Lage und Stimmung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie an den Finanz- und Kapitalmärkten bleiben aufgrund der Pandemie-Rezession angespannt. Gesellschafterfamilien konzentrieren sich momentan in erster Linie auf ihr Kernunternehmen, um es so gut es geht durch die Krise zu führen. Vermögensfragen oder gar Portfolioentscheidungen stehen daher derzeit nicht im Vordergrund. 70 Prozent der durch das wir-Magazin befragten Familienunternehmen sagen, dass sich das Portfolio in der Grundausrichtung auch in der aktuellen Situation bewährt habe. Zwei Drittel haben ihre Renditeziele aufgrund der Pandemie-Rezession in den vergangenen fünf Monaten nicht angepasst. Das ist ein Ergebnis der Kurzumfrage „Zwischen Anlagenotstand und Pandemie-Rezession: Wie kann das Familienvermögen geschützt werden?“, die das wir-Magazin in der zweiten Junihälfte 2020 durchgeführt hat und deren Ergebnisse bei der ersten Digitalkonferenz „wir-Forum Familienvermögen“ präsentiert und diskutiert wurden.
Teilgenommen haben 145 Gesellschafter aus Unternehmerfamilien, 81 von ihnen haben die Fragen vollständig beantwortet. Über die Hälfte der Umfrageteilnehmer sind Geschäftsführende Gesellschafter mit operativer Funktion, gut ein Fünftel Gesellschafter mit Gremienfunktion. Das Generationenalter der Gesellschafter ist wie folgt verteilt: Jeweils 11 Prozent sind Vertreter der ersten beziehungsweise der vierten Generation, 25 Prozent der zweiten, 28 Prozent der dritten und 18 Prozent der fünften Generation oder mehr.
Trotz der ruhigen Hand, mit der Unternehmerfamilien langfristig ihr Portfolio steuern, spitzt sich die Situation zu: Immer mehr von ihnen sorgen sich um den langfristigen Erhalt des Betriebs- und Privatvermögens. Die größte Gefahr sehen 63 Prozent in drohenden Handelskriegen und der Abschottung von Märkten. Es folgen die Steuergesetzgebung (60 Prozent), die fortwährende Niedrigzinsphase (53 Prozent), Populismus und die Spaltung der Gesellschaft (49 Prozent) sowie die Verschuldung infolge der Corona-Pandemie (32 Prozent). „Die Familien fürchten den Erfolgsdruck populistischer Regierungskonzepte, der zum einen zu Handelsnachteilen im operativen Geschäft der Unternehmen führt und zum anderen an der Steuerfront die Gesellschafter besorgt“, beobachtet Jörg Eigelshoven, Partner bei Warth & Klein Grant Thornton. Außerdem rechnen 56 Prozent der Befragten mit der Einführung einer Vermögensteuer angesichts der Staatsverschuldung infolge der Corona-Pandemie. Mehr als ein Viertel glaubt nicht, dass Deutschland eine Vermögensteuer bekommt, 16 Prozent sind noch unschlüssig. Den Bundestagswahlen im nächsten Jahr dürfte vor diesem Hintergrund mit Spannung und auch mit Sorge entgegengefiebert werden. Der aktuellen Regierung trauen die meisten Familienunternehmen nicht zu, dass sie an dieser Steuerschraube drehen wird.
Anlageverhalten: konservativ
Immer schwieriger wird es in diesem Umfeld für die meisten, ihre Anlageziele zu erreichen: Über die Hälfte der Befragten (54 Prozent) gibt den Werterhalt – unter Berücksichtigung der Inflationsrate – als langfristiges Anlageziel an, 12 Prozent den Kapitalerhalt. Mit Renditen als Zielgrößen arbeiten weniger als ein Drittel: 13 Prozent mit absoluter Rendite, 16 Prozent mit relativer Rendite im Vergleich zu einer Benchmark. Das zeigt: Die Ziele und das daraus resultierende Anlageverhalten können bei deutschen Unternehmerfamilien immer noch als konservativ bewertet werden. Ein Ansatz, der in Zukunft möglicherweise nicht mehr Bestand haben wird. Denn die Krise legt nun – wie in vielen Bereichen – Probleme, die schon vorher da waren, schonungslos offen und beschleunigt Prozesse, die bereits in der Vergangenheit ihren Lauf nahmen. Dazu zählt auch der seit Jahren schwelende Anlagenotstand. „Assets mit vermeintlich geringen Risiken sind bei vielen Unternehmerfamilien noch ein wesentlicher Bestandteil im Portfolio, vor allem bei jenen, die als Anlageziel den realen Kapitalerhalt verfolgen. Allerdings werden diese Anlagen mit null oder gar negativ verzinst“, sagt Achim Siller, Leiter Portfoliomanagement bei Pictet Wealth Management Deutschland.
Die Maßnahmen der Notenbanken weltweit sowie der EZB als Reaktion auf die Pandemie-Krise führen zu enorm hoher Staatsverschuldung. „Wir rechnen damit, dass diese Staatsverschuldung langfristig über eine Kontrolle des langfristigen Zinses finanziert werden wird, das heißt über einen Zinsdeckel, der unter der Inflationsrate liegen wird“, sagt Siller. „Das wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen, und es wird uns alle zwingen, neu zu denken und diese neuen Zusammenhänge zu verstehen.“
Die Folge – das ahnen und wissen ohnehin die meisten Unternehmerfamilien – ist, dass bestehende Konzepte grundsätzlich zu überdenken sind. Einiges ist bereits auf den Weg gebracht: „Unabhängig von Covid-19 haben sich Unternehmerfamilien in den vergangenen Jahren schrittweise aus risikoarmen Anlageformen zurückgezogen und Assets wie Aktien, Immobilien oder Unternehmensbeteiligungen weiter aufgebaut“, weiß Eigelshoven. Diesen Trend bekräftigt auch die wir-Umfrage: Mehr als jeder fünfte Befragte plant, festverzinsliche Anlagen im Portfolio zu reduzieren.
Renditeziele: ehrgeizig
Obgleich jeder vierte Befragte in den vergangenen fünf Jahren die Renditeziele nach unten korrigiert hat, bleiben die Renditeziele ehrgeizig: Fast jeder Zweite der Befragten strebt für die kommenden fünf Jahre eine Rendite von 4 bis 5 Prozent an, mehr als jeder Vierte 6 bis 10 Prozent. 17 Prozent der Befragten wollen eine Rendite von 2 bis 3 Prozent erzielen, bei 2 Prozent der Befragten sind es 11 bis 15 Prozent.
Wie wollen die befragten Unternehmerfamilien vor dem Hintergrund dieser Zielrenditen, des Anlagenotstandes sowie der geopolitischen Gefahren und Unsicherheiten nun reagieren, um ihr Vermögen zu schützen oder gar zu mehren? Ein Fünftel gibt an, in Zukunft in neue Branchen und Märkte diversifizieren zu wollen, 12 Prozent in neue Asset-Klassen und 7 Prozent in neue Länder und Regionen. Zur Frage, in welchen Regionen die Unternehmer in Zukunft ihr Vermögen verstärkt anlegen und investieren möchten, nannten knapp 60 Prozent Deutschland und Europa. Mit 39 bzw. 37 Prozent war der Anteil derjenigen, die in den USA/Kanada und in Asien inkl. Japan investieren wollen, fast gleich hoch. 29 Prozent nannten Österreich und die Schweiz. Australien/Neuseeland, Südamerika und Afrika liegen weit abgeschlagen auf dem letzten Platz.
Der Fokus auf Deutschland und Europa mag hier verwundern, da deutsche Unternehmerfamilien nicht nur mit ihren Kernunternehmen global unterwegs sind, sondern auch die Familie selbst meist weit verzweigt im Ausland lebt. Möglicherweise ist dieses Ergebnis eine Momentaufnahme. Dennoch dürfen die Folgen nicht unterschätzt werden. „Unternehmerfamilien denken gerade darüber nach, wie sie sich persönlich aufstellen und ob sie ihre Kinder derzeit zum Beispiel für ein Studium ins Ausland entsenden. Die Probleme, die Familien mit Doppelansässigkeit zum Beispiel in Deutschland und Großbritannien derzeit erfahren, sind gewaltig“, sagt Eigelshoven. „Rund um die Familienstrategie wird die Veränderung durch die Pandemie derzeit als Bedrohung wahrgenommen. Ich denke, das wird auch Folgen für die Formen haben, wie und wo sie investieren.“
Ein weiterer Grund für die Konzentration auf Deutschland und Europa unter den Befragten könnte auch sein, dass es ein natürlicher Reflex in der Krise ist, Ressourcen wieder in die eigene geographische Nähe zu verlagern. „Wir sehen das immer wieder bei Schwellenländern, aus denen Investoren ihre Mittel abziehen, sobald es dort brodelt“, sagt Siller. „Für den langfristigen Vermögenserhalt lohnt es dennoch, das internationale strukturelle Wachstum zu identifizieren und zu schauen, wo sich die Zentren der Megatrends wie IT, KI oder Mobilität befinden. Die USA und China können dabei nicht außer Acht gelassen werden.“
Immobilien, Aktien, Direktbeteiligungen
Unabhängig von Regionen und Märkten planen die Befragten, auch an ihrer Asset-Allokation innerhalb ihrer Portfoliostrategie zu arbeiten. Die stärkste Nachfrage werden Aktien und Immobilien als Asset-Klasse erfahren: Fast jeder Zweite der Befragten will mehr Immobilien in sein Portfolio holen, 45 Prozent mehr Aktien. Außerdem wollen 38 Prozent ihre Position „Liquidität“ ausbauen und 34 Prozent mehr in unternehmerische Direktbeteiligungen investieren. 16 Prozent planen, die Asset-Klasse Private Equity auszubauen, jeweils 14 Prozent Gold und Venture Capital, jeweils 12 Prozent Sammlergegenstände, Rohstoffe sowie Forst- und Landwirtschaft. Hier erklären sich die verhältnismäßig geringen Zunahmen unter anderem auch dadurch, dass viele dieser Asset-Klassen ohnehin keine gewichtige Rolle im Gesamtportfolio spielen. Das gilt ebenso für die Asset-Klassen Hedgefonds und Kryptowährungen.
Dass Unternehmerfamilien verstärkt in Immobilien investieren wollen, überrascht angesichts des seit Jahren wachsenden und renditeträchtigen Marktes nicht. Dennoch wird auch diese Asset-Klasse nicht das Allheilmittel zum Vermögensschutz sein. „Wir sehen hier eine Wende. Entwickelten sich die Renditen in Gewerbe- und Wohnimmobilien in der Vergangenheit recht ähnlich, so driften diese beiden Bereiche im Zuge der Pandemie auseinander“, gibt Eigelshoven zu bedenken. „Vor allem Handelsimmobilien in den Innenstädten sind stark betroffen, die ohnehin schon in den vergangenen Jahren aufgrund des zunehmenden Online-Handels unter Druck geraten waren.“ Und Siller ergänzt: „Immobilien wurden selten so differenziert betrachtet wie im Moment. Sie bleiben als Asset-Klasse schwierig – auch weil sie der Gesetzgebung völlig ausgesetzt sind.“
Klar ist: Keine Asset-Klasse verspricht angesichts zunehmender Unsicherheiten auf den globalen Finanz- und Kapitalmärkten sichere Renditen. Wie schnell deutsche Unternehmerfamilien den Sprung zu mehr Risiko und Diversifizierung schaffen und ihr Portfolio wirklich grundlegend verändern, bleibt abzuwarten. Denn nicht immer sind Investments in fremde Märkte geglückt. „Diversifizieren wird nicht immer belohnt, diese Erfahrung haben Unternehmerfamilien zum Teil bereits in der Vergangenheit gemacht“, sagt Eigelshoven. „Vor einigen Jahren noch blickten viele von ihnen hoffnungsvoll nach Lateinamerika und investierten in Land- und Forstwirtschaft. Sie sind hier Risiken eingegangen, für die sie rückblickend nicht belohnt wurden.“
Kräfteverhältnis zwischen USA und China bewegt die Investmentlandschaft
Dennoch haben sich viele Familienunternehmen auf den Weg gemacht. „Die Unsicherheit wird weiter zunehmen, ebenso wie der Bedarf, Liquidität besser steuern zu können, um kurzfristig Liquidität abrufen zu können“, schätzt Eigelshoven. „Unternehmerfamilien werden mehr auf Robustheit und Qualität ihrer Anlagen achten und sie krisenresistenter gestalten. Die Entnahmemöglichkeiten der Familienmitglieder werden sicherlich stärker beobachtet werden.
Auch wie die Investmentlandschaft in fünf Jahren angesichts der Unsicherheiten aussehen wird, weiß niemand so genau. Nur so viel: „Wir kommen gerade aus einer Phase der maximalen Globalisierung und der maximalen Liberalisierung. Beides dreht sich gerade um“, sagt Siller. „Die Handelskonflikte zwischen den USA und China werden unabhängig vom Wahlausgang in den USA weiterschwelen. Auch die Liberalisierung kann sich auf Knopfdruck verändern, wie wir in der Androhung eines Delistings chinesischer Firmen in den USA sehen.“
Nur eines ist gewiss: Früher oder später werden alle Investoren neues Terrain betreten müssen. Auch Unternehmerfamilien.