Welche Kompetenzen müssen die Mitglieder mitbringen?

Als Europäische Aktiengesellschaft SE haben wir zwei Vertreter der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat. Bei unserem Vorsitzenden Dr. Jürgen Hambrecht, ehemaliger CEO der BASF, erübrigt sich die Kompetenzfrage. Wir drei anderen sind alle erfahrene Führungskräfte aus der Industrie. Wir ergänzen uns mit unserer Erfahrung in Sachen Strategie, Märkte, Führung. Wir haben keine Banker, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder sonstige Berater im Gremium. Als Familie haben wir uns darauf verständigt, dass bei Erfüllung strenger und einem Drittvergleich standhaltender Qualifikationskriterien je ein Vertreter der Familie Fuchs in dem ansonsten mehrheitlich familienunabhängig besetzten Aufsichtsrat und Vorstand als Vorsitzender oder stellvertretender Vorsitzender mitwirken soll.

Ein Aufsichtsrat wird manchmal geholt, um Interessen der Familiengesellschafter zu steuern.

Wenn es keine geordneten familiären Verhältnisse gibt, dann würde ich niemals ein Mandat in einem Familienunternehmen annehmen. Ich bin als Aufsichtsrat verpflichtet, das Unternehmen in seinen strategischen und operativen Herausforderungen zu begleiten, nicht die Familie und ihre Probleme. Sie finden dann auch keine guten Leute für den Aufsichtsrat.

Haben Sie auch die Vermögensinteressen der Familie mit dem Aufsichtsrat diskutiert?

Ja, das habe ich einmal versucht. Es ging Mitte der neunziger Jahre um eine mir bedeutsam erscheinende Strategie- und Akquisitionsfrage, bei der es mir nicht gelungen war, den Aufsichtsrat voll zu überzeugen. Als die Argumente ausgetauscht und erschöpft waren, erlaubte ich mir als damaliger Vorstandsvorsitzender und Hauptaktionär den Hinweis, dass es bei dieser Weichenstellung letzten Endes ja auch um mein Vermögen und das der Familie ginge. Und da wies der Aufsichtsratsvorsitzende kurz und natürlich richtig darauf hin, dass der Aufsichtsrat in der Pflicht aller Aktionäre stehe und nicht nur die Interessenlage des Mehrheitsaktionärs zu sehen habe. So habe ich mich schrittweise von der Denke „Mein Unternehmen = Mein Vermögen“ verabschieden müssen. Ich war gedanklich zu stark in der Eigentümerperspektive gefangen. Die anderen Aktionäre sind ja Miteigentümer.

Petra Gessner ist Diplom-Volkswirtin und seit 2015 Chefredakteurin des wir-Magazins. Ihr akademischer Weg führte sie von Freiburg im Breisgau in die USA und nach Chile, wo sie sich mit der Wirtschaftsgeschichte Lateinamerikas auseinandersetzte. Seit 2000 arbeitet sie in der F.A.Z.-Verlagsgruppe und ist Gründungsmitglied des Corporate Finance Magazins „FINANCE“, wo sie die Themen M&A und Private Equity verantwortete.