Ihr Mann sei ihr Ass im Ärmel, sagt Kerstin Hochmüller. Die „Der Gründer ist mein Mann“-Karte müsse sie aber nicht so oft spielen, versichert die CEO. Nur ab und an mal, obwohl sie gern darauf verzichten würde. Aber mit der Transformation eines Unternehmens – vor allem eines stark durch den Gründer geprägten – ist das so eine Sache. Kerstin Hochmüller hat sich auf den Weg gemacht, das Antriebs- und Steuerungstechnikunternehmen Marantec aus der Kultur eines gründerorientierten Unternehmens herauszuholen. So der Plan. Aber damit dreht sie nicht nur im Unternehmen an großen Stellschrauben, sie arbeitet auch gegen die Strukturen an, die einst ihr Mann bei Marantec geschaffen hat.
Marantec steht für Marienfelder Antriebstechnik und wurde 1989 von Michael Hörmann (heute 84) ins Leben gerufen. Er gründete aus dem Familienunternehmen und Torhersteller Hörmann heraus. Marantec entstand aus der Antriebsproduktion des Unternehmens, zu dessen Gesellschafterfamilie Michael Hörmann in dritter Generation gehörte. Der Umsatz von Marantec liegt heute bei knapp 100 Millionen Euro, 550 Mitarbeitende sind weltweit beschäftigt. Michael Hörmann ist nicht mehr im operativen Geschäft, bei strategischen Themen und auch bei der Entwicklung und Produktion ist er aber an Bord. Seine Frau Kerstin Hochmüller (56) und der familienfremde Manager Andreas Schiemann (47) haben heute die Geschäftsführung inne. Schiemann hatte das Unternehmen 2012 verlassen, kam aber 2013 zurück und ist seit Mai 2020 Geschäftsführer.
Emotionslose Technik
Seine Co-CEO Kerstin Hochmüller nahm einen anderen Weg. Knapp zehn Jahre nach der Gründung kam sie damals weder als Frau des Gründers noch als Mitarbeiterin, schon gar nicht als geplante Nachfolgerin, sondern als externe Dienstleisterin zu Marantec. Angefangen hatte sie ihre Karriere bei dem Süßwarenhersteller Storck und machte sich danach im Bereich Marketing-Consulting selbständig. Marantec war ihr Kunde, und in dieser Rolle lernte sie ihren zukünftigen Mann und Arbeitgeber kennen.

„Ich habe Marantec damals als sehr sachlich, nüchtern und technisch wahrgenommen. Ein klassisches gründergeprägtes Technikunternehmen. Wo war die emotionale Seite, habe ich mich gefragt“, blickt die heutige Geschäftsführerin auf ihre ersten Berührungspunkte zurück. Was damals noch sehr gut funktioniert habe, sei vor allem mit dem operativen Rückzug ihres Mannes zu einem Problem geworden: Es gab einen „ungewollten hierarchischen Touch im Unternehmen“, sagt Hochmüller. Die Entscheidungsstrukturen seien sehr auf ein paar „Leuchttürme im Unternehmen“ und die Strategie fast ausschließlich auf das Produkt selbst zugeschnitten gewesen. Der Umstieg von ihrem Ehemann als Geschäftsführer auf einen familienfremden Manager brachte indes keinen frischen Wind ins Unternehmen. So entschied sich Kerstin Hochmüller, selbst ins Unternehmen ihres Ehemanns einzusteigen.
Marantec will Innovationen fernab vom Produkt
Als sie im Jahr 2013 die Seiten wechselte und von der Marketing-Beraterin zur Geschäftsführerin wurde, hatte sie ihre Ziele für die Organisation klar vor Augen: weniger Hierarchie, in der Kultur untereinander hin zum Du, Netzwerkgedanken ins Unternehmen bringen. Es sollte mehr Austausch geben, Wissen geteilt und Transparenz hergestellt werden, zum Beispiel über das Offenlegen der Budgetplanungen für alle Mitarbeiter. Zudem wollte sie weg vom Produktdenken hin zu Innovationen außerhalb der vorgegebenen Strukturen. „Es war nicht so, dass aus der Belegschaft keine Innovationen kamen“, erinnert sich Hochmüller. „Nur kamen die immer über die bestehenden Produkte. Wenn wir Einsparungsforderungen von Kunden hatten, dann haben wir das immer am Produkt angesetzt.“
Produkte – vor allem im Bereich Antriebstechnik – seien heute so vergleichbar geworden, dass sich ihr Unternehmen die Frage stellen müsse, ob es überhaupt Sinn mache, sich so starr auf das Produkt zu fokussieren, sagt Hochmüller und führt aus: „Jeder weiß, was in unseren Motoren drin ist. Daraus ein Geheimnis zu machen wird nicht das Geschäftsmodell für die Zukunft sein. Unser Erfolg muss anderswoher kommen.“
Und so begab und begibt sich Hochmüller gemeinsam mit Co-Geschäftsführer Andreas Schiemann auf die Suche nach den Potentialen, die in ihrer Organisation liegen, und nach den Kompetenzen, die es braucht, um heute und auch morgen erfolgreich zu sein. Schiemann sei ein wichtiger Teil und Treiber des neuen Wirtschaftens bei Marantec, betont Hochmüller.
Ein praktisches Beispiel: Im Außentorbereich ist Marantec zwar gut aufgestellt, aber nicht in der Lage, den Marktführer global anzugreifen. In der alten Denke wäre der Ansatz, so Hochmüller, die Produkte des Konkurrenten im kleinsten Detail anzuschauen, zu kopieren und anschließend selbst mit einer neu entwickelten Marke mit gleicher Funktionsweise anzugreifen.
Unter der Federführung von Schiemann gingen er und die Unternehmerin einen anderen Weg. Statt selbst zu entwickeln, suchten die beiden Kontakt zu einem weiteren Konkurrenten und schlugen diesem eine Kooperation vor. Am Ende sprang im Gegensatz zur Eigenentwicklung zwar kein so hoher Gewinn heraus, aber alles erfolgte deutlich schneller. Auf ähnliche Weise ist Marantec im Bereich Tiefgaragen mit einem Start-up zusammengekommen, mit dem gemeinsam eine Lösung für die einfachere Handhabung der Schließsysteme entwickelt wurde.
Kerstin Hochmüller: Beim Gehalt waren wir noch nicht so weit
Die Mitarbeiter – vor allem die langjährigen – von den neuen Ansätzen zu überzeugen sei nicht leicht gewesen, sagt Kerstin Hochmüller. Zumindest aber sei von der anderen Seite des Küchentisches zu Hause kein negatives Feedback gekommen. Die anderen Marantec-Gesellschafter aus der Familie würden ihren Weg ebenfalls akzeptieren. Hochmüller selbst gehört mittlerweile ebenfalls zum Gesellschafterkreis, aus rechtlichen Gründen. „Aus finanziellen oder unternehmerischen Gesichtspunkten hätte ich keine Anteile gebraucht“, gibt sie zu.
Trotz allem musste Hochmüller dann doch ab und an auf ihren Mann verweisen, der hinter der neuen Gangart steht. „Ingenieure und Techniker finden bei Kooperationspartnern immer Dinge, die nicht zu unserem Standard passen“, beklagt die CEO. Vom ewigen „Haar-in-der-Suppe-Suchen“ müsse man sich aber lösen, weil eine Kooperation sonst nie zustande käme.
Was ihr auch oft entgegnet wird: Ob die Änderungen damit etwas zu tun hätten, dass vorher Misswirtschaft betrieben worden sei. Die Antwort sei einfach, aber müsse oft wiederholt werden, sagt die Unternehmerin: „Wir müssen nicht etwas ändern, weil es vorher falsch war, sondern wir ändern etwas, damit wir auf dem richtigen Weg bleiben.“
Veränderung geht einher mit viel Kommunikation, Veränderung ist immer ein Austarieren. Was gehe und was nicht, merke man recht schnell, weiß Hochmüller. Sie setzt nur Dinge um, für die die Organisation bereit ist. Aber Überforderung lasse sie als Ausschlusskriterium nicht zu, sagt sie. Da müsse man durch.
Dennoch gab es Ansätze und Ideen, bei denen sie die Notbremse ziehen musste. Beispielsweise beim Thema Gehaltstransparenz beziehungsweise bei der Diskussion darüber, auf welcher Grundlage Gehaltserhöhungen umgesetzt werden. „Ich dachte, dass alle Hurra rufen, als ich vorschlug, man könnte statt klassischer prozentualer Anpassung per annum die Gehaltssteigerung an die Zielerreichung von Projekten koppeln“, erinnert sich die CEO. Der Vorteil, dass so jede Person im Unternehmen gleich viel bekomme, egal, wie lange sie dabei sei, egal, wie viele Stunden sie pro Tag arbeite, und unabhängig davon, ob sie direkt zum Erfolg der Projekte beigetragen habe, sei in der Organisation überhaupt nicht als gut angesehen worden. Das habe sie so nicht erwartet, gibt Hochmüller zu. Sie habe sich eingestehen müssen, dass die Organisation bei diesem Thema noch nicht so weit gewesen sei.
Die eigene Gründerrolle finden
Im ganzen Prozess beschreibt sich Hochmüller dabei selbst als eine Art Gründerin in einem bereits etablierten Unternehmen. Das Thema der Rollenbilder in Unternehmen fasziniert sie nicht erst seit ihrem Einstieg bei Marantec. Ihre Masterarbeit im Rahmen eines MBA hat sie 2012 den Herausforderungen eines Gründers und dessen Rolle im Unternehmen gewidmet. Eine Gründerpersönlichkeit zeichne sich dadurch aus, sagt Hochmüller, dass er oder sie mehrere Hüte aufhabe und den jeweiligen Hut gar nicht wahrnehme beziehungsweise nicht hinterfrage. Umso schwerer sei es, einem Gründer nachzufolgen, da die meisten gar nicht definiert hätten, welche Herangehensweise die jeweilige Rolle auszeichne.
„Jeder Nachfolger oder jede Nachfolgerin hat kaum eine Chance auf Erfolg, wenn er oder sie zu Verwaltern wird“, schließt Hochmüller. Man müsse sich seine eigene Gründerrolle schaffen. Demnach versucht Hochmüller auch gar nicht erst, ihrem Mann nachzufolgen, sondern das Unternehmen selbst zu prägen, auch mit neuen Wegen.
Hat sie es hier einfacher als ein Fremdmanager? Ja, meint sie, denn ihr falle eine Sonderposition zu. „Als angeheiratetes Mitglied der Unternehmerfamilie bin ich näher dran als ein Manager, aber immer noch weit genug weg, dass ich viel gestalten und neue Wege gehen kann, ohne zu sehr in die familiäre Treuhändlerrolle zu rutschen.“ Aber ihr Co-CEO Andreas Schiemann habe es nicht schwerer als sie. Jeder spüre, dass ihm das Unternehmen so sehr am Herzen liege, als wäre er Teil der Eigentümerfamilie, sagt Hochmüller.
Vom Hidden zum Open Champion
Mit ihrem Denken will Hochmüller nicht nur im eigenen Unternehmen neue Wege gehen, von den Erfahrungen sollen auch andere Mittelständler profitieren. Unter dem Dach der Initiative „Open Champion“ will Hochmüller nicht nur berichten, was sie erlebt und gelernt hat, sondern auch für mehr Kooperationen untereinander werben. Das ist vielleicht gar nicht scharf genug formuliert, denn auf der Webseite der Initiative findet sich der Claim „Zeit für ein neues Wirtschaftsmodell“. Co-Creation auf radikale Art und Weise will die Initiative vorantreiben. Also weg vom Hidden hin zum Open Champion. Mit dabei sind als Teammitglieder und Treiber der Unternehmer und Gründer Jannis Johannmeier, Marantec-Geschäftsführer Andreas Schiemann und Marantec-Gründer Michael Hörmann selbst.
Und die Plattform wirkt, sagt Hochmüller. „Allein dadurch, dass wir damit gestartet sind, offen und nach außen auf Kooperationen und Co-Creation zu setzen, sind langjährige Kunden und Partnerunternehmen auf uns zugekommen, die so strukturiert sind, wie wir es waren. Wir sind in einen Dialog gekommen.“ Dabei bestünden die Kontakte schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Da hätte man auch früher zueinanderkommen können. Aber es brauche eben eine Initialzündung – und die will Kerstin Hochmüller mit Open Champion sein. Dafür geht sie sogar in Vorleistung. „Wir haben das berühmte ‚Tal des Todes‘ schon hinter uns. Unsere Learnings dürft ihr für umsonst haben, wenn wir danach gemeinsam kreieren“, sagt sie. So schaffe man Dinge, die nicht kopierbar seien. Und die Geheimniskrämerei des Mittelstands gehört der Vergangenheit an.
Hat Internationalen Journalismus in Magdeburg studiert. Schrieb schon davor für die Südwest Presse in seiner Heimat Ulm. Sammelte zudem Auslandserfahrung bei der Allgemeinen Zeitung in Windhoek, Namibia, sowie bei Kwanza TV in Daressalam, Tansania. Seit 2017 Redakteur bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA und Mitglied im Redaktionsteam des wir-Magazins.

