In Sulzbach am Taunus ist wieder alles in Ordnung. Und nach getaner Tat wirkt der Mann entspannt. Stefan Messer hat zurückgeholt, was sein Großvater Adolf Messer 1898 gegründet und sein Vater nach dem Krieg ausgebaut hatte: das Unternehmen, das Mitte der Sechzigerjahre mit Teilen einer Hoechst-Tochter fusionierte, sich in den Siebziger- bis Neunzigerjahren zum Weltkonzern entwickelte und dann im Jahr 2001 vom Hoechst- Konzern als Restrukturierungsfall an zwei Finanzinvestoren verkauft wurde. Nicht alles hat er zurückgeholt. Der Großteil des Familienimperiums, vor allem die Wiege von Messer, das Deutschlandgeschäft – gehört jetzt zum ärgsten Wettbewerber, dem französischen Air-Liquide-Konzern. Ein hoher Preis für die neue Freiheit.
Ein guter Preis, findet Stefan Messer, knapp anderthalb Jahre nach dem spektakulären Deal zwischen Goldman Sachs, Allianz Capital Partners, Air Liquide und der Messer-Familie. Stefan Messer wirkt indes nicht so wie der Mann, den man sich hinter dieser Geschichte vorstellt. Er ist nicht der Typ Patriarch, der laut polternd mit der Tür ins Gespräch fällt. Im Gegenteil. Stefan Messer ist ein zurückhaltender Mensch. Seine Antworten sind kurz. Der Mann mit dem Vollbart fällt nicht gleich auf in seinem Büro. Und das unauffällige vierstöckige Bürogebäude riecht so gar nicht nach alteingesessenem Familienunternehmen. Auch von den Turbulenzen der vielen Gesellschafterwechsel ist nicht mehr viel zu spüren. Dabei war das kein kleiner Deal im Jahr 2004. Damals wurde viel Geld von A nach B geschoben. Air Liquide zahlte damals 2,7 Milliarden Euro für zwei Drittel der Messer-Aktivitäten (das Geschäft in Deutschland, USA und Großbritannien). Stefan Messer blieben das Geschäft in den etablierten Märkten von Westeuropa sowie in den Wachstumsregionen Osteuropa sowie China. Und seine Freiheit. Er lehnt sich im Stuhl zurück. Die nächsten Schritte sind klar: „Jetzt geht es darum, das Unternehmen langfristig auszurichten und stabil zu entwickeln.“
Stefan Messer: „Gase kann man nicht weit transportieren.“
Von Langfristigkeit war bei Messer die letzten Jahre indes nicht viel zu spüren. Unter der Ägide von Hoechst-Managern wurde Ende der Neunzigerjahre nach Kräften expandiert. Vieles von dem, was die Hoechst-Leute unternahmen, ergab für Stefan Messer, den Minderheitsgesellschafter im eigenen Haus, wenig Sinn: „Da wurde auch mal eine Anlage mitten im Dschungel gebaut“, lacht er kurz und schüttelt dann verständnislos den Kopf. „Sie müssen wissen: Gase kann man nicht weit transportieren. Unsere Anlagen müssen in unmittelbarer Nähe zum Kunden stehen.“ Aber damals, das waren andere Zeiten. Für den Hoechst-Konzern galt es Mitte der Neunzigerjahre, Messer zur Nummer eins oder Nummer zwei im Markt zu machen. Globalität fast um jeden Preis. Die Quittung kam später. Irgendwann war die Verschuldung so hoch wie der Jahresumsatz. „Wenn Hoechst damals nicht an Allianz Capital Partners und Goldman Sachs verkauft hätte, gäbe es Messer heute nicht mehr“, ist Stefan Messer überzeugt.
Der Erbe aus der dritten Generation ist seit 26 Jahren im Unternehmen. Seit 1999, also noch zu Hoechst-Zeiten, war er in der Geschäftsführung für Westeuropa zuständig. Anfangs war die Partnerschaft mit Hoechst keine schlechte Idee: „Als unser Familienunternehmen unter Leitung meines Vaters und die Hoechst- Tochter zusammengingen, war das eine gute Kooperation für beide Seiten.“ Aber Führungsmannschaften ändern sich in Konzernen schnell, Strategien noch schneller. Als die Dinge aus dem Ruder zu laufen drohten, wuchs in Stefan Messer der Wunsch, das Unternehmen oder Teile davon wieder in Familienhand zu überführen. Als dann die Finanzinvestoren im Jahr 2000 einstiegen, wurde eine Call-Option vereinbart, die Stefan Messer ein Vorkaufsrecht einräumte. Sie sollte später eine Schlüsselrolle spielen.
Dr. Hans-Gerd Wienands, damals als Anwalt für die Familie Messer am Deal beteiligt, heute Geschäftsführer bei der neuen Messer- Gruppe, erinnert sich: „Das waren 1,5 Seiten in einem 80-seitigen Vertragskonvolut. Da wurde damals nicht viel Zeit drauf verwendet.“ Zugetraut hatten die Finanzinvestoren der Familie Messer ohnehin nicht, dass sie mit dieser Option etwas anfangen könnte. Der Familie gehörte rund ein Drittel eines mit fast 2 Milliarden Euro bewerteten Unternehmens. Ein Rückkauf der Anteile durch Messer schien kaum realistisch, zumal es schlecht stand um die hoch verschuldete Gruppe.
Die Finanzinvestoren verpassten dem Unternehmen einen harten Sanierungskurs. Klare Konzentration auf das Kerngeschäft in Nordamerika und Europa, Veräußerung von zahlreichen Tochtergesellschaften. Rund 350 Einzelmaßnahmen haben in rund drei Jahren dazu geführt, dass Messer Griesheim heute wieder gut dasteht. „Den Finanzinvestoren ging es ja darum, kurz- und mittelfrsitig Geld zu verdienen. Die haben Messer erstmal saniert. Dabei haben sie einen guten Job gemacht“, gibt Stefan Messer unumwunden zu. Geld verdienen, das wollte der Unternehmer Stefan Messer auch. Trotz der etwas anderen Mentalität und der angelsächsischen Manieren der smarten Investmentbanker funktionierte die Zusammenarbeit mit dem deutschen Unternehmer im blauen Kittel. Dabei hätten die Ziele unterschiedlicher kaum sein können: Kurzfristiger Exit auf der einen Seite, langfristiger Erhalt des Unternehmens auf der anderen Seite. Bei allem Respekt für die Restrukturierungsleistung der Finanzinvestoren findet Stefan Messer dann auch, dass das ansonsten nicht sehr gut zusammenpasst: Finanzinvestoren und Unternehmen.
Investitionen Zahlen sich erst nach Jahren aus
Aber hat denn das Beispiel nicht gezeigt, dass man sehr wohl einfach Managementtalent einkaufen kann, dieses in ein Unternehmen setzt und damit Erfolg haben kann? „Das mag für eine Sanierungsphase funktionieren. Aber nicht, wenn es darum geht, ein Unternehmen langfristig erfolgreich zu führen“, glaubt Stefan Messer: „Bei uns zahlen sich Investitionen, die Sie heute machen, erst in acht Jahren aus. Da müssen Sie schon genau wissen, was Sie tun“, findet der Unternehmer.
Im Jahr 2001 begannen Wienands und Messer, einen Schlachtplan zu schmieden. Es ging um die Aufteilung des Unternehmens und den Weiterverkauf. Den Finanzinvestoren habe es anfangs nicht gefallen, dass das Unternehmerteam auf dem Fahrersitz Platz nahm. Ein Lächeln huscht über Wienands’ Gesicht: „Aber die haben sich dann daran gewöhnt, dass sie bei der Suche nach der besten Dealstruktur mit uns würden rechnen müssen.“ Was dann folgte, waren monatelange Verhandlungen. Einfach war das nicht. „Goldman war gleichzeitig Finanzinvestor, Kreditgeber und Berater auf Finanzierungsseite. Außerdem wollte Air Liquide auch nicht genau die Assets kaufen, die wir verkaufen wollten“, schildert Stefan Messer die harten Zeiten.
Auf die Frage, wie professionell der Verkaufsprozess vonstatten ging, müssen die beiden herzhaft lachen. „Was ist schon professionell in so einem Prozess? Es wurde sehr hart verhandelt“, so Wienands. Der 60. Stock des Frankfurter Messeturms war mehrere Wochen lang für die Riege von Investmentbankern und Anwälten aller involvierten Parteien reserviert. Herausgekommen ist ein Deal, mit dem Stefan Messer gut leben kann. Ist es ihm nicht schwer gefallen, ausgerechnet das Deutschland-Geschäft aufzugeben? „Natürlich. Ich hätte die Aktivitäten in Deutschland gerne behalten. Aber das war keine emotionale Entscheidung. Wir mussten möglichst wertvolle Assets verkaufen, um den Deal finanzieren zu können. Vergessen Sie dabei nicht, dass wir auch die erheblichen Altschulden einschließlich High-Yield-Bond ablösen mussten. Das ging nur mit Deutschland.“ Gut war der Deal auch für die Finanzinvestoren. Nur drei Jahre waren sie bei Messer engagiert. Sie haben eine hervorragende Rendite auf das eingesetzte Kapital erzielt. Und Air Liquide? Haben die mit 2,7 Milliarden Euro nicht doch ein bisschen viel bezahlt für Messer? „Auf keinen Fall!“ Die Antwort von Stefan Messer kommt wie aus der Pistole geschossen: „Für Air Liquide war das eine Riesenchance. Die wollten seit 40 Jahren auf den deutschen Markt. Sie haben ein gutes Unternehmen zu einem guten Preis bekommen.“
Info
Der Gesellschafterkreis der Messer Group besteht in der dritten Generation aus weniger als zehn Personen. Die überschaubare Zahl macht Stefan Messer das Leben leichter: „Der Gesellschafterkreis besteht heute bewusst nur noch aus Personen, die sich für das Unternehmen interessieren.“ Es habe einige Personen gegeben, die keine Bindung zum Unternehmen gehabt hätten. So ist beispielsweise auch sein Bruder aus dem Gesellschafterkreis ausgeschieden. Stefan Messer hat eine Tochter (21 Jahre) und einen Sohn (19 Jahre). „Mein Sohn möchte nach dem Abitur Wirtschaftsingenieurwesen studieren. Sein Ziel, seinem Vater zu folgen, wird er nach einigen Stationen in anderen Unternehmen erreichen, ist sich der Vater sicher.
In Deutschland hat Stefan Messer im Gasegeschäft jetzt erst einmal drei Jahre Wettbewerbsverbot. „Aber danach kann man ja wieder darüber nachdenken. Nischenmärkte gibt es immer“, philosophiert Messer, und das zufriedene Schmunzeln kehrt auf sein Gesicht zurück. Täuschen wir uns? Oder regt sich da nicht wieder der Eroberungsgeist der alten Messer Griesheim? Sich von Franzosen im eigenen Markt vorführen lassen?
Bis dahin gibt es auch so genug zu tun. Vor allem das China-Geschäft ist viel versprechend. Messer ist seit 1995 in China und hat bislang 200 Millionen Euro investiert. Das lohnt sich. „Der Markt wächst mit 20 Prozent pro Jahr. Messer wächst in China anderthalbmal so schnell wie der Markt“, erklärt Wienands. Und, wer hätte das gedacht? Im Aufsichtsrat, findet sich neben dem Unternehmer Dr. Jürgen Heraeus auch Goldman Sachs’ Deutschland- Chef Dr. Alexander Dibelius wieder. „Er kommt sogar regelmäßig zu den Sitzungen. Ich sehe ihn jetzt öfter als damals, als Goldman noch Gesellschafter bei uns war“, scherzt Messer und fügt hinzu, dass er dessen Beitrag im Aufsichtsrat sehr schätze.
Und dann ist da ja auch noch das Geschäftsfeld Schweiß- und Schneidetechnik. Messer hat im Jahr 2004 das Unternehmen Messer Eutecic Castolin, das ein traditionell zur Messer-Gruppe gehörendes Geschäft beinhaltete, vom Finanzinvestor Carlyle zurückerworben. Carlyle hatte im Jahr 2000 im Rahmen eines MBOs die Mehrheit an der MEC erworben, die heute rund 350 Millionen Euro Umsatz macht.
Was treibt Stefan Messer dazu, sich mühevoll das alte Familienunternehmen zurückzukaufen? Im Gespräch geht es auch um die Details von Luftzerlegungsanlagen, anwendungstechnischen Neuerungen und geschickte Marktpositionierung. Kein Pathos, keine großen Gefühle, jedenfalls nicht für die Außenwelt. Es sind nicht die unternehmerischen Funken, die in der Messer- Werkstatt überspringen. Auf die Frage nach dem „Warum?“ kommt eine leise Antwort: „Ich arbeite eben gern. Außerdem ist das ein spannendes Geschäft.“ Es gibt viele spannende Geschäfte auf der Welt, aber nur eines, das im eigenen Stammbaum Spuren hinterlassen hat.