Aller Anfang ist schwer – auch der digitale Bewerbungsprozess. Denn deutsche Familienunternehmen machen es den Kandidaten nicht leicht, sich online zu bewerben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Stiftung Familienunternehmen aus dem Jahr 2016. Knapp 40 Prozent der befragten Teilnehmer sagten, dass eine ausreichende Digitalisierung des Bewerbungsprozesses nicht vorhanden sei. Die Einschätzung dieser Kandidaten gibt Grund zur Sorge, denn die Konkurrenz aus großen Konzernen wirbt schon längst über Facebook und Instagram für sich als Arbeitgeber. Was können Familienunternehmen tun, um bei ihrer Arbeitgebermarke nicht ins Hintertreffen zu geraten?
Alles klar im Web?
Bei Mann+Hummel im schwäbischen Ludwigsburg dreht sich alles um Filtrationssysteme für die Automobil-, Flughafen- und Gesundheitsbranche. Über 20.000 Mitarbeiter an über 80 Standorten erwirtschaften einen Umsatz von etwa 3,9 Milliarden Euro. Das Unternehmen sucht im digitalen Raum gezielt nach passenden Arbeitnehmern. Thomas John, Personalchef der Mann+Hummel Group, spricht über unterschiedliche Jobportale Ingenieure direkt an. Da der Filterspezialist stark wächst, reichen allerdings rein digitale Maßnahmen nicht aus, um alle Stellen zu besetzen. Die Ansprache von Kandidaten in der Zielgruppe Management unterscheidet sich sehr von Bewerbern auf Stellen in der Produktion, weiß John. Insbesondere bei der Besetzung in der Herstellung seien Kandidaten weniger online-affin. Da tut es manchmal auch die simple lokale Printanzeige.

Foto: Schüco
Klar ist, dass Familienunternehmen das Web für ihre HR-Arbeit entdeckt haben und auch nutzen. Nicht immer steht allerdings eine klare Strategie dahinter, und nicht immer gehen sie souverän mit den digitalen Instrumenten um. Gerrit Nagel, Geschäftsführer der Personalberatung Dr. Terhalle & Nagel, beobachtet Unsicherheiten und zudem Ignoranz im Umgang mit neuen Internetplattformen: „Manche Firmen pflegen ihre Profile auf Plattformen wie Kununu überhaupt nicht.“
Gleichzeitig warnt Nagel davor, sich ausschließlich auf digitale Kanäle im HR-Prozess zu konzentrieren, weil beim schnellen Recruiting im Netz immer die Anonymität mitschwingt: „Active Sourcing, Bewerbermanagementsysteme und Persönlichkeitstest sind die Pest für die persönliche Note der Unternehmen“, sagt er. Wer sich nicht tiefgründig und individuell mit dem Bewerber befasse, bleibe angesichts von „Copy & Paste“-Nachrichten beim Kampf um die Fachkräfte auf der Strecke.
Raus aus Kategorien
Auch Familienunternehmen kritisieren durchaus die Entwicklungen auf der Datenautobahn. Andreas Engelhardt von Schüco stößt sich daran, dass im Online-Bewerbungsprozess zumeist schon eine Vorauswahl getroffen wird. Dadurch fielen „bestimmte Typen“ durchs Raster, sagt er: „Wir müssen schauen, dass wir nicht nur jemanden ins Unternehmen nehmen, der lediglich 1er-Noten und 47 Abschlüsse hat.“ Man müsse mehr über die Persönlichkeit und die Antriebskraft der Bewerber herausfinden. Menschen, die Engagement an den Tag legen und Verantwortung übernehmen wollen – das sind für Engelhardt wichtigere Attribute als Noten.
Headhunter Nagel gibt ihm in diesem Punkt recht und führt aus: „Jemand, der vielleicht nur zu 75 Prozent auf eine Stelle passt oder keinen runden Lebenslauf vorweisen kann, hat oft eine größere Motivation, sich zu beweisen, und wird sich mehr engagieren und lernen.“ Zudem seien diese Arbeitnehmer tendenziell glücklicher am Arbeitsplatz, da sie diesen mehr wertschätzten als ihre überqualifizierten Counterparts. „Jemand, der zu 120 Prozent auf eine Stelle passt, ist schnell unterfordert und langweilt sich. Da hilft auch mehr Geld nicht. Der geht früher oder später“, so die drastische Zusammenfassung vom Personalberater.
Fordern und fördern
Die Motivation hochzuhalten ist vor allem für die junge Generation wichtig, die sich im Gegensatz zu ihren Eltern nicht mehr vorstellen kann, 20 oder 30 Jahre lang beim gleichen Arbeitgeber mit der gleichen Arbeit angestellt zu sein. Rotation am Arbeitsplatz ist daher ein Stichwort, um die Arbeitsmoral hoch zu halten. Bei Mann+Hummel wechselt man in der Produktion teilweise sogar während eines Tages die Aufgabenstellung. Laut Personalentscheider John geschieht das nicht nur, damit die Beschäftigten sich immer wieder an neuen Prüfsteinen beweisen können und neue Skills hinzulernen, sondern auch aus gesundheitlichen Gründen. So wolle man verhindern, dass die körperliche Belastung einseitig sei.
Dieses Prinzip beschränkt sich nicht ausschließlich auf Arbeitnehmer in der Fertigung: Bei der Brose Gruppe, die als Automobilzulieferer über 25.000 Mitarbeiter beschäftigt und 2017 einen Umsatz von 6,5 Milliarden Euro erlöste, wechselten zu Beginn des Jahres zwei Geschäftsführer ihre Ressortverantwortlichkeiten. Der Leiter Einkauf, Sandro Scharlibbe, und sein Pendant für Sitzsysteme, Periklis Nassios, verantworten nun den jeweils anderen Bereich, um ihre Erfahrungshorizonte zu erweitern und die Innovationsfähigkeit in der Führungsebene zu steigern.
Der Technologiekonzern Voith, der auf allen Kontinenten Standorte in über 60 Ländern mit etwa 19.000 Mitarbeitern betreibt, bietet seinen Mitarbeitern kulturelle Abwechslung: Arbeitnehmer, die zwei bis fünf Jahre für das Unternehmen mit Stammsitz in Heidenheim gearbeitet haben, können einen längeren Auslandsaufenthalt in Verbindung mit einer Jobrotation absolvieren. Die Ziele ähneln denen von Mann+Hummel und Brose. Das Unternehmen will bei der persönlichen und beruflichen Entwicklung der „Voithianer“ aktiv mitwirken. Die Erfahrung zeigt: Meist kommen aus der Auslandserfahrung neue Ideen und Gedanken zurück.

Foto: Mann+Hummel
John findet zudem, dass Familienunternehmen viel zu wenig über ihre Erfolge sprechen. Das gelte auch für seine Firma: „Mann+Hummel ist von einem schwäbischen Unternehmen zu einem internationalen Konzern gewachsen. Bei aller schwäbischen Bescheidenheit gibt es so viel, auf das wir stolz sein können. Das sollte allerdings nicht länger unser Geheimnis bleiben.“
In dieser Hinsicht stimmen die Statistiken der Stiftung Familienunternehmen positiv: In einer weiteren Umfrage aus dem Jahr 2016 zum Thema „Familienunternehmen als Arbeitgeber“ beurteilten 82 Prozent der Teilnehmer den Aspekt „gute Arbeitsatmosphäre/Teamgeist“ bei Familienunternehmen besser als bei Nicht-Familienunternehmen. Wenn das aktiv auf die relevanten Plattformen getragen wird, müssen sich Familienunternehmen im digitalen „War for Talents“ nicht verstecken.