Eigentlich hätte aus Sven Hagströmer kein Unternehmer werden sollen. Denn eigentlich liegen die Werdegänge seiner Familie eher in den Berufsbezeichnungen Arzt oder Anwalt, wie der Schwede selbst sagt. Doch seit Kindesjahren waren seine Neugier und sein Wissensdrang zu groß, um in Schubladen gesteckt zu werden.
Ein Unternehmerleben später schmückt Hagströmer, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiert, die Forbes-Milliardär-Liste. Als Quelle des Reichtums steht in der Beschreibung seines Profils: Finanzdienstleistungen, „Self Made“. Im schwedischen Fernsehen gibt sich Hagströmer im dortigen Pendant zum Format „Die Höhle der Löwen“ als durchtriebener, wissender Investor. Dabei brach er einst sein Studium ab und war sogar bereit, Schweden den Rücken zu kehren. Wie kam es dazu, dass heute grob jeder fünfte Schwede Kunde eines Portfoliounternehmens von Hagströmer ist? Und was offenbaren seine nicht unternehmerischen Projekte über ihn? In Interviews sagt Hagströmer selbst wenig bis nichts über sein vermeintliches Vermächtnis. Aber da wird sich doch etwas finden lassen.
Der erste Deal im Kindesalter
Sven Hagströmer wurde 1943 geboren. Als sich andere Kinder auf dem Fußballplatz ihre Knie aufschlugen, fädelte der junge Sven Hagströmer seine erste Transaktion ein. Mit 12 Jahren habe er die erste Aktie vom Taschengeld gekauft, erzählt der Schwede. Als dann die TV-Geräte langsam die Wohnungen weltweit eroberten, standen seine Eltern der Entwicklung rund um das neue Medium nicht offen gegenüber. Ihr Sohn Sven war aber von der Technik fasziniert. In der Stadtbibliothek lieh er sich Bücher zum Thema Television. Das Ende der Geschichte war, erinnert sich Hagströmer, dass er selbst ein TV-Gerät baute und dieses dann an die Eltern verkaufte, die er von der Technik zu überzeugen wusste. Sein erster richtiger Deal, sagt er. Und das mit den vormals kritischen Eltern als ersten Kunden, ergänzt Hagströmer und lacht.
Als Juror der schwedischen Variante von „Die Höhle der Löwen“ und Kopf seiner Investmentgesellschaft beurteilt er heute Ideen und Geschäftsmodelle aus der Investorenbrille. Sind Neugier und die Fähigkeit zu überzeugen das, was einen guten Investor ausmacht? Nicht ganz, findet der Selfmade-Milliardär. Energie und Ausdauer – das brauche ein guter Investor. Und nicht nur ein Investor. Beides brauche eigentlich jeder Mensch, egal in welchem Job er arbeite. Man solle aufspringen wollen, wenn es in Richtung Arbeit gehe. Nur so werde man erfolgreich.

Unruhegeist: Auch mit 80 Jahren sitzt Unternehmer und Stifter Sven Hagströmer noch lange nicht still. / Foto: Thron Ullberg
Energie und Ausdauer als Erfolgsfaktoren für gute Investments? Wäre das so einfach, wäre die Forbes-Liste der Milliardäre sicher länger. Es braucht daneben den richtigen Riecher für Opportunitäten. Um diesen im Vermächtnis von Hagströmer herauszuarbeiten, muss man ein bisschen durch die politische Geschichte des skandinavischen Landes reisen. „Die Regierungen vor 1976 waren sehr sozialistisch geprägt und viele schlaue Schweden sind ausgewandert“, blickt der Unternehmer zurück. Der erhoffte Turnaround durch die Wahl im Jahr 1976 erfolgte aber nicht. In den sechs Jahren danach hatte das Königreich vier Regierungen, die liberal-rechts orientiert waren, aber allesamt scheiterten. Die Steuern waren hoch, die Wirtschaft taumelte.
Auf dem Weg zur Sven Hagströmer Fondkommission
Fast hätte er sich den ausgewanderten Mitbürgern angeschlossen und das Weite gesucht, sagt Hagströmer. Die Bergbaubranche in Australien hatte er als mögliches Ziel ausgemacht. Aber er sah trotz allem in der Heimat auch eine unternehmerische Chance, für die er sich schließlich entschied. Nachdem er sein Studium der Wirtschaft an der Universität in Stockholm abgebrochen hatte, war er Portfoliomanager für das an der schwedischen Börse notierte Aluminiumunternehmen Granges AB geworden, später für das Unternehmen Investor AB der Familie Wallenberg. Nach über zehn Jahren Zusammenarbeit mit den Kreditinstituten und deren Brokern zog Hagströmer seine Bilanz für die Branche: „Ich sah keine guten Wettbewerber im Finanzbereich. Mit den Börsenmarklern, mit denen ich in meiner Rolle als Portfoliomanager arbeitete, war ich nicht zufrieden. Für mich war die Lage dann klar: Da ist besserer Service möglich.“
Er wagte trotz lahmender Wirtschaft den Schritt in die Selbständigkeit und gründete 1981 das Finanzinstitut Sven Hagströmer Fondkommission AB. Im Jahr danach feierten die Sozialdemokraten ihre Rückkehr an die Macht. Aber unter neuen Vorzeichen: Sie siegten mit einer neuen marktliberal geprägten Denkweise. Das kam Hagströmer zugute.
Strategie hart am Wind
Knapp zehn Jahre nach der Gründung brach das nächste Kapitel in Hagströmers Unternehmergeschichte an: die großen Wachstumszeiten. Der Börsenmakler Mats Qviberg stieß als Partner zu Hagströmer. Unter dem Namen Hagströmer & Qviberg (HQ) fuhr die Bank eine harte Strategie, übernahm und fusionierte mit verschiedenen anderen Dienstleistern aus der Finanzbranche. Schlussendlich brachten Hagströmer und Qviberg das Unternehmen HQ an die Börse.
In Investment AB Öresund bündelten die beiden Unternehmer ihre Beteiligungen. Dazu gehörten auch die Aktien der HQ Bank, an der Hagströmer und Qviberg eine mittelgroße Minderheit behielten. Beiläufig erwähnt Hagströmer, dass Öresund auch in die Entwicklung und das Wachstum des schwedischen Zahlungsanbieters Klarna investiert hat.
Den Erfolg ihrer Investments und Unternehmungen allein mit dem richtigen Timing zu beschreiben greift aber zu kurz. Hagströmer und Qviberg beherrschten die Klaviatur des Markplatzes und folgten in vielen Entscheidungen ihrem Instinkt. Abmachungen wurden schriftlich überhaupt nicht festgehalten, beschreibt Hagströmer diese Zeit und das Miteinander. Das Erfolgsmodell, das die beiden ausmachte, brachte ihnen aber auch Kritik ein. Sie wurden mit Spitznamen wie „Metzger“ oder „Unternehmenspiraten“ beschrieben. Denn in den neunziger Jahren spalteten sie Unternehmen auf und brachten die Gesellschaften jeweils einzeln an die Börse.
Das Ende von Hagströmer und Qviberg
2010 nahm der Höhenflug ein jähes Ende. Die schwedische Tageszeitung Svenska Dagbladet titelte: „Ist die Ära Hagströmer-Qviberg vorbei?“ Was war passiert? Die HQ Bank verlor ihre Lizenz und wurde liquidiert. Die schwedische Finanzaufsichtsbehörde stufte das Handelsportfolio als überbewertet ein. Zu dieser Zeit hielten Hagströmer und Qviberg über die Investmentgruppe Öresund knapp 25 Prozent der Anteile an HQ. Durch die Auflösung des Assets fiel auch die Öresund-Aktie um einen zweistelligen Betrag.
Was die Zeitung damals titelte, wurde zwei Jahre später offiziell: Hagströmer verließ die gemeinsame Holding Öresund 2012 und gründete eine eigene Investmentgesellschaft. Sie heißt Creades – eine Zusammensetzung aus den Wörtern „creative“ und „destruction“. Mit dieser Gesellschaft investierte er unter anderem in den Online-Broker Avanza, den er viele Jahre zuvor selbst aus der Taufe gehoben hatte.
Die Begeisterung von Sven Hagströmer für sein „Baby“, den Online-Finanzdienstleister Avanza, verwundert nicht, wenn man seinen Erzählungen über die Anfänge des Internets lauscht. Er sei wie gebannt gewesen. „Das erste Mal richtig im Internet war ich Mitte der Neunziger über 36 Stunden – ohne Schlaf und ohne Essen. Mir wurde klar, diese Technik wird enorme Auswirkungen haben“, sagt er. „Ich fühlte mich wie neugeboren, als ich mir all die Möglichkeiten ausmalte.“ Hagströmer machte damals zwei Branchen aus, auf die sich die Entwicklung schneller und diametraler auswirken würde als auf andere: die Pornografie und die Finanzen. Die Entscheidung, welchem Wachstumsmarkt er sich widmen würde, sei schnell gefallen, sagt er und lacht.
Seine damaligen Mitstreiter bei der Bank HQ beäugten den Einstieg ins Online-Geschäft kritisch, kreidet Hagströmer an. Doch er setzte sich durch und ging online einen ähnlichen Weg wie bei HQ. 1999 gründete er Avanza, brachte das Unternehmen an die Börse und fusionierte dann mehrere Finanzdienstleister – im Grunde analog zum Modell von HQ, nur im Online-Bereich. Heute hat er den Vorsitz im Avanza-Aufsichtsrat inne. Wie auch bei anderen Unternehmen, die er an die Börse gebracht hat, hat er Anteile behalten, aber keine zu großen Positionen. Die zwei größten Avanza-Shareholder sind mit knapp 10 Prozent Sven Hagströmers Familie und Firma sowie die Creades AB selbst, an der er wiederum rund 61 Prozent des Kapitals hält.
AllBright Stiftung: Von Empowerment und Steinen
Vielen Unternehmerdynastien – vor allem im Deutschland – ist ein erfolgreicher Generationenwechsel das höchste Vermächtnis. Hagströmer beäugt dieses Thema weniger streng. Ob sich eines seiner fünf Kinder seinen diversen Unternehmungen nun operativ widmet oder nicht, ist für ihn nicht entscheidend. Sein Vermögen wird er trotzdem an sie weitergeben. Dazu muss man ergänzen: Zwei Söhne sind bereits in der Holding Creades tätig und haben ein Faible für die Welt der Finanzen.
Mit ein bisschen mehr Nachdruck weist Hagströmer darauf hin, dass gerade seine Söhne die Karriereleitern im Finanzmarkt erklimmen wollen und eben nicht seine Töchter. „Das finden Sie als Journalist sicherlich sehr amüsant“, sagt Hagströmer. Tatsächlich entbehrt dieser Umstand nicht einer gewissen Ironie. Seit 2011 engagiert sich der Unternehmer mit der von ihm gegründeten AllBright Stiftung für mehr Frauen und Diversität in den Führungspositionen der Wirtschaft. Hauptsitz der Stiftung ist Stockholm. In Berlin gibt es seit 2016 eine Schwesterstiftung. Der Name, wie auch bei seinem Investmentvehikel Creades, ist mit Bedacht ausgewählt. AllBright ist eine Mischung aus dem Namen der ehemaligen und 2022 verstorbenen US-Außenministerin Madeleine Albright sowie der Formulierung „All bright“, was „alle (sind) klug“ bedeutet – es geht Hagströmer um die hellsten Köpfe.
Im Namen der Stiftung spiegelt sich Hagströmers meritokratischer Ansatz wider. „Wer qualifiziert ist, der oder die sollte die Stelle bekommen. Die Auswahl darf nichts mit Geschlecht zu tun haben“, sagt der Stifter. Warum die Stiftung mehr Diversität in Aufsichtsräten und Vorständen fordert, lasse sich aus seiner Sicht mit Zahlen belegen. „Wenn wir Frauen mit Steuergeld ausbilden, dann ist es verschwendetes Geld, wenn diese Frauen nicht in Führungspositionen kommen.“ Auch sei es nur logisch, dass Unternehmen besser funktionieren und ihren Kunden den besten Service bieten würden, wenn die Vorstände so divers seien wie die Kundschaft.
In seinen eigenen Unternehmen sah sich Hagströmer nach Gründung der Stiftung mit der Kritik konfrontiert, dass bei ihm in den Vorständen ebenfalls zu wenig Frauen vertreten waren. Er nahm die Kritik auf: „Besser mal mit Steinen werfen, statt im Glashaus rumzusitzen und die Arme zu verschränken.“ Für ihn ist dennoch klar, dass er selbst auch nach vorn gehen und ein Beispiel vorleben muss, um das System zu verändern. Der Frauenanteil in den Vorständen seiner Unternehmen Creades und Avanza liegt heute bei 50 Prozent.
Wenn Hagströmer über Führungskultur spricht, streut er deutsche Wörter ein und beschreibt seine Idee von Austausch mit dem Neologismus „Gegenarbeiter“. Soll heißen, jeder CEO brauche mindestens eine Person, die Entscheidungen mit starker Stimme hinterfrage und – wenn es sein muss – auch Stimmen suche, um den CEO schließlich zu überstimmen. Überstimmt zu werden habe ihn in seiner Zeit als operativ tätiger Unternehmer nicht gestört, versichert der Schwede. Im Gegenteil, er sei mehr als glücklich, wenn er überstimmt werde und Veränderung eintrete.
Junilistan: Auf in die Politik
An Systemen rütteln, Veränderungen auf den Weg bringen und das in großem Stil, das will Hagströmer auch außerhalb seiner Tätigkeit in der Wirtschaft und im gemeinnützigen Sektor. Der Schwede beteiligte sich auch an der Gründung einer neuen politischen Partei und war Parteivorstand bei Junilistan, übersetzt „Juniliste“. Die europaskeptische Partei wollte das Momentum des gescheiterten schwedischen Referendums zur Adaption des Euro im September 2003 nutzen, bei dem 56,2 Prozent der Schweden gegen die Aufnahme in die Euro-Zone gestimmt hatten. Junilistan trat daraufhin erstmals bei der Europawahl im Juni 2004 an und erreichte 14,5 Prozent der Stimmen. Das Ergebnis bedeutete 3 von 19 schwedischen Mandaten im Europaparlament.
Bei den schwedischen Reichstagswahlen 2006 konnte die Partei aber nicht an den Erfolg der Europawahl 2004 anknüpfen und scheiterte deutlich an der dortigen Vier-Prozent-Hürde. 2009 konnte die Juniliste ihre Sitze im Europäischen Parlament nicht verteidigen. 2010 trat sie nicht zu den schwedischen Wahlen an, 2014 unter neuer Führung, aber erneut mit einem Ergebnis von unter einem Prozent der Stimmen. Danach löste sie sich auf.
Da war Sven Hagströmer bereits aus dem Vorstand ausgeschieden. Sein Vermächtnis könnte also auch sein, das richtige Timing zu finden, um anzutreten, aber auch um abzutreten. Wobei man manchmal auch dazu gezwungen wird. Zumindest ließ Hagströmer sein Hobby Fliegen nach einem Unfall 2014 hinter sich.
Aber zurück zur Frage nach dem Generationenwechsel. Diesen auf den Weg zu bringen als Vermächtnis? Auf die Frage, wie denn die Nachfolge in den Gremien aussehen soll, die er besetzt, und inwieweit seine fünf Kinder beteiligt sein sollen, wird der so oft redselige Hagströmer leiser. Es seien schon Pläne eingeleitet, mehr wolle er dazu erst einmal nicht sagen.
Vielleicht ist Vermächtnis auch, sich nicht zu tief in die Karten schauen zu lassen. Denn wer verrät schon vorher, wie die Wachstumsstrategie aussehen soll oder wann man sein Ausscheiden auf den Weg bringt? Und vielleicht gefällt sich Sven Hagströmer auch darin, mit Traditionen zu brechen. Denn was liegt näher am Ende eines Unternehmerlebens, als nach dem Vermächtnis zu suchen. Ist also das größte Vermächtnis des Unternehmers Hagströmer, sich dem Suchen zu verweigern? Das würde auch zu ihm passen, denn Unternehmer hätte er ja eigentlich überhaupt nicht werden sollen.