Prof. Dr. Tom Rüsen, geschäftsführender Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen (WIFU) und Vorstand der gemeinnützigen WIFU-Stiftung, über die Rolle von Gesellschafterkompetenz und das komplexe Verhältnis von Nachfolgern und hohem ererbtem Vermögen.

Prof. Dr. Tom Rüsen, die „wir“-Redaktion hat gemeinsam mit der WIFU-Stiftung und Pictet Wealth Management Deutschland das 3. „wir“-Barometer konzipiert und erstellt. Bei der Frage nach der größten Bedrohung für das Familienvermögen wird die Gesellschafterfamilie nicht so häufig genannt wie die Inflation, Handelskriege oder der zunehmende Populismus. Dennoch sehen 20 Prozent der Befragten eine Gefahr im Konflikt im Kreis der Familiengesellschafter, 14 Prozent in der mangelnden Kompetenz im Gesellschafterkreis und 12 Prozent im mangelnden Interesse innerhalb dieses Kreises. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Ergebnis?

Das hängt etwas davon ab, was die Antwortenden zu dieser Rückmeldung geführt hat: Entweder existiert eine gut elaborierte Family Governance in Kombination mit einem systematischen „Management“ der Unternehmerfamilie, das Kompetenzentwicklung fördert, Konflikte moderiert und Interesse weckt – dann ist das Ergebnis hervorragend. Oder die Antwortenden sehen das Problem nicht bzw. haben die Beziehung zur „Basis“ in der Familie verloren und antworten aus Hoffnung, Wunschdenken und Ignoranz – dann ist das Ergebnis eher bedrohlich.

Info

Im 3. wir-Barometer geben 260 Unternehmerfamilien Auskunft über ihre langfristigen Anlageziele, die Performance ihrer Assetklassen sowie Bedrohungen für den Erhalt des Familienvermögens. Die Ergebnisse wurden ausführlich in einem Whitepaper aufbereitet.
>>> Link zum Whitepaper | So sichern Unternehmerfamilien ihr Vermögen <<<

Eine aktuelle WIFU-Studie zum Thema Gesellschafterkompetenz deutet darauf hin, dass es eine Entwicklung hin zu einer stärkeren Systematisierung von Kompetenzentwicklung gibt. Was sind die zentralen Ergebnisse?

Zunächst einmal bestätigen 69 Prozent der befragten Mitglieder aus Unternehmerfamilien, dass sie Gesellschafterkompetenz unterstützen und fördern. 68 Prozent sagen außerdem, dass dank der systematischen Aus- und Weiterbildung von Gesellschaftern Konflikte in der Unternehmerfamilie verringert werden. Wenn man sich die Programme zur Kompetenzentwicklung anschaut, werden zwar weiterhin schwerpunktmäßig betriebswirtschaftliche Kenntnisse vermittelt. Aber immerhin haben 49 Prozent der Befragten auch Programmpunkte zum Konfliktmanagement integriert. Luft nach oben gibt es allerdings, wenn man sieht, wie viel Zeit jeder Einzelne bereit ist, in die Gesellschafterkompetenz zu investieren: Nur 16 Prozent würden sich mehr als eine Woche im Jahr Zeit nehmen; jeweils ein Drittel verbringen drei bis fünf Tage oder einen bis drei Tage mit ihren Mitgesellschaftern, um sich fort- und weiterzubilden.

Ein Drittel der Befragten des „wir“-Barometers kann sich vorstellen, das Unternehmen als Nachfolgelösung in eine Doppelstiftung oder eine Familienstiftung zu überführen. Wie ordnen Sie das Ergebnis ein?

Das Ergebnis überrascht mich, ein Drittel ist denkbar viel. Es spiegelt aber einen Trend wider, der sich abzuzeichnen scheint. Heute denken mehr Familiengesellschafter darüber nach, die Firmenanteile nicht in der Familie zu behalten. Das liegt zum einen daran, dass die NextGen sich jenseits der operativen Verantwortung im Familienunternehmen einbringen möchte: sei es, um in Venture Capital oder direkt in Start-ups zu investieren, oder sei es, um selbst zu gründen oder im eigenen Family Office Verantwortung zu übernehmen. Wenn die junge Generation weit weg ist vom operativen Unternehmen, verändert das das Verantwortungsgefühl. Die Familienstiftung ist eine Lösung für diejenigen, die den Zugriff der Kinder auf das Unternehmen begrenzen wollen, sie sollen nur versorgt werden. Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Die Familiensicht auf Vermögensfragen verändert sich.

Inwiefern?

Es gibt kritische Diskussionen innerhalb der Gesellschafterfamilie, die auch von der gesellschaftlichen Debatte über Ungleichheit beeinflusst werden. Die Vorväter haben Unternehmen und Werte aufgebaut, die Nachkommen erben mit 20 oder 30 Jahren zum Teil sehr hohe Vermögenswerte und haben – vereinfacht gesagt – plötzlich 30 Millionen Euro auf dem Konto. Das bringt einige in eine paradoxe Situation von Scham und Schuld. Manchmal findet darüber innerhalb der Familie keine gute Kommunikation statt, Störgefühle entstehen – oder calvinistisch gedacht und formuliert: Das ist nicht richtig, dieser Erbe oder diese Erbin hat nichts dafür getan. Mein Kollege Heiko Kleve forscht aktuell über das Geben und Nehmen von frei verfügbarem Vermögen. Es gibt dieses Tabuthema in Familienunternehmen: das unerklärte Verteilen von frei verfügbarem Vermögen, verbunden mit der Tatsache, dass vor allem junge Empfänger von hohem Vermögen Gefahr laufen, eine toxische Beziehung zu Geld und zu Vermögen aufzubauen. Man ist vermögend, hat es sich aber nicht selber verdient.

Wie kann dieses Tabu des unverdienten Vermögens aufgebrochen werden?

Dieses Sekundärvermögen sollten und wollen wir versuchen, in die Sprachfähigkeit innerhalb der Unternehmerfamilie zu bringen. Man braucht eine Form der Auseinandersetzung über dieses Thema. Hier braucht es die Diskussion über die Erwartung an den Umgang mit diesem Vermögen sowie innerhalb der Familie gezielte Überlegungen, etwas Sinnstiftendes mit diesem frei verfügbaren Vermögen zu tun, und zwar ganz systematisch und professionell. Ein Beispiel ist die Initiative Neues Geben, an der Oda Heister mitwirkt. Die junge vermögende Generation sucht eine neue Art der Bestimmung.

Dann vielleicht doch lieber eine Familienstiftung gründen, damit diese Art der toxischen Beziehung zwischen NextGen und Vermögen gar nicht erst entstehen kann? Immerhin können sich 19 Prozent der Befragten vorstellen, das Unternehmen in eine Familienstiftung zu geben.

Es gibt viele Vorteile: Mit einer Familienstiftung macht man sich als Familiengesellschafter quasi unsterblich. Keiner kann das Unternehmen dann verkaufen und Kasse machen. Das Risiko, dass alles an einer Person hängt, wird minimiert. Nachkommen können das Unternehmen nicht melken, um kostspielige Hobbys zu finanzieren. Man entkommt der Wegzugbesteuerung und dem Konflikt um einen Ausstieg von Gesellschaftern. Die Familienstiftung ist also ein kluges Modell, aber sie ist auch ein Schritt der Entfernung. Die Abgabe darf nicht als Enteignung empfunden werden, sonst droht der vollständige Verlust des Interesses. Das muss einem
klar sein.

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