Prof. Dr. Thomas Druyen über Reichtum und Vermögen

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Prof. Dr. Thomas Druyen, können Sie uns erklären, was Sie eigentlich erforschen?

Was wir betreiben, ist keine Reichenforschung, sondern Vermögensforschung. Jahrtausendelang hatte der Begriff „Vermögen“ die Bedeutung von „Können“. Der Gründervater dieses Begriffs ist Aristoteles: Bei ihm bedeutet „Vermögen“ so viel wie „Bewegen“ oder „Verändern“. Er verstand darunter die Fähigkeit eines Menschen, sich und andere zu verändern. Nur wer sein Vermögen gebraucht, kann es wirklich besitzen. Dieser Satz hat mich als junger Mann sehr fasziniert.

Was ist der Unterschied zwischen Reichtum und Vermögen?

Reichtum ist erstmal einfach nur ein Aggregatzustand. Deswegen interessiert mich materieller Reichtum an sich auch gar nicht, sondern das, was Menschen mit ihrem Reichtum machen. Diese Verwendung und Umsetzung von finanziellen und unternehmerischen Möglichkeiten auf der einen Seite und von sinnstiftender und verantwortungsvoller Zukunftsgestaltung auf der anderen Seite sind die Grundlagen des in unserer Forschung verwendeten Vermögensbegriffs. Diese persönliche, charakterliche und gemeinschaftsfördernde Haltung nennen wir Vermögenskultur. Vor diesem Hintergrund gibt es in der Realität gravierende Unterschiede zwischen Reichen und Vermögenden. Erstere kümmern sich in erster Linie nur um sich selbst, während die Vermögenden immer auch ihr Umfeld und ihre Umwelt berücksichtigen. Daher wage ich zu behaupten: Der Reiche ist der Feind des Vermögenden.

Verdienen es manche Menschen also nicht, reich zu sein?

Im moralischen Sinne ist dies zuweilen der Fall. Um das aber im Einzelfall wirklich beurteilen zu können, müssen viele vermögenswissenschaftliche Faktoren analysiert werden. Dazu gehören unter anderem Herkunft, Kultur, Religion, Charakter und Taten. Aber im Prinzip verdient jeder Mensch das, was er oder sie vermag.

In Ihrem Buch „Goldkinder“ schrieben Sie unter anderem: „Der Neidende zielt (…) nicht auf (…) Eigenschaften und Errungenschaften. Sein Antrieb ist das uneingestandene Unvermögen, das vermeintlich höhere Glück des anderen erreichen zu können. Man beneidet nicht die Werte und Güter des anderen, sondern lediglich die Tatsache, dass sie einem anderen gehören. Die Quelle des Neids liegt also in einem Gefühl der eigenen Unterlegenheit.“ Wie vergiftet Neid die gesellschaftliche Debatte über Reichtum?

Neid, der nicht als Ansporn, sondern als negative Kraft verwandt wird, hat toxische Bedeutung, kein Zweifel. Aber der Neid versprüht sein Gift in benachbarten Milieus und Lebensklassen – etwas platt gesagt: zwischen Millionär und Multimillionär oder zwischen den Eigentümern von Opel oder Audi. Kaum ein vermeintlich sozial benachteiligter Mensch träumt von Milliarden, sondern eher von einem eigenen Zimmer und warmen Mahlzeiten. In Zeiten wachsender Ungleichheit und Ungerechtigkeit mehren sich die Ressentiments dem Reichtum gegenüber. An den Rändern der Gesellschaft kann dies auch in Hass umschlagen. Da geht es um begründete oder unbegründete emotionale Verletzungen, die mit Gefühlen von Herabsetzung und Chancenlosigkeit zu tun haben. Den reichen Egozentriker interessiert das nicht, die Vermögenden dagegen haben sehr wohl die ganze Gesellschaft im Blick.

Sind reiche Menschen ängstlicher?

Eine Angst, die nur reiche Menschen haben können, ist die monetäre Verlustangst. Warum ist es so, dass diejenigen, die materiell sozusagen relativ unverletzlich sind, trotzdem Ängste haben, wenn Krisen kommen? Ganz einfach: Wer viel hat, möchte nicht darauf verzichten. Da berühren wir ein anderes Fach von mir, nämlich die Zukunftspsychologie. Jemand, der viel zu verlieren hat, hat mehr Angst vor der Zukunft. Das führt auch auf gesellschaftlicher Ebene zu einem Überschuss an Konservativismus, weil reiche Menschen ihr Eigentum beschützen wollen und ihren politischen Einfluss deswegen eher rückwärtsgewandt einsetzen: Das Bewahren ist ihnen wichtiger als das Erschaffen. Dazu kommt, dass sie sich oft emotional verschätzen, was den eigenen Besitz angeht: Reiche schätzen sich oftmals weniger reich ein, als sie eigentlich sind. Die legitime Mentalität des Bewahrens führt aber zu Bedenkenträgerei. In Zeiten exponentieller Veränderung ist diese Haltung auch unternehmerisch nicht mehr zielführend. Nichts brauchen wir in diesem Sinne mehr als Mut und Kreativität. Diese Tugenden werden von vielen neuen Superreichen aus der Technologiebranche auch intensiv eingesetzt. Da ist Angst eher ein Auslaufmodell.

Wann ist jemand schon reich, und wann ist er noch „Mittelschicht“?

Dies ist ein komplexes Thema, da es keine offiziellen Größenordnungen gibt. Insofern kann ich mich in der Kürze nur zur Reichtumskategorisierung in der Vermögensforschung äußern: Beim monetären Reichtum verwenden wir die Schwellen 30 Millionen und 100 Millionen US-Dollar, ab 300 Millionen US-Dollar sprechen wir von superreich, und ab einer Milliarde beginnt die Sphäre der Milliardäre. Diese gesamte Klientel ist umfassend und global mit verlässlichen und datengesicherten Grundlagen überhaupt noch nicht annährend zu erfassen. Um zumindest dem Wesen der Vermögenden näher zu kommen, haben wir ja unsere Vermögenswissenschaft im Jahre 2004 begründet und aufgebaut. Seit circa 20 Jahren gibt es eine neue Klasse von Superreichen, die unmittelbar mit der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz verbunden sind. Diese Erfinder von Plattformkonzernen wie Google, Facebook oder Amazon und viele ihrer Mitstreiter dominieren immer mehr die globalen Reichtumsrankings. Ihre Denk- und Handlungsweisen, ihr Mindset, unterscheiden sich gravierend von ihren Vorgängern. Sie wollen die Welt massiv verändern und tun dies blitzschnell.

Inwiefern unterscheidet sich das Mindset?

Alles beginnt im Kopf, auch der Reichtum oder das Vermögen. Unser Mindset ist unsere Geisteshaltung, die Art und Weise unseres Denkens, Fühlens und Handelns. Es ist unsere neuronale und psychologische Architektur. Mindsets unterscheiden sich je nach Persönlichkeit und Charakter. Die einen setzen mehr auf Sicherheit und Planbarkeit, die anderen eher auf Risiko und Innovation. Nehmen wir Elon Musk als Beispiel: Er ging und geht Risiken ein, die mit dem Wunsch nach Rendite und Erfolgsgarantien nichts zu tun haben. Er ist ein Pionier, der seine gigantischen Ideen ohne Rücksicht auf Verluste ständig weitertreibt. Dieses Mindset finden wir immer häufiger: das Undenkbare denken und das Unvorstellbare machen. Nur mit diesem Mindset konnten beispielsweise die Künstliche Intelligenz geschaffen werden und die epochale Idee, dass sich die KI selbst weiterentwickelt.

Wenn Sie an Nachfolge in Familienunternehmen denken: Welche Rolle spielt die Digitalisierung für die NextGen?

Die Digitalisierung ist nur noch eine Metapher für einen historisch einmaligen Übergang in datenbasierte und virtuelle Welten, in denen die Künstliche Intelligenz und bald auch die Quantentechnologie neue Lebens- und Weltordnungen schaffen werden. Die jüngeren Generationen, die sogenannten Digital Natives, die in und mit dieser exponentiellen Entwicklung aufgewachsen sind, ticken total anders. Sie haben schon als Kleinkinder spielerisch gelernt, mit Smartphone, Software und Apps angstfrei und virtuos umzugehen. Diese Erfahrungen haben auch ihre Gehirne beeinflusst und synaptisch neue Verbindungen geschaffen. Dies führte und führt zu neuen und sehr flexiblen Denkweisen, ja zu neuen agilen Mindsets, die sich von jenen der Eltern und Großeltern weitreichend unterscheiden.

Sie haben jetzt die Digitalisierung als entscheidenden Unterschied zur älteren Generation genannt. Was ist mit der vielzitierten Nachhaltigkeit? Kommt die bei Ihnen gar nicht vor?

Nachhaltigkeit und ökologisches Bewusstsein spielen eine ganz große Rolle. Sie sind auch intuitiv absolut angekommen und ein fester Bestandteil der Mindsets der NextGen. Aber eins habe ich zumindest im Umfeld von Reichtum festgestellt: Wenn es dann am Ende ums Eingemachte geht, wenn man in unternehmerische oder politische Verantwortung kommt, wird das Thema Nachhaltigkeit nochmal neu bewertet. Das fast schon planetare Bewusstsein der jüngeren Generation und ihre Empathie für Natur und Umwelt verschwinden nicht, aber andere Dinge rücken in den Vordergrund. Vergleichbar ist das vielleicht mit der Partei der Grünen im Moment; ihre Regierungs- und Koalitionsverantwortung zwingt sie durch Sach- und Realzwänge in die Knie. Da sind wir wieder bei den verschiedenen Mindsets der Reichen und Vermögenden. Dies gilt auch für die Nachhaltigkeit. Die einen kennen nur die Selbstsicht, die anderen leben die Rücksicht, die automatisch zur Vorsorge wird.

Ist das ökologische Bewusstsein der NextGen auch Teil einer größeren Sinnsuche?

Bis etwa 2007 hat das Thema Sinn für Unternehmenserben noch keine große Rolle gespielt. Dann kam die Finanz- und Wirtschaftskrise und änderte alles. Das geht bis hin zu Extrembeispielen wie Marlene Engelhorn, die aktiv eine höhere Besteuerung für sich und andere Unternehmenserben fordert. Rein quantitativ würde ich den Anteil solcher Erben aber auf maximal 10 Prozent schätzen. Die allermeisten finden ihre Sinnhaftigkeit in der Verantwortung, besonders wenn sie operativ ins Geschäft einsteigen. Dennoch ist die Sinnfrage heute ganz oben auf der Agenda. Das liegt an der neuen Komplexität, an der exponentiellen technischen Evolution. Unser alter und bewährter Wertekodex funktioniert jetzt nicht mehr. Diese historische Anpassungsleistung ist die größte Herausforderung und die zukunftsweisende Jugend unsere ultimative Hoffnung.

Hat an der Uni Bamberg Germanistik, Philosophie und Kommunikationswissenschaften studiert. Zuvor arbeitete sie als Redakteurin am Zukunftsinstitut von Matthias Horx. Bei dem Magazin brand eins in Hamburg entdeckte sie ihre Liebe zum Wirtschaftsjournalismus, der sie seit März 2023 beim wir-Magazin frönen darf.