Normalerweise baut und repariert das Unternehmen Gebr. Friedrich in Kiel in seiner Werft Schiffe und Boote. Seit einigen Jahren werkelt das Unternehmen auch an sich selbst und an Lösungen aus der Industrie 4.0. Nach außen sehr sichtbar, denn die Hälfte der Piers wurde abgerissen und neu gestaltet. Aber auch nach innen lässt Katrin Birr kaum einen Stein auf dem anderen. Diesen Umbau des Unternehmens hatte sie bei ihrem Einstieg allerdings nicht geplant. „Dass Werften kein Pflaster für eine einfache Mark sind, wusste ich schon“, sagt die gelernte Bankkauffrau. Die Firma wurde 1921 gegründet und musste sich in den vergangenen 100 Jahren immer wieder auf Neuerungen einstellen, ob durch Kriege, neue Impulse der Generationen oder technologische Entwicklungen wie verschiedene Antriebsformen, die Einführung des Radarsystems oder die verbesserte Ortung durch Satelliten.
Noch viel grundlegender aber werden die zukünftigen Änderungen sein, ist sich die Vertreterin der vierten Generation sicher. Viele Schiffe werden bald komplett elektrisch oder zumindest mit hybriden Motoren durch Kiel und Umgebung schippern. Ihre Batterien müssen gewartet und gepflegt werden. Doch diese aus dem Schiff zu heben ist mit der jetzigen Struktur der Werft nicht möglich. Umweltstandards müssen beim anschließenden Warten der Batterien ebenfalls eingehalten werden.
Wie wird das Schiff der Zukunft gesteuert, und wie werden Daten ausgewertet? Die bisherigen Geräte auf der Brücke mit Knöpfen und Elektronik über das ganze Schiff verteilt werden Sensoren weichen. Die Brücke wird das ganze Sammelsurium an kleinteiligem Gewerk gegen Tablets eintauschen. Auch der 3-D-Druck als ein Teil der Industrie 4.0 bietet neue Möglichkeiten, Ersatzteile herzustellen. Denn Schiffsteile für alte Motoren werden oft gar nicht mehr produziert, und Schiffe sind ohnehin im Gegensatz zu Flugzeugen nicht modular, sondern oftmals Einzel- und Spezialfertigungen.
Wachstum ohne Vision
Dass Katrin Birr diese Themen auf ihrem Radar hat, ist ein erster wichtiger Schritt. Diesen kann sie allerdings nur machen, wenn sie es schafft, die Mitarbeiter mit an Bord zu holen. Dass das der womöglich schwerste Teil ihrer Aufgabe ist, musste Katrin Birr nach ein paar Jahren im Unternehmen erkennen. Mit ihr und ihrem Vater als gleichbeteiligten, operativ tätigen Eigentümern an der Spitze standen alle Zeichen auf Wachstum. Eine Elektrofirma wurde zugekauft. Doch Katrin Birr begann zu spüren, dass die Strukturen der Organisation nicht gleichermaßen mitwachsen und für Unruhe in der Belegschaft sorgten.

Foto: Frank Behling
Sie nimmt bei der Erarbeitung der Vision die gesamte Belegschaft mit, um die angestaute Frustration aller Beteiligen abzubauen und eine neue Unternehmenskultur ins Leben zu rufen. Hierbei setzt sie auf systemisches, externes Coaching. In zahlreichen Workshops erlernen Birr, Führungskräfte und auch Mitarbeiter Methoden, wie sie gemeinsam die Zukunft des Unternehmens gestalten können. Die Eigentümerin muss feststellen, dass vor allem sie ihre Rolle an der Spitze neu interpretieren muss.
„Wir müssen viel Verantwortung nach unten abgeben“, sagt sie damals zu ihren Führungskräften. Das sei sehr anstrengend gewesen und musste erst einmal gelernt werden. Es habe sich gelohnt, denn die neuen Divisionen würden sich gegenseitig anspornen, berichtet die Chefin. Die Beraterin, die dem Unternehmen beiseitestand, attestiert dem Team der Werft: „Ihr seid kein Team, ihr seid ein Schwarm.“ Das Denken in einer großen Einheit haucht auch Katrin Birrs eigenem Ideendrang neues Leben ein: „Ich hatte plötzlich eine so große Freiheit. Der Umbau der Führungsstrukturen hat mir viel Druck genommen, und ich konnte selbst weitere neue Perspektiven in unser Unternehmen einbringen.“
New Work: Konstant und flach geführt
Eine Transformation im laufenden Betrieb, wie sie die Werft vorgenommen hat, ist die Regel, sagt Michael Pachmajer. Das bestehende Geschäft zu sichern, auszubauen und gleichzeitig den notwendigen Umbau des Unternehmens voranzutreiben sei jedoch oft nicht einfach. Deswegen würden sich immer mehr Familienunternehmen dafür entscheiden, neue Ansätze auf der grünen Wiese abseits des Tagesgeschäfts aufzubauen, sagt Pachmajer. Dies gelte auch für Geschäftsmodellinnovationen und die Veränderung der Unternehmenskultur.
Seit knapp zwei Jahren setzt Katrin Birr die Visionen, von denen viele von den Mitarbeitern selbst kamen, konkret in die Tat um. Deswegen auch der große Umbau der Werft. Doch wenn die Hälfte der Piers abgerissen wird, kommen – bei allem Enthusiasmus bei der Ideenfindung – Ängste auf. Hier sind die Führungskräfte und ihr Verhalten wieder sehr wichtig, sagt Birr. Es brauche bei der Transformation des Unternehmens hin zur Industrie 4.0 konstant Vorbilder, die sich hinter die Ideen der Mitarbeiter stellen. Immer wieder in Erinnerung zu rufen, wie die Werft 4.0 erfolgreich wird, sei neben offener Kommunikation der Schlüssel. Und natürlich auf Ängste einzugehen und sich weiterhin als Führungskraft hinterfragen zu lassen. „Die Transformation ist nie vorbei“, sagt Birr. 2020 haben die Mitarbeiter das Unternehmen in Schulnoten bewertet. Die fielen „schlechter aus als gedacht“. Da gelte es dranzubleiben.
Mit der neuen, flachen Hierarchie und Ansätzen für mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz, die sie in das Unternehmen bringen will, möchte die Chefin die neue Generation ansprechen. Vielleicht auch in der eigenen Familie. Ihr Sohn hat sein Studium fast beendet. Wieso sollte er in der 100 Jahre alten Werft nicht auch seinen Weg finden? So haben es schon vier Generationen von Werftunternehmern vor ihm getan. Aber eine schnelle Mark wird es nicht, so viel sei vorab gesagt.