Klaus Teuber: Der Entdecker

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Im hessischen Roßdorf, einer 12.000-Seelen-Gemeinde im Landkreis Darmstadt-Dieburg, sind die Hecken hoch und die Vorgärten gepflegt. In einem schmalen weißen Reihenhaus kurz vor dem Ortsrand sitzt die Catan GmbH, eine kleine Firma mit gerade sieben Mitarbeitern und unscheinbarem, selbstgedrucktem Klingelschild. Tatsächlich aber liegt hier im Süden Hessens das Zentrum einer ganzen Welt, genauer gesagt des „Catan-Universums“, wie Fans es nennen: Hier lebt und arbeitet Spieleautor Klaus Teuber (65), der Entdecker, Mastermind der deutschen Brettspielszene.

Mehr als 22 Millionen Mal wurde Teubers Kultspiel „Die Siedler von Catan“ seit seiner Erfindung 1995 bis heute weltweit verkauft und in 30 Sprachen übersetzt – und der Hype ist ungebrochen. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ist ein bekennender Fan, aktuell nutzen verschiedene Football-Teams der NFL das Spiel zur mentalen Vorbereitung anstehender Matches. Im Januar ging ein Instagram-Foto der Hollywood-Schauspieler Kristen Bell und Dax Shepard durch die Medien, die nach der Verleihung der Golden Globes die glamouröse After-Show-Party zugunsten einer Partie Catan ausfallen ließen – in voller Abendgarderobe.

In Roßdorf empfängt Hausherr und Geschäftsführer Klaus Teuber seine Besucher in Socken und Lederschlappen. Gäste müssen sich daran aber nicht orientieren. Klaus Teuber wäre nicht er selbst, wenn ihn die schmutzigen Sohlen seiner Besucher aus der Ruhe bringen würden. Die unerwarteten Wendungen und Zufälle, mit denen sein Weg zum erfolgreichen Spieleautor und Unternehmer gepflastert war, haben ihn Gelassenheit gelehrt – und Offenheit dafür, das hinter jedem vermeintlichen Hindernis womöglich eine Chance steckt.

Klaus Teuber: Vom Studenten zum Unternehmer

Unternehmer wurde Klaus Teuber schon lange vor der Erfindung von Catan. Nach der Schule beginnt er ein Chemiestudium, das er aber 1978, kurz nach der Geburt seines zweiten Kindes, nach dem Vordiplom abbricht. Als junger Familienvater scheint es ihm ratsamer, anstelle des Studiums als Lehrling in das Dentallabor des Vaters einzusteigen, das damals rund 70 Mitarbeiter zählt. „Es war für mich einfach eine Chance, meine junge Familie abzusichern“, sagt er. Aus steuerlichen Gründen macht sein Vater ihn noch in der Lehre zum Teilhaber. 1983 legt er die Meisterprüfung ab.

Schon vier mal hoch prämiert: Entdecker Klaus Teuber produziert "Spiel des Jahres" Kandidaten am laufenden Band.
Foto: Sarah Brüschke/Catan GmbH

Schon damals arbeitet Teuber an eigenen Ideen und Innovationen für Brettspiele. 1988 gelingt ihm die erste Veröffentlichung, „Barbarossa und die Rätselmeister“. Bis heute hat Teuber im Keller eine Werkstatt, in der er – für den geprüften Zahntechnikermeister ein leichtes Spiel – selbst die Prototypen für Figuren und Spielfelder schnitzt, fräst, schneidet und bedruckt. Seine Anfänge als Spieleentwickler beschreibt er rückblickend als Flucht vor dem fordernden Unternehmensalltag: Hier kann er seine eigenen Welten schaffen, keiner redet ihm rein. Diese Zuflucht braucht er auch. Die Zeit im Dentallabor sei doch relativ hart gewesen, stellt er heute sachlich fest. Seit den späten siebziger Jahren sei der Betrieb zunehmend von den Leistungskürzungen im Gesundheitsbereich betroffen gewesen, die das zuvor vergleichsweise sorglose Wirtschaften unmöglich gemacht hätten. Das Labor ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, als Mitinhaber haftet Teuber persönlich und macht seine ersten Erfahrungen mit dem Gerichtsvollzieher. Dennoch bezahlt er mit dem Geld, das er für sein erfolgreiches Spiel „Adel verpflichtet“ bekommt, den gesundheitlich angeschlagenen Vater 1990 aus und übernimmt das Labor gemeinsam mit zwei Kollegen.

Vom Spiel zur Firma

Dass aus dem Entwickeln von Brettspielen einmal sein Beruf – und damit auch eine Alternative zur Arbeit im Familienunternehmen – werden könnte, glaubt Klaus Teuber auch dann noch nicht, als seine Erfindung „Die Siedler von Catan“ 1995 die Auszeichnung „Spiel des Jahres“ bekommt. Es ist das vierte Mal, dass er mit einem Spiel den Titel gewinnt. Die Erfahrung hat ihn gelehrt: Im ersten Jahr nach dem Titel ist die Nachfrage riesig – und stürzt danach steil ab. „Bei Spielen wie ‚Barbarossa‘ und ‚Adel verpflichtet‘ hat sich die Nachfrage von bis zu 300.000 Spielen im ersten Jahr in den Folgejahren jeweils halbiert“, sagt er.

Bei Catan kommt es überraschend anders: Die Nachfrage steigt von Jahr zu Jahr. Trotzdem will Teuber nichts überstürzen. Insgesamt drei Jahre lässt er sich Zeit mit der Entscheidung, hauptberuflich Spieleautor zu werden. „Durchschnittlich verdient man mit einem neuen Spiel vielleicht zwischen 5.000 und 10.000 Euro“, erläutert Teuber. „Ich wollte nicht gezwungen sein, jedes Jahr vier oder fünf Spiele auf den Markt zu werfen, von denen ich selbst nicht überzeugt bin.“ Nach drei Jahren wachsender Nachfrage nach Catan ist er schließlich überzeugt, eine starke Basis geschaffen zu haben. „Im Notfall hätte die Pflege der Catan-Welt gereicht, um über die Runden zu kommen“, sagt er heute – auch wenn sein Erfinderehrgeiz sich damit wohl kaum zufrieden gegeben hätte. 1999 überlässt er seine Anteile am Labor seinen beiden Miteigentümern und wird hauptberuflich Spieleautor. Um seine Ideen professionell zu vermarkten, gründet er 2002 die Catan GmbH, gemeinsam mit seinem ältesten Sohn Guido (44). Sein jüngerer Sohn Benjamin (33), der wie Guido seit der Gründung am Unternehmen beteiligt ist, stößt 2011 zur operativ tätigen Mannschaft hinzu.

Vom Ein-Mann- zum Familienunternehmen

Dass seine Söhne einmal mit ihm in einer Firma arbeiten würden, war für Klaus Teuber alles andere als absehbar. Beide hatten zunächst ganz eigene Karrierewege verfolgt. In das Dentallabor des Großvaters, das hatten sie dem Vater frühzeitig zu verstehen gegeben, würden sie nicht einsteigen. Bei Guido Teuber kam noch das Hindernis der weiten Entfernung hinzu: Während des Studiums verliebte sich der Erstgeborene auf einer Auslandsreise in eine Amerikanerin, mit der er eine Familie gründete und sich im kalifornischen Oakland niederließ. Der Vater blieb entspannt und ließ ihn ziehen – ohne zu wissen, wie sehr ihm Guidos Entscheidung einmal in die Karten spielen würde.

Info

Mehrere Schiffe erreichen einen bisher unbewohnten Kontinent – Catan. Die Entdecker ringen um die Vorherrschaft auf der Insel: Um die Wette bauen sie Straßen, Siedlungen und Städte, ernten und gewinnen Rohstoffe – und handeln damit, was das Zeug hält. Seit der Erstveröffentlichung von „Die Siedler von Catan“ 1995 hat Klaus Teuber diese Grundidee zu einer ganzen Produktfamilie ausgebaut: Neben dem Basisspiel gibt es zahlreiche Erweiterungen, Varianten und Szenarien, Editionen wie „Star Trek Catan“ und Regionalausgaben, also Extra-Spielpläne in Form verschiedener Bundesländer – plus Mallorca. Kürzlich ist eine erneuerte Online-Variante des Spiels auf den Markt gekommen. „Die digitalen Angebote werden nach wie vor von den klassischen Brettspielern genutzt, die auf diesem Weg neue Mitspieler suchen“, sagt Benjamin Teuber. Seit 2002 erzählt sogar ein eigener Roman die Geschichte der Siedler von Catan: Bestseller- Autorin Rebecca Gablé, die für ihre historischen Stoffe bekannt ist, hat ihn auf Basis von Klaus Teubers Skizzen verfasst.

„Catan wurde bereits 1996 für den amerikanischen Markt lizenziert“, sagt Teuber. „Aber anders als mit dem ‚Spiel des Jahres‘ in Deutschland lief der Erfolg dort viel langsamer an.“ Am Anfang werden pro Jahr rund 10.000 Catan-Exemplare verkauft, erst langsam steigen die Zahlen. Anfang der 2000er Jahre ist das Lizenzgeschäft in den USA schließlich doch so erfolgreich, dass Teuber die Sache über den Kopf zu wachsen droht. Als er sich entschließt, jemanden einzustellen, eröffnet Guido ihm, dass er gern voll mit einsteigen würde – sehr zur Überraschung, aber auch zur Begeisterung des Vaters. Guido kümmert sich heute um das Lizenzgeschäft in den Vereinigten Staaten.

Aus dem in die Ferne ausgewanderten Sohn wurde ein idealer Baustein in der Aufstellung des Familienunternehmens, und das genau zum richtigen Zeitpunkt. 2009 widmet das Technologiemagazin „Wired“ dem Spiel einen eigenen Artikel, ausgerechnet unter den Techies im Silicon Valley spricht sich das klassische Brettspiel herum. 2012 preist Linkedin-Mitgründer Reid Hoffman das Spiel in seinem Buch „The Start-up of You“, einem Karriereratgeber für junge Unternehmer, der sich zum Bestseller entwickelt – und Catan auf der Welle mit sich nimmt. Bei amerikanischen Kunden von Amazon ist Catan heute das meistverkaufte Gesellschaftsspiel – deutlich vor dem Allzeit-Dauerbrenner Monopoly. Sogar Produktfälscher versprechen sich inzwischen Profit von Catan: Die Teubers werden immer häufiger mit Plagiaten konfrontiert.

Einer der ersten Tester und Kritiker des Kultspiels Catan: Benjamin Teuber.
Foto: Sarah Brüschke/Catan GmbH.

Vom Spiel ins Leben

Catan sei für ihn „das Spiel des Unternehmertums“, sagte Linkedin-Gründer Reid Hoffman Anfang Mai auf einer Konferenz in Seattle. Angeblich lädt er gern potentielle Geschäftspartner zu einer Partie am Brett ein, um sie auf Strategie, Kreativität, Risikobereitschaft und Verhandlungsgeschick zu prüfen. Benjamin Teuber hält das für durchaus realistisch: „Man lernt die Leute kennen beim Spiel – zum Beispiel wie sie mit Niederlagen umgehen“, sagt der studierte Psychologe. Daran, dass man sein Gegenüber im Spiel über längere Zeit bewusst täuschen kann, glaubt er nicht: „Die Emotionen nehmen einen mit, lassen rationale Grundsätze vergessen.“ Neben seinen Aufgaben in der Lizenzverwaltung entwickelt Teubers jüngster Sohn, der im vergleichsweise nahen Frankfurt am Main wohnt, seit 2014 gemeinsam mit dem Vater neue Spiele und bringt eigene Ideen ein. „Tumult Royal“ heißt das erste Spiel, das den Namen beider Generationen auf dem Karton trägt; es ist 2015 auf den Markt gekommen.

Klaus Teuber selbst ist Entdecker, kein Eroberer. An Catan mag er – wie an jedem guten Spiel – besonders den friedlichen, kooperativen Charakter und die soziale Komponente. „Catan hat keine Ureinwohner, es wird niemand kolonialisiert“, sagt er. „Es geht um das offene und friedliche Zusammenleben und in den Erweiterungen auch um den Handel mit fremden Völkern.“ Auch der „Entdecker“ sieht Parallelen zwischen Spiel und Unternehmertum. Zu beidem gehören für ihn Glück und Offenheit für neue, unerwartete Entwicklungen. Allerdings: „Der Glücksfaktor darf nicht übermächtig sein“, sagt Teuber – sonst habe der Spieler wie der Unternehmer keine Möglichkeit mehr, selbst zu handeln. Das bestätigt auch Sohn Benjamin. Er sieht das unternehmerische Arbeiten am ehesten wie eine Hand voller Spielkarten: Man muss offen sei für das Blatt, was man zugeteilt bekommt – und dann mit Strategie und Kreativität das Beste daraus machen.

Hat Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Mainz und Paris studiert. Kam über die Kulturberichterstattung zur Tageszeitung. Seit 2007 Redakteurin in der F.A.Z.-Gruppe, seit 2015 fester Teil der wir-Redaktion, wo sie die Produktion des Magazins, das Programm der „wir-Tage“ und den Podcast verantwortet.