Vorwerk vollzieht gerade einen Wandel vom inhabergeführten zum managergeführten Unternehmen? Wie erleben Sie als passiver Gesellschafter diese Zeit?
Das ist sicherlich eine kritische Phase. Das Unternehmen wächst und verändert sich sehr schnell. Zudem sind zum ersten Mal alle persönlich haftenden Gesellschafter, die das Unternehmen führen, familienfremde Manager. Natürlich machen wir uns Sorgen, dass sich die Unternehmenskultur, die wir alle sehr schätzen, eine andere wird. Jörg Mittelsten Scheid spielt in Familie und Unternehmen eine entscheidende Rolle. Er ist einerseits das Bindeglied zwischen Management und Familie und gleichzeitig auch innerhalb der Familie die Person, die die meiste Bindungskraft hat. Deshalb hat ihn die Familie gebeten, länger als ursprünglich geplant diese Übergangsphase zu begleiten.
Welche Rolle hat die Zugehörigkeit zum Familienunternehmen Vorwerk in Ihrer Jugend gespielt?
Meine Eltern waren aktive 68er. Die haben schon viel getan, damit ich normal aufwachse. Das war damals eine Zeit, als Unternehmer nicht gerade wohlgelitten waren. In den Augen vieler waren das Männer mit dicken Zigarren, Bonzen, die sich von ihren Fahrern in die Firma fahren ließen. Mein Großvater Erich wollte, dass sein Sohn Jens, mein Vater, ins Unternehmen einsteigt. Die Interessen meines Vaters, der letztlich Philosophie studiert hat, gingen in eine ganz andere Richtung.
Wenn Ihr Vater nicht im Unternehmen gearbeitet hat, welchen Kontakt hatten Sie zum Unternehmen?
Meine Cousins und ich, wir waren als Kinder natürlich immer bei den Familientreffen und den Gesellschaftergesprächen dabei. An denen nehmen auch Familienmitglieder teil, die keine Anteile halten. Die haben einen eher inoffiziellen Charakter. Wir haben Standorte besucht und fanden alles, was das Unternehmen betraf immer sehr spannend. Aber auch mein Großvater, der noch jeden im Unternehmen persönlich kannte – damals hatte Vorwerk vielleicht ein Zehntel seiner heutigen Größe – hat mir viel gezeigt und erklärt.
Seit wann sind Sie als Gesellschafter dabei?
Seit ich 27 Jahre alt bin, besitze ich selbst Anteile und darf damit auch an der Gesellschafterversammlung teilnehmen. Zu Beginn war das nicht immer einfach. Wie gesagt, ich bin ganz normal groß geworden. Meine Freunde und die Freunde meiner Eltern hatten ganz normale Jobs und stammten nicht aus Unternehmerkreisen. Als Student habe ich mit meinen Freunden in WGs gewohnt. Wenn ich dann von einer Gesellschafterversammlung, bei der wir über Millionenbeträge gesprochen hatten, in unsere WG-Küche kam und mit meinen Mitbewohnern darüber diskutierte, wer an der Reihe sei, die Milch zu kaufen, dann prallten dort schon zwei Welten aufeinander.
Die Satzung sieht vor, dass Anteile nicht beliebig aufgespalten werden können. Ist das ein Problem?
Das ist richtig. Wenn beim Vererben Anteile so weit aufgespalten werden, dass sie unter eine Mindestgrenze fallen, müssen diese Gesellschafter ihre Anteile verkaufen. Bei mehreren Kindern muss sich der Vererbende entscheiden, ob er die Anteile gleichermaßen auf alle Kinder verteilt und diese dann als Gesellschafter ausscheiden oder ob er die Anteile in die Obhut nur eines Kindes gibt. Keine leichte Entscheidung. Das wirft immer wieder die Frage auf: Was ist eigentlich fair und gerecht?
Wie muss ein Manager gestrickt sein, damit er zu Vorwerk passt?
Wenn ein Familienunternehmen einen Manager einstellt, dann geht es grundsätzlich nicht um einen befristeten Zeitraum. Wir gehen eigentlich davon aus, dass die PhGs bis zu ihrer Pensionierung bleiben, wenn sie einmal bei uns angefangen haben. Wir haben eine andere Erwartungshaltung als ein börsennotiertes Unternehmen. Wir erwarten ein hohes Maß an Identifikation mit dem Unternehmen. Die Aussage eines unserer PhGs trifft es eigentlich ganz gut. Der sagte einmal: „Vorwerk, das ist meine Firma!“ Das hat er über seinen vorherigen Arbeitgeber, einen US-Konzern, nicht gesagt.
Es gibt drei verschiedene Stämme, die Vorwerk-Anteile halten? Wie harmonisch ist der Gesellschafterkreis?
In den letzten Jahren gab es keine großen Konflikte. Aber in der Familien- und Firmenhistorie hat es sehr wohl Auseinandersetzungen gegeben, die auch für das Unternehmen schwierig waren. Aber natürlich besteht eine gewisse Gefahr, dass Konflikte womöglich wieder stärker zutage treten, wenn Jörg Mittelsten Scheid nicht mehr als Vermittler und Bindeglied da sein sollte.
Wie sieht es mit den Ambitionen der jüngeren Vorwerk-Gesellschafter aus, aktiv im Unternehmen tätig zu werden?
Ich selbst habe keine. Ich habe mit der Geographie mein Fach gefunden. Meine Eltern haben mich auch nie in irgendeine Richtung gedrängt und immer die Ansicht verfolgt: „Mach etwas, das dir Spaß macht. Dann wird das, was du anfasst, schon gelingen.“ Es gibt allerdings zwei Familienmitglieder, die sich derzeit auf einen möglichen Einstieg bei Vorwerk vorbereiten und sich in anderen Unternehmen bewähren.
Im Gesellschafterkreis sitzen Menschen mit sehr unterschiedlichen betriebswirtschaftlichen Kenntnissen. Macht das die Diskussion um grundsätzliche strategische Entscheidungen nicht schwierig?
Ja und nein. Wir haben alle Fortbildungen im „Bilanzen-Lesen“ und anderen Themen gemacht. Natürlich sind wir keine Topmanager. Für die operative Unternehmensführung ist ja auch das Management zuständig. In den meisten Fällen schließen wir uns dessen Meinung an. Wichtig ist, dass die Familie Einfluss behält auf die Firmenpolitik und die langfristigen strategischen und personellen Entscheidungen
Wie sehen Sie Ihre Rolle als Gesellschafter?
Für mich ist der Anteil an Vorwerk nicht etwas, das man verkaufen und zu Geld machen kann. Es ist ein Erbe, das mir anvertraut wurde und das ich zu pflegen und zu verwalten habe, bis ich es selbst an meine Kinder weitergebe. Eines ist für mich klar: Egal, was passiert – abgesehen natürlich von der Gesundheit meiner Familie –, das Unternehmen geht immer vor. Schließlich ernährt uns das Unternehmen. Familie und Unternehmen bedingen sich gegenseitig. Es braucht die Familie, um die Firma zusammenzuhalten. Nur so kann die Firma erfolgreich sein, und nur wenn die Firma erfolgreich ist, stärkt das die Familie.
Vielleicht muss man diese Verbindung auch einfach einmal erlebt haben. Als wir beim 125-jährigen Firmenjubiläum als Großfamilie, vom Kleinkind bis zum Großvater, alle gemeinsam auf der Bühne standen und mit den Mitarbeitern gemeinsam gefeiert haben, meinte meine Frau am Ende der Feier: „Jetzt versteh ich erst, was das eigentlich bedeutet: die Firma.“
Die Akquisition von Jafra wurde von Jörg Mittelsten Scheid stark propagiert. Wie stand die Familie dazu?
Für die Familie war das eine sehr schwierige Entscheidung. Eigentlich war die Mehrheit der Familienmitglieder dagegen. Schließlich ging es um sehr viel Geld. Letztendlich haben wir uns aber Jörgs Meinung angeschlossen. Wir hatten großes Vertrauen in ihn und seine unternehmerischen Fähigkeiten. Zu Recht, wie sich am Ende herausstellte. Aber das Ganze hätte auch anders ausgehen können. Er war schon ein hohes unternehmerisches Risiko dabei.
Glauben Sie persönlich, dass der Direktvertrieb eine Zukunft hat?
Sagen wir es so: Ich persönlich würde ungern einen Staubsauger an der Tür kaufen, aber ich glaube an den Direktvertrieb. Ich kann Ihnen zwar nicht sagen, wie genau unser Geschäftsmodell in 20 Jahren aussehen wird. Ich bin aber überzeugt, dass in einer immer digitaleren, vernetzten Welt, die persönliche Betreuung des Kunden mit Sachverstand und der menschliche Kontakt im Verkauf sogar noch an Bedeutung gewinnen werden.
Timm Mittelsten Scheid lebt in München und promoviert in Physischer Geographie. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.
