Auf den ersten Blick scheinen Familienunternehmen und die Börse nicht zusammenzupassen: Unabhängigkeit, Entscheidungskontrolle und Generationendenken auf der einen Seite. Transparenz, Reportingpflichten und Quartalsdenken auf der anderen Seite.
Dass dies nicht miteinander vereinbar oder gar gegensätzlich sei, sieht Claus Bolza-Schünemann (63) nicht. „Die Börse diszipliniert. Und sie erzeugt Druck, rechtzeitig auf Veränderungen zu reagieren“, sagt der CEO der Koenig & Bauer AG aus Würzburg, einem weltweit führenden Anbieter im Verpackungs-und Sicherheitsdruck, der sich aus einer langanhaltenden, bedrohlichen Krise freigeschaufelt hat. Nach dem Jahr 2013 mit hohen Verlusten schreiben die Würzburger seit 2014 wieder schwarze Zahlen und sind seit 2015 wieder im SDAX vertreten. Der Umsatz liegt bei über 1,2 Milliarden Euro, für 2018 wird eine EBIT-Marge von rund 7 Prozent angestrebt.
Koenig & Bauer ist seit 1985 börsennotiert. Das Unternehmen brauchte zu jener Zeit Kapital, um einen großen Sprung in die damals boomende Printindustrie zu bewältigen und sich für die Großaufträge der weltweit größten Verlage zu rüsten – vom Springer-Konzern oder von der „Washington Post“. Es folgten große Übernahmen, Koenig & Bauer weitete die Produktion aus und trieb erfolgreich die Internationalisierung voran.

Foto: Daldrup & Söhne AG
Die Gründe für einen Gang zur Börse sind für Familienunternehmen vielfältig. Die einen brauchen Kapital, um die Nachfolge zu regeln und Gesellschafter auszubezahlen, die anderen, um anorganisches Wachstum zu finanzieren oder in technische Anlagen zu investieren. Und: „In Zeiten des digitalen Umbruchs brauchen Unternehmen vor allem Kapital, um ihr Geschäftsmodell zu erneuern oder weiterzuentwickeln“, sagt Renata Bandov, Head of Pre-IPO & Capital Markets bei der Deutschen Börse AG.
Daran arbeitet Daldrup & Söhne mit Hochdruck. Seit einigen Jahren baut das Unternehmen ein neues, kapitalintensives Geschäftsfeld auf: Es beteiligt sich an geothermischen Kraftwerken, entwickelt sich zu einem mittelständischen Energieversorger und deckt somit die gesamte Wertschöpfungskette ab: von der Machbarkeitsstudie über die Seismik und die Claim-Entwicklung bis hin zum Bau und Betrieb von Geothermie-Kraftwerken und zum Energiecontracting.
Auch Koenig & Bauer hat – notgedrungen – am Geschäftsmodell geschraubt, als der Markt für den Zeitungsdruck in sich zusammengefallen war. „In einer Geschwindigkeit, die wir unterschätzt haben“, gibt Bolza-Schünemann zu. Der Umsatz mit Zeitungsmaschinen hatte vor fünfzehn Jahren noch zwei Drittel zum Gesamtumsatz beigetragen. Heute sind es nur noch knapp 2 Prozent.
Harte Realität kommunizieren
Mehrere Berater unterstützten beim Umbau des Konzerns, Stellen wurden massiv abgebaut. Im Jahr 2014 kam Andreas Pleßke als Restrukturierungsexperte in den Vorstand und führte die begonnene Neuausrichtung fort: Die Produktion wurde komplett neu ausgerichtet, die Führung dezentralisiert und gleichzeitig in neue Geschäftsfelder investiert: Maschinen für den Druck auf Faltschachteln, Karton, Kunststoff und Glas sind mittlerweile eine tragende Säule des Konzerns.

Foto: Koenig & Bauer AG
Die von vielen Familienunternehmen gescholtene Transparenz ist für Daldrup & Söhne essentiell für die Weiterentwicklung des Geschäftsmodells. „Die Finanzierung unseres Geschäfts bleibt auch in Zukunft eine Herausforderung“, sagt Josef Daldrup. „Daher ist die Transparenz auch so wichtig, die uns der Kapitalmarkt abverlangt. Sie dient der Vertrauensbildung. Große Auftraggeber und Investoren, die sich an Projektgesellschaften beteiligen wollen, schätzen diese Transparenz.“
Familienunternehmen fürchten an der Börse aber auch die Mitsprache der Investoren. Der Kapitalmarkt kostet sie Kontrolle. Familie Daldrup knapp 60 Prozent. Für Josef Daldrup war es eine Umstellung, seinen Investoren und seinem Aufsichtsrat Rede und Antwort zu stehen. „Das ist mir anfangs schwergefallen, weil es viel Zeit kostet“, erinnert er sich. Familienunternehmer sind mit der Börsennotierung außerdem in der Öffentlichkeit viel präsenter. Nicht alles ist angenehm, wenn man im Rampenlicht steht. Josef Daldrup muss sich nicht nur dem Kapitalmarkt stellen, sondern auch zweifelnden und manchmal auch wütenden Bürgern: Gegen die Bohrungen gibt es immer mehr Bürgerbegehren. Für Josef Daldrup heißt das: „Aufklären, aufklären, aufklären.“ Sein Terminkalender füllt sich mit Reisen zu den jeweiligen Gemeinden, die gegen die Bohrungen aufrufen. „Es hilft, dass ich als Familienunternehmer Flagge zeige und persönlich zu den Treffen erscheine“, sagt er. Das sei zwar mühsam, lohne sich aber.
Gute Geschichtenerzähler
Davon ist auch Claus Bolza-Schünemann überzeugt. Einige Jahre lang hat das Unternehmen keine Dividende bezahlt. Stellenabbau, Kostensenkung, Restrukturierung, Neuausrichtung, besorgte Mitarbeiter und eine alarmierte Öffentlichkeit. „Das muss man aushalten können“, sagt er. Als Urururenkel des Firmengründers ist er das Gesicht des Unternehmens und derjenige, der sich vor die Belegschaft stellt und selbst den Personalabbau verkündet. „Reden kocht keinen Reis,“ zitiert er gern ein chinesisches Sprichwort.
Der Chef von Koenig & Bauer hat mittlerweile sogar seine Freude an den Quartalsberichten: „Die Börse erzeugt alle drei Monate den positiven Druck, immer wieder eine werthaltige Story zu liefern.“ Damit könne ein Familienunternehmen an der Börse weiterhin sehr viel gestalten, sagt Bandov von der Deutschen Börse. Wichtig sei vor allem die Equity-Story, also die Strategie, die das Familienunternehmen verfolgt. „Die muss nachvollziehbar sein. Der Investor muss verstehen, wie das Unternehmen wachsen möchte, wie viel Kapital dafür gebraucht wird und wie das Rendite-Risiko-Profil aussieht. Dann hat auch er den langen Atem, den sich Familienunternehmer wünschen.“ Koenig & Bauer lebt seit fast 45 Jahren an und mit der Börse. Die Familie hält mit etwa 20 Prozent schon lange keine Mehrheit mehr. Aber sie ist präsent.