In mehr als 280 Jahren Unternehmensgeschichte hat sich das Unternehmen der Flensburger Familie Dethleffsen vom Händler und Hersteller zu einer diversifizierten Beteiligungsgesellschaft entwickelt. Andreas Dethleffsen, Geschäftsführer der HGDF Familienholding, über das heutige Selbstverständnis und die Organisation der Unternehmerfamilie.

Herr Dethleffsen, die HGDF Familienholding ist heute ein Dach für verschiedenste Tochtergesellschaften und Geschäftsmodelle. Welche Verbindungslinien hat die HGDF noch zu den Wurzeln des Geschäfts?

Eine Linie, die sich durchzieht, ist die Diversifizierung. In mehr als 280 Jahren durchläuft eine Firma viele Krisen. Die ersten Erfolge hatte die Familie zum Beispiel mit dem Import von Zuckerrohr – der dann durch den heimischen Anbau der Zuckerrübe massiv an Bedeutung verlor. Situationen wie diese zu meistern gelang auch deswegen, weil man sich nie auf nur eine Sache konzentriert hat. Neben dem Westindienhandel hat es etwa auch immer Handel im Ostseeraum gegeben. Sogar zu der Zeit, als der Fokus stark auf dem Spirituosengeschäft lag, gab es keine Konzentration auf nur eine Marke. Es war immer klar: Es wird sich viel verändern, und wer lediglich eine Karte im Spiel hat, kann darauf nicht reagieren. So kam es zu den frühen Beteiligungen, unter anderem an Queisser Pharma.

1984 wurde die erste Holding gegründet. Wie hat das Ihr Selbstverständnis als Unternehmerfamilie verändert?

In einer Holdingstruktur schaut man aus zwei Perspektiven auf das Unternehmen: zum einen aus der des engagierten Inhabers, quasi wie ein Einzelunternehmer – das machen wir heute immer noch. Aber es geht zum anderen auch um strategische Fragen wie: Arbeiten wir noch mit den richtigen Leuten? Sind wir noch in den richtigen Bereichen investiert? Wo können wir uns langfristig weiterentwickeln? Auch das ist eine Verbindungslinie zu früher. Zumindest die zurückliegenden drei Generationen der Familie waren gut darin. Für das Tagesgeschäft gab es Prokuristen oder noch früher Kapitäne. Bei HGDF ist das heute ähnlich mit den externen Geschäftsführern an der Spitze unserer Tochtergesellschaften. Gemeinsam entwickeln wir das jeweilige Geschäft.

Wie hat sich der Gesellschafterkreis des Unternehmens über die Jahre entwickelt?

Bis 1936 wurde das Unternehmen von einer Person auf die nächste übertragen: Aufgrund von Kinderlosigkeit und Schicksalsschlägen gab es meist nur einen männlichen Nachfolger, Frauen wurden lange nicht als Erbinnen für das Unternehmen oder als Nachfolgerinnen berücksichtigt. Hinzu kam die Realteilung im Jahr 1871, als zwei Brüder das Unternehmen in ein Spirituosen- und einen Baustoffhandel teilten. Zu der Zeit hatten wir noch keinen Holding-Gedanken, stattdessen ging es um die Verengung des Gesellschafterkreises. Ab 1936 fächerte der Gesellschafterkreis auf. Das verschärfte sich in den sechziger und siebziger Jahren, damals wurden auch Töchter als Gesellschafterinnen einbezogen. Wie viele Gesellschafter die HGDF heute hat, ist für uns allerdings nicht primär relevant, wir denken nicht mehr in dieser Kategorie.

Verantwortlich für das Geschäft, nicht für die Familie: Andreas Dethleffsen.

Foto: HGDF

Können Sie das erklären?

Schon 1984 verzichteten unsere Vorgänger auf eine Stammesverfassung. In den Jahren 2006 bis 2009 haben wir einen ersten Family- Governance-Prozess durchlaufen. Bis zu dem Zeitpunkt gab es zwar regelmäßige Gesellschafterversammlungen, wir haben uns aber nicht als Unternehmerfamilie im weiteren Sinne getroffen oder gefühlt. Das wollten wir als Vertreter der achten Generation ändern und neben den damals sieben Gesellschaftern auch unsere Ehe- und Lebenspartner mit ins Boot holen – also bewusst nicht nur die Ehepartner. Damals haben wir auch erste Formate aufgesetzt, etwa regelmäßige Unternehmerfamilientage. Für uns war es wichtig, über die Gesellschafterebene hinaus zu denken. Diese Grundidee haben wir in einem neuerlichen strategischen Family-Governance-Prozess ab 2013 fortgesetzt: Damals haben wir in einem weiteren Schritt die potentiellen Gesellschafter aus der neunten Generation, also die volljährigen Kinder aus diesen Partnerschaften einbezogen und in einem dritten Schritt auch deren Partner: Sie alle sind zukünftige Stakeholder, also müssen wir auch mit ihnen darüber reden, wie wir die Zukunft gestalten wollen. Alle zusammen sind wir heute die HGDF-Unternehmerfamilie. Dazu gehört übrigens auch mein Co-CEO Gert Bendixen: Als externer Geschäftsführer ist er ein Familienmitglied auf Zeit.

Was bedeuten diese Veränderungen für die Organisation der Familie?

Wir haben die Unternehmerfamilie als Institution geschaffen und definiert: Wer gehört dazu? Was darf sie? Wie wählt sie? Das ist bei uns im Gesellschaftervertrag verankert. Die Unternehmerfamilie wählt einen Unternehmerfamilienausschuss. Dieser bestimmt sechs Mitglieder des Verwaltungsrats: drei aus der Familie sowie drei familienfremde Unternehmer. Hinzu kommen zwei Geschäftsführer der Holding, die wiederum von den sechs Mitgliedern gewählt werden.

Warum war es aus Ihrer Sicht notwendig, einen Unternehmerfamilienausschuss zu schaffen?

Der Ausschuss fungiert als Repräsentant und handlungsfähige Einheit, die von der Gesellschafterversammlung bestimmte Rechte übertragen bekommen hat. Wie bei der Unternehmerfamilie selbst ist auch hier die zentrale Idee, dass nicht nur Gesellschafter entscheiden sollen: Der Ausschuss besteht aus fünf Mitgliedern der Unternehmerfamilie, davon waren ursprünglich nicht alle Gesellschafter. Inzwischen haben Anteilsübertragungen stattgefunden, und auch unsere Partner sind zum Teil Gesellschafter geworden. Altersmäßig gehören zwei Mitglieder meiner, also der achten, Generation sowie drei der neunten Generation an. Uns ist wichtig, die Vertreter der neunten Generation an die Aufgaben, die mit der Weiterführung von HGDF verbunden sind, aktiv heranzuführen und sie zu integrieren. Wir machen mit dieser Art des Vertrauensvorschusses sehr gute Erfahrungen, auch wenn sie alle noch jung sind. Insbesondere haben wir mit dieser Gremienstruktur die Möglichkeit, das Potential unserer neunten Generation zu nutzen.

Sie selbst sind also nicht Mitglied im Unternehmerfamilienausschuss?

Ja. Ich bin Geschäftsführer, meine Arbeit hört im Verwaltungsrat auf. Früher wurden Geschäftsführung und Familienmanagement in Personalunion gemacht, wie das oft üblich ist in einer Familiengesellschaft, wo das Geschäft – und die Familie – eine gewisse Größe nicht überschreiten. Wir sind in den vergangenen zehn Jahren aber sehr stark gewachsen, wir haben unser Ergebnis verzehnfacht. Insofern ist es gerechtfertigt zu sagen: Die Geschäftsführung kann sich nicht mehr um alle Fragen der Unternehmerfamilie kümmern, die sollten wir in andere Hände legen. Ich werde manchmal als Ratgeber befragt oder zu Sitzungen eingeladen, zum Beispiel wenn es um Hintergründe zum Geschäft geht. Aber sonst habe ich mit dem Familienmanagement nichts mehr zu tun. Natürlich gab es da eine gewisse Übergangsfrist. Aber inzwischen hat die Familie ihr Verhalten geändert. Heute ist klar: Für diese Themen ruft ihr nicht mehr bei Andreas oder Hermann an, sondern bei den Mitgliedern des Unternehmerfamilienausschusses. Dass ich jetzt mit Ihnen über das Thema spreche, liegt daran, dass im Familienkompass steht, dass nur die Geschäftsführung nach außen spricht – eine Regelung, die eigentlich für den Krisenfall gedacht ist.

Wer hat den zweiten familienstrategischen Prozess angestoßen?

Der Impuls kam aus beiden Generationen, die zukünftige Generation hat dann aber in weiten Teilen die Umsetzung vorangetrieben. Wir haben sehr engagierte Mitglieder in der neunten Generation. Sie haben sich auf den Weg gemacht zu anderen, wesentlich größeren Unternehmen wie Freudenberg oder Merck, von denen uns viel Hilfestellung zuteilgeworden ist – das war sehr erfreulich. Darüber hinaus hat sich unsere neunte Generation über Wahlverfahren Gedanken gemacht und die wesentlichen Ideen für die neue Struktur entwickelt.

Die Family Governance bei HGDF.

Sie haben im vergangenen September einen „Familienkompass“ verabschiedet, der die Resultate des strategischen Prozesses schriftlich festhält. An wen richtet sich das Dokument?

Zunächst mal haben wir den Familienkompass als Unternehmerfamilie für uns selbst gemacht. Wir haben dazu erneut über unseren Wertekanon gesprochen und die Ziele der Unternehmerfamilie für sich selbst und für das Unternehmen erarbeitet. Woraus entsteht unser unternehmerischer Impuls? Warum sind wir Unternehmer? Wie sind wir Unternehmer? Konfliktmanagement, Krisenmanagement, Notfallkoffer – all diese Themen sind im Familienkompass enthalten. Im zweiten Schritt läuft nun ein Prozess mit dem Ziel, Kernpunkte des Kompasses auch mit anderen zu besprechen, etwa mit den Geschäftsführern der Tochtergesellschaften oder mit unseren Finanzierungspartnern. Wir kennen uns ja bereits viele Jahre gut, aber wir möchten unsere Geschäftspartner gern an unserem Entwicklungsprozess teilhabenlassen: Wie verhält sich die Familie? Wie entscheiden wir? Wie investieren wir? Da sind wir noch im Abstimmungsprozess darüber, welche Informationen für welche Zielgruppe sinnvoll sind. Wichtig ist allerdings: Wir haben schon während des laufenden Prozesses viele Dinge umgesetzt und nicht erst gewartet, bis der Familienkompass niedergeschrieben war. Der Unternehmerfamilienausschuss zum Beispiel ist jetzt seit zweieinhalb Jahren im Amt.

Haben Sie auch eine Regel zu der Frage festgelegt, wie häufig der Familienkompass in Zukunft überprüft oder aktualisiert werden muss?

Ja, alle zehn Jahre: Dann muss der Unternehmerfamilienausschuss den nächsten Prozess starten. Das ist auch gut, denn Änderungen gibt es immer. Wir sehen jetzt schon, dass wir kleine Anpassungen vornehmen müssen gegenüber dem Dokument, das wir im vergangenen September verabschiedet haben. Zusätzlich haben wir festgelegt, dass der Unternehmerfamilienausschuss einmal pro Amtsperiode Rechenschaft darüber ablegt, warum er keinen neuen Prozess anstoßen will.

Wo lagen aus Ihrer Sicht die Herausforderungen im familienstrategischen Prozess?

In einem Family-Governance-Prozess muss sich jeder bewegen, reflektieren, dazulernen, ob locker oder schmerzhaft. Das war für uns alle unterschiedlich und letztlich für jeden sehr herausfordernd. Aber wir haben auch alle viel gelernt, wir verstehen uns untereinander noch besser, können offener diskutieren und nehmen gleichzeitig mehr Rücksicht aufeinander. Das macht unsere Entscheidungen insgesamt stärker. Und wir haben extrem hilfreiche Methoden wie die sogenannte Konsent-Entscheidung und das Tetralemma kennengelernt. Vieles davon kann ich auch im Unternehmensalltag einsetzen.

Info


Die Geschichte der HGDF Familienholding beginnt im Jahr 1739. Damals gründet Kaufmann Christian Dethleffsen ein Handelshaus für den Westindienhandel, das sich später auch für den Handel und die Herstellung von Spirituosen und Holz öffnet. 1871 erfolgt die Realteilung in den Holz- und Baustoffhandel einerseits und in das Spirituosengeschäft Herm. G. Dethleffsen andererseits. Mit dem Erwerb der Markenrechte und der Rezeptur von „Bommerlunder“ wird ab 1907 das Spirituosengeschäft ausgeweitet, ab 1957 erfolgen erste Portfolio-Investitionen, 1976 zum Beispiel in den Gesundheitsbereich.

1984 entsteht eine erste Holdingstruktur. 1994 übernehmen die Cousins Hermann und Andreas Dethleffsen in achter Generation die Leitung der Firma: Mit dem Verkauf unter anderem der Marke „Bommerlunder“ vier Jahre später stoßen sie das Spirituosengeschäft ab und konzentrieren sich in der Folge auf die Tätigkeit als unternehmerischer, strategischer Eigentümer und Investor. Heute gehören zum Portfolio Unternehmen wie Queisser Pharma, Flensburger Brauerei, Förde Reederei Seetouristik, Beyersdorf, ComLine, Optimal Pflegedienst und Specht. In der Gruppe sind 2.200 Personen beschäftigt, die einen Umsatz von rund 600 Millionen erwirtschaften. 2018 folgte mit Gert Bendixen, zuvor Geschäftsführer bei Queisser Pharma, ein Familienexterner auf Hermann Dethleffsen in der Geschäftsführung.

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