Während Corona als Katalysator die Digitalisierung auch bei familiengeführten Mittelständlern beschleunigt, zeichnet sich ein bedenklicher Trend ab: das Auseinanderklaffen zwischen digitalen Konzepten einerseits und dem geringen Grad der Digitalisierung in Deutschland andererseits. Meine Diagnose: digitale Umsetzungsschwäche.
Die Gründe dafür können vielfältig sein. So führen fehlende operative Kompetenzen zu einer hohen Abhängigkeit von externen Dienstleistern, was wiederum den Aufbau dieser eigenen Kompetenzen blockiert. Mancherorts gibt es zudem noch eine Diskrepanz zwischen dem Gestaltungswillen und dem Investitionsvolumen. Zur erfolgreichen Digitalisierung braucht es aber teils erhebliche Investments, um die Renditepotentiale in der Zukunft heben zu können. Und schließlich: Die penible Einhaltung verschiedenster Richtlinien bei der Freigabe von Mitteln kann ein dynamisches Vorgehen verhindern.
Neue Köpfe brauchen neue Kultur
Dabei sind es doch gerade Familienunternehmen, in denen die Entscheidungswege kurz sind und der Entscheidungshorizont lang! Doch selbst wenn die Bedingungen gut sind, bleibt ein übergreifender Faktor, auf den sich viele Probleme in der Umsetzung zurückführen lassen: die Schnittstelle Mensch–Organisationskultur.
Unbestritten ist, dass digitale Transformationen vollkommen von digitalen Talenten abhängen. An der Infrastruktur – etwa Serverkapazität oder Analysetools – hapert es nicht. Die ist schnell eingekauft. Es handelt sich ja nicht um den Aufbau einer Präzisionsproduktionsanlage, bei der die Beschaffung kritischer Einzelteile über Monate hinweg Thema sein kann. Nein, hier machen die Köpfe den Unterschied. Und um die richtigen Köpfe in ein Unternehmen reinzubekommen, muss die Organisationskultur passen: Junge Talente erwarten oftmals Gestaltungsspielraum, kurze Abstimmungswege, flache Hierarchien.
Klar ist: Ein Kulturwandel in der Kernorganisation braucht Zeit. Die fehlt in Sachen Digitalisierung aber chronisch. Eine mittlerweile bewährte Methode, um nicht (mehr) an unternehmenskulturell bedingter, digitaler Umsetzungsschwäche zu leiden: der Aufbau einer Digital Unit. Damit gemeint sind vom Kerngeschäft getrennte „interne Ausgründungen“, um – zunächst in einzelnen Projekten oder durch eine klar definierte Initiative – die Digitalisierung schnell voranzubringen.
Digitalisierung innerhalb von Wochen, nicht Quartalen
In den Digital Units können auch in Zusammenarbeit mit externen Spezialisten neue Geschäftsmodelle entwickelt und verprobt, ja mitunter sogar signifikante Umsätze erzielt werden – und das quasi ohne Risiko für die Kernorganisation, dafür ganz im Sinne junger Digital-Talente.
Die Vorteile solch einer internen Ausgründung liegen auf der Hand: Mit einer solchen Unit ist eine Dynamik realisierbar, die in etablierten, oftmals noch stark hierarchisch geprägten Strukturen nicht zu erreichen ist. Der Aufbau einer Digital Unit und die Umsetzung von digitalen Strategien kann in Kalenderwochen gemessen werden, während sich die Gesamtorganisation höchstens im Quartalsrhythmus steuern lässt.
Kurz: Familienunternehmen, die – vor allem angesichts der Corona-Pandemie – ihre Digitalisierung vorantreiben müssen, sollten vor einem Investment in eine Digital Unit nicht zurückschrecken und dies als Auftakt für einen notwendigen Kulturwandel nutzen. Es geht um nichts weniger als die Zukunftsfähigkeit. Und genau für solche Fälle haben die Gründer- und ersten Nachfolgergenerationen dereinst begonnen, Rücklagen zu bilden.