Titus Dittmann nennt zwei Gründe, warum er seine Stiftung errichtet hat. Der eine Grund kommt eher klassisch daher: „Eine Stiftung ist für die Ewigkeit gemacht“, sagt der 1948 geborene Unternehmer und Gründer der Titus GmbH. In seinem Alter sei es ein gutes Gefühl zu wissen, dass Ziele, die man zu Lebzeiten verfolgt habe, durch eine Stiftung im Idealfall für immer weitergetragen würden.
Der zweite Grund ist dagegen ungewöhnlich: „Ich habe die Stiftung des Images wegen gegründet“, sagt der Unternehmer, eine kommunikative Entscheidung also. Denn den Namen Titus Dittmann verbindet man unweigerlich mit Unternehmertum und vor allem dem Skateboard-Business. Ein gescheiterter Börsengang, ein Vorbeischlittern an der Pleite inklusive harter Sanierung – dafür stand sein Name im Jahr der Stiftungsgründung 2009. „Mit der Rechtsform der Stiftung wollte ich zeigen: Damit macht der Titus kein Business, sondern nur Gemeinnützigkeit“, erläutert der Unternehmer. Ein Plan, der nicht aufgehen sollte, aber der Reihe nach.

Halb Lehrer, halb Unternehmer
Die Gründung der Titus GmbH mit Sitz in Münster geht auf das Jahr 1978 zurück. Eberhard Dittmann – seit seinem vierten Lebensjahr Titus genannt, weil sein Bruder fand, Eberhard sehe wie ein römischer Kaiser aus – ist Lehrer in Münster. Der US-Trend des Skateboardings fasziniert ihn. So sehr, dass er auch seine Examensarbeit dem Thema widmet. In Deutschland gibt es keine echte Anlaufstelle für Skate-Fans wie ihn. Das will er ändern. Aber als Lehrer darf er kein Gewerbe anmelden. Somit beantragt seine Ehefrau Brigitta Dittmann eine Reisegewerbekarte, und das Ehepaar betreibt einen Shop. Erste Verkaufsfläche: die eigene Wohnung. Das war der Beginn der Marke Titus.
Nach sechs Jahren – halb als Lehrer, halb als Skate-Händler – quittiert Eberhard „Titus“ Dittmann den Schuldienst, um sich ganz auf das Unternehmen zu konzentrieren. Schon in den Anfangszeiten investiert Dittmann in Projekte, die Skateboarding national wie international fördern, auch vor der eigenen Haustür. Er baut vor dem Hauptsitz des Unternehmens einen Skatepark und schafft sich im Grunde seine eigene Zielgruppe. Er habe das aber nicht aus Marketinggründen gemacht, sondern aus schlechtem Gewissen, sagt der Abiturient aus dem Jahr 1968. Er sei in einer Zeit aufgewachsen, in der Menschen dem Unternehmertum negativ gegenüberstanden. Das habe er auch in seinem eigenen Elternhaus gespürt. Wenn man Erfolg habe, gelte es, etwas zurückzugeben an die Subkultur des Skatens, befand er damals. Eine Subkultur, die gesellschaftlich und auch politisch in ihrer Anfangszeit mit Vandalismus, Sachbeschädigung und einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbunden wurde. Nicht ohne Grund etablierte sich der Spruch „Skateboarding is not a crime“ in der Szene. „Ich habe mich um die Szene gekümmert“, sagt Dittmann. Das zahlte sich aus.
In den neunziger Jahren wurde das Image des Skatens deutlich besser, und auch öffentliche Stellen förderten den Bau von Skateparks. Das Geschäft mit dem Brett und den vier Rollen lief gut, denn Dittmann ging weg vom Großhandel hin zum Einzelhandel und einem Franchisingsystem. Er hatte sich als einer der Köpfe der Szene in Deutschland etabliert. Sein Image und die Marke schlugen sich auch in den Zahlen nieder. Um die Jahrtausendwende stand das Unternehmen besser da denn je, knapp 550 Mitarbeiter erwirtschafteten an 30 Standorten einen Umsatz von rund 90 Millionen Euro. Der Titus-Katalog galt als die Bibel der Szene, Titus Dittmann als Skateboard-Papst. Den Titel höre er aber nicht gern – und der Erfolg sei ihm zu Kopf gestiegen, das könne man schon so sagen, gibt er zu.
Der Absturz von Titus Dittmann
Der Absturz, der folgte, war tief – und eine Zeit, die Titus Dittmann heute als das beschreibt, was sein Leben nie dominieren sollte: das knüppelharte Business. Ehemalige Mitarbeiter von ihm wollten mit einem ähnlichen Geschäftsmodell an die Börse gehen. Das konnte das Urgestein, das sich das Motto „Lieber tot als Zweiter“ gegeben hat, nicht auf sich sitzen lassen.
Er holte sich für große Wachstumspläne Investoren ins Unternehmen, firmierte die GmbH in die Titus AG um und wollte an den Kapitalmarkt, warb im Fernsehen für sich und das Unternehmen. Endlich fühlte er sich „mal wie ein echter Rockstar“, sagte er dem „Handelsblatt“ über diese Zeit. Raus aus der Szene, rein in die große Öffentlichkeit. Das Timing war denkbar schlecht: Im Jahr 2002 stürzte der Dax um mehr als 40 Prozent ab. Der geplante Börsengang wurde abgesagt. Die Investoren fürchteten um ihre Rendite, das Unternehmen hatte sich in seinem Wachstum verhoben, die Pleite drohte.
Der „Spiegel“ beschrieb den folgenden Schritt der Investoren mit den Worten: die „aufgeblähte Firma auszuschlachten“. Titus Dittmann selbst konnte dem Treiben keinen Einhalt gebieten, schließlich hatte er nur noch wenig zu entscheiden. Mit dem Einstieg der Investoren waren seine Stimmrechte eingeschränkt. Er war nicht mehr Herr im eigenen Haus. Dort gingen nun Berater ein und aus, die die Titus AG schnell wieder auf Rendite trimmen wollten. Aber: „Die haben das Geschäft und den Markt einfach nicht verstanden“, sagt Dittmann. Zwei Jahre später, 2004, stand die AG mit einem geschätzten jährlichen Verlust von 10 Millionen Euro da.
Frustrationstoleranz
Aufgeben ist aber nichts für Titus Dittmann, der Sätze sagt wie: „Beim Skateboarden lernt man fürs Leben, man muss immer einmal mehr aufstehen, als man hinfällt. Das ist Frustrationstoleranz pur.“ So tritt er auch dem Untergang des eigenen Unternehmens entgegen. Er verpfändet fast seinen gesamten Besitz, löst seine Lebensversicherung auf, um die Firma von Banken und Investoren im Jahr 2007 zurückzukaufen.
Dittmann dreht in der Folge viele Entscheidungen, die die Investoren ins Unternehmen brachten, wieder zurück. Er wickelt 20 Tochterunternehmen ab, entlässt Berater, die unter anderem Produkte auf eBay für den schnellen Abschluss verkauften, der sich aber langfristig negativ ausgewirkt hatte; er spaltet die Logistiksparte ab. Und das Blatt wendet sich. Das Unternehmen kriegt die Kurve – ein Umsatz von rund 40 Millionen Euro steht zu Buche und am Ende der Bilanz ein Gewinn von 2,5 Millionen Euro.
Nach diesem Prozess übergibt Titus Dittmann den Posten des Geschäftsführers 2010 an seinen Sohn Julius Dittmann. Ein Jahr davor hatte der Senior bereits die Titus Dittmann Stiftung gegründet, um sich dem zu widmen, was er während der Zeit als Unternehmer nebenher betrieb: Initiativen selbst schaffen oder fördern, die Kindern und Jugendlichen das Skaten ermöglichen. Auch sie sollen auf den Brettern fürs Leben lernen. Und da gehören Hinfallen und Wieder-Aufstehen für ihn definitiv dazu.
Der Ruf des Unternehmers
Sein Image hilft aber bei der Etablierung der Stiftung nicht. Das Finanzamt Münster zweifelt an der Gemeinnützigkeit, denn wenn ein Titus Dittmann mit seiner Stiftung das Skateboarden unter dem Mantel der Kinder- und Jugendhilfe fördere, zahle das auf die Marke und das Unternehmen ein. Dittmann klagt und baut gleichzeitig zwei neue Vehikel auf, die seine Idee retten werden.
In Berlin gründet er den skate-aid international e.V. und in Münster die skate-aid support GmbH. Die drei Gebilde verzahnt er. Qua Satzung dürfen Stiftungszwecke der Titus Dittmann Stiftung durch fremde Dritte erfüllt werden. Dieser Dritte wird der eingetragene Verein. Den Namen „skate-aid“ will er als gemeinnützige Marke etablieren und geht damit weg vom eigenen Namen. Die skate-aid support GmbH ist eine 100-prozentige Tochter der Stiftung. „Die GmbH macht mit der Marke ‚skate-aid‘ kommerziell Gewinne, und diese fließen zu 100 Prozent in die Stiftung und deren soziale Projekte“, sagt Dittmann. „Aus der Not heraus habe ich ein sauberes, logisches und perfektes System geschaffen.“
Mit dieser Konstruktion könne er Wege gehen, die traditionellen Stiftungen verwehrt blieben, sagt Dittmann. Die GmbH kann etwa durch Lizenzgeschäfte Gewinne erwirtschaften. Das Logo findet sich auf Schuhen und Softgetränken wieder. „Die Unternehmen können den Claim nutzen: ‚Von der Limo gehen 10 Cent an skate-aid‘. Das hilft doch allen. Die unterstützen etwas Soziales, und wir bekommen eine Finanzspritze“, sagt Dittmann. Auch Skate-Workshops können von Firmen für Kinder von Mitarbeitenden oder Kunden gebucht werden.
Auf der einen Seite Kommerz und Markenaufbau, auf der anderen Seite Soziales – passt das zusammen? „Ist doch egal, wenn man für die Gewinne der GmbH Steuern zahlt. Dann haben Staat und Steuerzahler auch noch was davon“, sagt der ehemalige Lehrer. Es sei ideal, wenn Kommerz einer Stiftung und ihren Projekten diene, sagt er und zieht damit einen Vergleich zu seinen Zeiten als Unternehmer, als er sich seine eigenen Kunden schuf, indem er einen Skatepark vor den Titus-Shop baute.
Eine späte Erkenntnis
Die Projekte setzt der Verein als ausführender Dritter des Stiftungszwecks mit lokalen Partnern um. Es geht immer darum, Kindern und Jugendlichen das Skateboarden näherzubringen und sie gleichzeitig in ihrer Entwicklung zu fördern. Das erste Projekt war ein sogenanntes pädagogisch betreutes Skateboarding-Projekt in Karokh im Westen von Afghanistan. Dafür hat der Verein die Finanzierung einer multifunktionalen Sportanlage auf den Weg gebracht, ein Pädagoge vor Ort betreut das Projekt.
Auch in Deutschland ist skate-aid aktiv, beispielsweise mit der Initiative „Skaten statt Ritalin“. Das Projekt wurde gemeinsam mit dem Verein „Takko hilft“, dem Verein des Modeunternehmens Takko Fashion, ins Leben gerufen – ein Projekt, das Dittmann sehr naheging. Denn im Rahmen der Aktivitäten wurde bei ihm selbst ADHS diagnostiziert – für ihn eine späte Erkenntnis. „Endlich wusste ich, warum ich immer so viel Energie hatte und manchmal – auch im Unternehmenskontext – unkontrolliert emotional durch die Decke gegangen bin“, sagt Dittmann.
Knapp 25 Projekte in 18 Ländern wurden seit 2009 unterstützt. Das Gründungskapital für die Stiftung habe er damals, als er noch Chef von Titus war, von Franchisenehmern „zusammengeschnorrt“ und dem Unternehmen selbst entnommen. „Eine Stiftung ohne eigenes Geld hochzuziehen, das ist ’ne harte Aufgabe. Ich hatte mein ganzes Vermögen ja in die Rettung der Firma gesteckt“, sagt der Skateboarder.
Im Moment ist er, was die Finanzierung angeht, aber weiterhin das Zugpferd. Fast 90 Prozent des Geldes für die Projekte stammen von Spenden, die er meist persönlich einwirbt. Zwar gibt es Mitglieder, die Beiträge zahlen. Aber das könne im Moment unter „ferner liefen“ abgestempelt werden. In seiner Vorstellung bringt die Vermarktung von skate-aid irgendwann so viel ein, dass das lästige Klinkenputzen überflüssig wird. Ein Kreislauf soll geschaffen werden, indem die Projekte mehr Aufmerksamkeit für die Marke generieren, die sich monetarisieren lässt und so wiederum auf Projekte einzahlt. „Ich muss entbehrlicher werden, sonst geht das vielleicht alles nicht weiter“, sagt Dittmann.
Sein Engagement wird gewürdigt. 2021 erhielt er beispielsweise das Bundesverdienstkreuz. Preise zu gewinnen mache ihm großen Spaß, weil – einst als Außenseiter in einer damals durch die Politik stigmatisierten Szene gestartet – ihn die Gesellschaft jetzt respektiere. „Da kann ich mir dann sagen: Denen kann ich jetzt allen den Finger zeigen, weil ich es geschafft habe“, sagt der Altunternehmer. Da klingt er fast wie ein Kind, das es, nach unzähligen Versuchen und schiefen Blicken von anderen, endlich geschafft hat, einen Skateboard-Trick auszuführen. Frustrationstoleranz eben.
Hat Internationalen Journalismus in Magdeburg studiert. Schrieb schon davor für die Südwest Presse in seiner Heimat Ulm. Sammelte zudem Auslandserfahrung bei der Allgemeinen Zeitung in Windhoek, Namibia, sowie bei Kwanza TV in Daressalam, Tansania. Seit 2017 Redakteur bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA und Mitglied im Redaktionsteam des wir-Magazins.

