Familienverfassung, Familientage, sogar eine eigene Zeitschrift für die 18 Familienmitglieder – wenn es um die Organisation der Unternehmerfamilie geht, machen die Krengels, Inhaberfamilie des Hygienepapierherstellers WEPA, keine halben Sachen. Woher kommt das Bedürfnis nach Sicherheit und Struktur?

Viele Familienunternehmen haben einen Gründungsmythos: eine gute, oft erzählte Geschichte über die Entstehung einer Produkt- oder Geschäftsidee, die den Grundstein für den unternehmerischen Erfolg bildet. Auch die Westfälische Papierfabrik, kurz WEPA, im sauerländischen Arnsberg hat so eine Geschichte. Allerdings beschreibt sie nicht die Geburtsstunde des Familienunternehmens, das 1948 von Paul Krengel gegründet wurde, sondern vielmehr die der eng verbundenen Unternehmerfamilie an sich: Bei einem sonntäglichen Mittagessen Anfang der achtziger Jahre, so geht die Erzählung, soll der jüngste der vier Söhne, Martin Krengel, seinem Vater Paul den Entschluss mitgeteilt haben, als Fußballtorwart bei Preußen Münster anheuern zu wollen, statt in den elterlichen Betrieb einzusteigen. Die Reaktion des Vaters sei knapp und drastisch gewesen: „Dann enterbe ich dich.“ Darauf habe sich Wolfgang, der Zweitälteste, eingemischt: „Dann gehen wir alle.“

Es kommt anders. Statt die Unternehmerfamilie schon in zweiter Generation zu spalten und die Nachfolge zu gefährden, bewirkt die Drohung des Vaters offenbar das Gegenteil. Martin Krengel (heute 62) entscheidet sich gegen die sportliche Karriere und für das Unternehmen, wo er 1985 einsteigt. Heute ist er Vorstandsvorsitzender von WEPA, das seit der Gründung ein rasantes Wachstum hingelegt hat: Mit zuletzt 1,2 Milliarden Euro Umsatz und rund 3.900 Mitarbeitern ist WEPA der zweitgrößte Hygienepapierhersteller in Deutschland und der drittgrößte in Europa (siehe Kasten). Und: Vater Paul Krengel hat niemanden enterbt. 1995 werden seine vier Söhne Paul, Wolfgang, Jochen und Martin Gesellschafter, sie organisieren sich in vier Beteiligungsgesellschaften. Seit 2015 befinden sich alle Unternehmensanteile im Besitz der dritten Generation. Heute hat WEPA sieben Gesellschafter, die gesamte Unternehmerfamilie zählt 18 Mitglieder. „Der Zusammenhalt in der Familie ist für WEPA bis heute prägend“, sagt Andreas Krengel (30), Martin Krengels Sohn, der seit 2018 ebenfalls im Unternehmen tätig ist.

Zusammenhalt fällt nicht vom Himmel

Dass die frühe Konfrontation mit dem Vater und die erklärte Solidarität zwischen den Brüdern diesen Zusammenhalt erstmals sichtbar gemacht hat und damit gut zur Legende taugt, liegt nahe. Allerdings hat sich bei den WEPA-Gesellschaftern mit den Jahren auch die Überzeugung durchgesetzt, dass dieser Zusammenhalt immer aufs Neue erarbeitet und am Leben gehalten werden muss.

WEPA-Geschäftsführer Martin Krengel

Foto: WEPA

Für Martin Krengel ist diese Erkenntnis eine logische Folge der Entwicklung im Familienunternehmen. „Nicht nur die Familie, auch das Geschäft ist mit den Jahren größer und komplexer geworden“, sagt er. „Die Herstellung von Hygienepapieren ist nicht nur sehr energie- und kapitalintensiv. Aufgrund des hohen Volumens und des geringen Gewichts unserer Produkte können wir sie nur bis zu 300, maximal 500 Kilometer weit transportieren, alles andere ist unwirtschaftlich.“

Schon seit den frühen achtziger Jahren ist WEPA Hersteller für die Handelsmarken großer Discounter, Supermärkte und Drogeriemärkte in Deutschland – und muss gemeinsam mit ihnen expandieren. Die strategischen Weichen dafür stellt das Unternehmen im Jahr 2001 mit der Strategie „Weichen statt Wachsen“, da ist Martin Krengel gerade Vorstandsvorsitzender geworden. „Damals haben wir erkannt: Wenn wir uns im Unternehmen strategisch so klar aufstellen, müssen wir das auf der Seite der Familie auch machen“, so Krengel. „Und uns im Gegenzug die Frage stellen: Wenn wir uns international und mit hohem Kapitalbedarf aufstellen, was bedeutet das für die Familie?“

Als konkreten Einstieg in die „Familienarbeit“ beschließen Martin Krengel und seine Brüder, Unternehmerfamilientage einzuführen, nach dem Vorbild anderer – wesentlich größerer – Unternehmen wie Henkel, Haniel oder Freudenberg: halbjährliche Treffen für alle Familienmitglieder an den verschiedenen Standorten der WEPA-Gruppe in Deutschland, die persönlichen Austausch und Informationsvermittlung ermöglichen, den familiären Zusammenhalt stärken und die nächste Generation näher an das Unternehmen heranführen sollen. Als die Treffen 2004 erstmals stattfinden, sind die sieben Vertreter der dritten Generation zwischen 16 und 24 Jahre alt, Andreas Krengel ist gerade 16.

Fünf Jahre später, nach dem Tod der Großmutter, werden die Cousins und Cousinen über die verschiedenen Beteiligungsgesellschaften zu mittelbaren Gesellschaftern von WEPA. Andreas Krengel, damals 21 Jahre alt, nimmt das damals eher als rechtlich- formellen Schritt wahr, sichtbar in Erscheinung getreten sei die dritte Generation zu dem Zeitpunkt noch nicht. Allerdings beteiligt sie sich im selben Jahr an der Erarbeitung der Familienwerte, die später auch als Grundlage für die Erarbeitung der Firmenwerte von WEPA dienen: Es ist das erste Mal, dass die Familienmitglieder generationsübergreifend gemeinsame Werte schriftlich festlegen.

„Auch in den Familienwerten spielt der familiäre Zusammenhalt eine zentrale Rolle“, sagt Andreas Krengel. Dass die Gesellschafter es damit durchaus ernst meinen, zeigt noch ein weiterer Gedanke: „Schon damals hat sich abgezeichnet, dass das alte Stammesdenken eigentlich keinen Sinn mehr macht, wenn man das Thema Zusammenhalt konsequent umsetzt und auf die Organisation anwendet“, so Andreas Krengel.

Zerreißprobe für die Familie

Nun auch operativ tätig: Andreas Krengel

Foto: WEPA

Zuvor steht jedoch ein anderes Thema auf der Agenda der Inhaberfamilie. Im Jahr 2007 – zu diesem Zeitpunkt setzt WEPA rund 450 Millionen Euro um – beschließen die Brüder Wolfgang, Jochen und Martin, den etwa gleichgroßen, insolventen italienischen Hersteller Kartogroup zu übernehmen, um die Firma international langfristig wettbewerbsfähig zu halten. Die Übernahme, per se ein Kraftakt, droht durch das Einsetzen der Finanzkrise zum Desaster zu werden. Um die Eigenkapitalbasis zu stärken, holt die Familie 2010 einen Private-Equity-Fonds mit ins Boot, der über eine Kapitalerhöhung mit 32 Prozent in das Familienunternehmen einsteigt. Für Martin Krengel und seine Brüder folgt die bis dato schwerste Zeit. „Die Werteorientierung des Familienunternehmens und des Private-Equity-Fonds passten nicht zusammen“, sagt der CEO rückblickend. „Das soll keine Private-Equity-Schelte sein, aber bei uns im Unternehmen hat es einfach nicht funktioniert.“

Zwei Jahre dauert das Private-Equity-Intermezzo, es wird zur Zerreißprobe für die Familie. Die Rohstoffpreise steigen, es herrscht Uneinigkeit im Gesellschafterkreis, die Mitarbeiter sind verunsichert. Den Zusammenhalt, den die Familie beschwört, muss sie jetzt beweisen. „Wir waren der festen Überzeugung: Wir schaffen das als Familie, wenn wir jemanden finden, der uns den Rauskauf des Private-Equity-Fonds finanziert.“ Mit Hilfe einer Bürgschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, für die die Brüder mit Haus und Hof garantieren, gelingt es ihnen 2012 schließlich, die Anteile zurückzukaufen.

Der gemeinsam abgewendete Verlust wird zum zweiten identitätsstiftenden Moment für die Unternehmerfamilie. Zugleich gehen Krengels in Sachen Governance in die Offensive. Die Brüder Wolfgang und Jochen gehen in den Ruhestand, Martin Krengel bleibt, drei neue Vorstände werden von außen hinzugewonnen. 2014 erarbeitet die Familie generationsübergreifend eine Familienstrategie und gibt sich eine Familienverfassung. „Kern der Strategie ist, dass wir uns perspektivisch als eigentümerkontrolliertes Unternehmen verstehen“, sagt Andreas Krengel. Er betont, dass der operative Einstieg von Familienmitgliedern grundsätzlich möglich ist, allerdings wurde auch hier die alte Stammeslogik aufgebrochen, nach der je ein Vertreter pro Familienteil operativ mitarbeiten darf.

Der Einstieg von Familienmitgliedern ist grundsätzlich nur auf Vorstandsebene möglich. Der Aufsichtsrat, der die Arbeit des Vorstands seit der Umwandlung von der GmbH zur SE im Jahr 2009 kontrolliert, ist bewusst extern besetzt. Dass das die Familie in ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit einschränkt, ist allen bewusst. Die große Übernahme der Kartogroup etwa wäre heute so nicht mehr denkbar. „So etwas können Sie nur entscheiden, wenn Sie sagen: Wir sind bereit, das gesamte Unternehmen dafür zu riskieren, aber wir wollen das“, sagt Martin Krengel rückblickend.

Mit einer Stimme sprechen

Auch auf Gesellschafterebene gibt es nach dem Rückkauf der Unternehmensanteile grundlegende Veränderungen. 2015 erfolgt die komplette Übertragung der Unternehmensanteile auf die dritte Generation. Die sieben Cousins und Cousinen haben sich auf diesen Schritt zwar seit inzwischen elf Jahren vorbereitet, operativ im Unternehmen tätig ist allerdings noch keiner. „Es mag ungewöhnlich scheinen, zuerst die Anteile zu übertragen und dann die operative Nachfolge zu regeln. Beim ersten Generationenwechsel war das noch genau umgekehrt“, so Andreas Krengel. Nach der Idee des eigentümerkontrollierten Unternehmens sei diese Reihenfolge aber nur logisch. Zur gleichen Zeit gelingt der Familie auch, was zuvor bereits angedacht wurde: Die Stammeslogik wird aufgelöst und die drei Beteiligungsgesellschaften zu einer gemeinsamen Familienholding der Unternehmerfamilie Krengel, kurz UFK, verschmolzen (siehe Grafik), die auch das Familienmanagement koordiniert.

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„Wir wollten mit einer Stimme sprechen“, sagt Andreas Krengel, der seit ihrer Gründung an der Spitze der Familienholding steht. 2018 stieg er auch operativ ins Unternehmen WEPA ein, zunächst als Finance Director von WEPA UK mit Verantwortung für die Expansion in England sowie für die Digitalisierungsaktivitäten. Seit Ende 2018 leitet er zudem das neu gegründete Strategy & Transformation Office. Seitdem wird er von Ingmar Lohmann, dem Mann einer Cousine, unterstützt, der das Familienmanagement operativ leitet.

Heute lässt WEPA beim Thema Family Governance kaum einen Wunsch offen. Die halbjährlichen Unternehmerfamilientage gehen dieses Jahr in die 28. Runde. Nachdem sie zunächst reihum von den verschiedenen Teilen der Familie ausgerichtet wurden, ist seit 2015 Andreas Krengel gemeinsam mit Ingmar Lohmann hauptamtlich für die Organisation verantwortlich. Es gibt ein eigenes Veranstaltungsformat für die „NextGen“ und ein spezielles Programm zur Gesellschafterkompetenzentwicklung. Familienmitglieder, die von außen neu hinzukommen, können auf Wunsch einen Onboarding-Prozess durchlaufen.

Für die interne Kommunikation hat die Familie Werkzeuge installiert, um alle Beteiligten abzuholen und effiziente Entscheidungsprozesse sicherzustellen. „Egal, wer wie nah am Unternehmen dran ist: Alle müssen aus einer Quelle informiert werden“, sagt Andreas Krengel. Konkret bedeutet das: Auf einem digitalen Sharepoint werden Informationen zum Unternehmen geteilt. Pro Quartal gibt es einen „Earnings-Call“ zu den aktuellen Ergebnissen. Sogar eine eigene Printpublikation, die „Familienpost“, gönnt sich die Familie alle drei Monate, um ihre 18 Mitglieder (auch Partner gehören dazu) auf dem Laufenden zu halten.

Gesellschafterarbeit ist nie zu Ende

Viel Aufwand für einen vergleichsweise kleinen Adressatenkreis – steht das im Verhältnis zum Nutzen? Andreas Krengel ist davon überzeugt, ihm geht es um den Prozess. „Eine Familienverfassung zu verschriftlichen, das ginge theoretisch auch mit ‚copy and paste‘ und Standardformulierungen. Aber wir haben uns bewusst intensiv in mehreren Workshops und Diskussionen mit der Erstellung und der Klärung der für uns wichtigen Fragen zu Zielen, Rollenverständnis und Handlungsleitlinien beschäftigt“, sagt er. „Das Wichtige ist ja, sich gemeinsam mit allen Beteiligten darüber auseinanderzusetzen.“

Info

1948 gründete Paul Krengel Senior die Westfälische Papierfabrik, kurz WEPA, im sauerländischen Arnsberg als Großhändler für Schrank-, Einschlag-und Geschenkpapiere. Zehn Jahre später wird WEPA mit der ersten eigenen Papiermaschine selbst zum Hersteller von Hygienepapieren und legt den Grundstein für das Wachstum der folgenden Jahre. Heute erwirtschaftet das Unternehmen mehr als 1,2 Milliarden Euro Umsatz und hat in Deutschland einen Marktanteil von 25 Prozent, in Europa von 8 Prozent. WEPA beschäftigt 3.900 Mitarbeiter und hat Standorte in Deutschland, Italien, Frankreich, Polen, den Niederlanden und Großbritannien. Zum Produktportfolio gehören unter anderem Toilettenpapier, Küchentücher, Taschentücher, Kosmetiktücher, Handtuchpapier und Servietten. Bereits seit den achtziger Jahren bedient die Firma das sogenannte Private-Label-Geschäft: Sie produziert für die Handelsmarken großer Discounter und Drogeriemärkte. Zudem beliefert sie Großkunden wie Hotels, Restaurants und Industrie.

Das bedeutet allerdings auch, dass die Familienstrategie von jeder Generation neu ausgehandelt werden muss. Der fortwährende Aktualisierungsbedarf ist für Andreas Krengel eher eine gute Nachricht: Denn Gesellschafter, die sich regelmäßig mit dem Familienunternehmen befassen, haben eine engere Bindung dazu. Und das ist wiederum ganz im Sinne der Familienstrategie, die unter anderem die verantwortungsbewusste Ausübung der Eigentümerrolle festschreibt. „Die Familie ist im Familienunternehmen zugleich die größte Stärke und das größte Risiko“, sagt Martin Krengel. „Man sollte sich von diesem besonderen strukturellen Risiko nicht verrückt machen lassen. Aber man muss es sich bewusst machen.“ Und dagegen angehen, mit mehr als einer guten Geschichte.

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