Komplexer Gesellschafterkreis, Patchwork-Familie, strategische Differenzen: Dass das Berliner Auktionshaus Grisebach heute ein Familienunternehmen in zweiter Generation ist, war alles andere als ein Automatismus. Und das ist auch in Ordnung, findet Geschäftsführer und Hauptgesellschafter Daniel von Schacky.

Als Daniel von Schacky (46) im Grundschulalter war, bekam er von seinem Vater Bernd Schultz (81), einem Mitgründer des Auktionshauses Grisebach, pro Halbjahr 500 D-Mark. Damit durfte er jede Saison in den Auktionen von Grisebach auf ein Kunstwerk seiner Wahl mitbieten. Seit Anfang 2023 ist von Schacky nun in zweiter Generation Geschäftsführer und Hauptgesellschafter des Auktionshauses mit 60 Mitarbeitern und zuletzt rund 70 Millionen Euro Umsatz. Die Episode aus seiner Kindheit ist die perfekte Steilvorlage, um eine Geschichte über gelungene innerfamiliäre Nachfolge zu erzählen.

Doch Daniel von Schacky ist weit entfernt davon, zwischen den beiden Punkten eine gerade Linie zu ziehen, im Gegenteil. Er erzählt über die Begebenheit von damals nur, wenn er konkret danach gefragt wird, und auch dann eher amüsiert als bedeutungsschwer. Er weiß nicht mehr, welche Werke er damals ersteigert hat, es interessiert ihn auch nur am Rande. Vor gut zehn Jahren hat er alle Stücke von damals, nachdem seine Mutter sie in seinen vergessenen Kindersachen gefunden hatte, per Auktion verkauft (bei Grisebach natürlich). „Sie wissen ja, Geschmäcker ändern sich“, sagt er heute schlicht.

Das Auktionshaus Grisebach, das 1986 als „Villa Grisebach“ gegründet wurde, trägt seinen Namen nicht nach einem Gründer oder einer Unternehmerfamilie, sondern nach seinem Stammsitz: einer nach dem Architekten Hans Grisebach benannten Stadtvilla an der Fasanenstraße 25 in Berlin-Charlottenburg. Die Gründung war ein Gemeinschaftsunterfangen von fünf Kunsthändlern, darunter auch Bernd Schultz als „inspirierender und treibender Kraft“, wie es in der Unternehmensgeschichte zu lesen ist.

Daniel von Schacky: „Vater dachte nicht an Dynastie.“

Schultz war über viele Jahre Haupteigentümer des Auktionshauses, allerdings leitete er daraus offenbar keine Ansprüche oder Zukunftsvisionen mit Blick auf die eigene Familie ab. „Mein Vater würde Grisebach nicht als Familienunternehmen beschreiben, es ging ihm nicht um eine dynastische Idee“, sagt Daniel von Schacky. „Es gab zwischen uns nie dieses Moment: Mein Sohn, eines Tages wird das alles dir gehören.“ Dass Daniel von Schacky der Stiefsohn von Bernd Schultz ist – Daniels Mutter Mary Ellen von Schacky hatte ihn und eine Tochter 1985 mit in die Ehe gebracht –, hat dabei offenbar nichts zur Sache getan. Sein Vater habe keinen Unterschied zwischen seinen Stiefkindern und der leiblichen jüngeren Tochter gemacht. Alle drei Kinder hätten das gleiche halbjährliche Auktionsbudget bekommen, erzählt von Schacky. Bis heute sieht er dahinter keine besondere Strategie des Vaters mit Blick auf die Nachfolge. „Es ging nicht darum, uns zu ködern oder unsere Leistung zu vergleichen. Ich glaube, unser Vater wollte uns einfach nur zeigen, womit er sich den ganzen Tag beschäftigt.“

Mitgründer und treibende Kraft hinter Grisebach: Bernd Schultz.

Mitgründer und treibende Kraft hinter Grisebach: Bernd Schultz. / Foto: Franziska Sinn

Von Schacky nutzte die Freiheit, um sich in eine ganz andere Richtung zu orientieren. Mit 16 Jahren ging er in die USA, die Heimat seiner Mutter, um dort in der Nähe von Boston ein Internat zu besuchen. Nach dem Studium in Philadelphia ging er als Investmentbanker an die Wallstreet. „Die Idee, ich könnte auch zu Grisebach gehen, war für mich zu dem Zeitpunkt nicht existent“, sagt er. „Nach einem Praktikum auf dem Trading Floor war für mich klar: Das will ich machen! Die Märkte, der Handel – ich habe den Job geliebt.“ Nach drei Jahren allerdings entwickelte er den Gedanken, dass der Job auf Dauer nicht das Richtige für ihn sein könnte. „An der Wallstreet habe ich gemerkt: Die Leute, die dort am erfolgreichsten sind, können sich extrem fokussieren. Sie können geradezu monomanisch sein, wie mit Scheuklappen.“ Für ihn ist das das Gegenteil von dem, was er in seinem Elternhaus kennengelernt hat. „Bei uns gingen die verschiedensten Menschen ein und aus, Künstler, Sammler, Wissenschaftler. Mir fehlte diese enorme Bandbreite, die Neugier über den eigenen Tellerrand hinaus.“

In dem Wunsch, zu dieser Offenheit zurückzukehren, fuhr von Schacky eine zweigleisige Strategie. Er beschloss, sich in den USA auf verschiedene MBA-Studiengänge zu bewerben. Parallel dazu, so sprach er es mit dem Vater ab, würde er im Bewerbungsjahr in Berlin bei Grisebach mitarbeiten. „In dieser Zeit gab es für mich drei Fragen: Verstehe ich mich mit meinem Vater? Habe ich die richtigen Talente für den Job? Und macht es mir Spaß?“

Die Testphase mag dabei auf Gegenseitigkeit beruht haben. Daniel von Schacky beschreibt seinen Vater als absoluten Workaholic. In eine ähnliche Richtung geht die Fachpresse, die Bernd Schultz schon wiederholt eine gewisse fachliche Kompromisslosigkeit bescheinigt hat, wenn es um die Firma geht. Dass für seinen Einsatz bei Grisebach ein fester Zeitraum definiert war, empfindet Daniel von Schacky bis heute als entlastend für alle: „Ich hätte dem Unternehmen nach dieser Zeit ohne Probleme gesichtswahrend den Rücken kehren können.“

Einstieg, Ausstieg, Selbständigkeit

Dazu kam es nicht. Schon nach sechs Monaten sei allen Beteiligten klar gewesen, dass von Schacky und Grisebach auch längerfristig gut zusammenpassen würden, erzählt er. Die MBA-Pläne pustete er in den Wind, stattdessen machte er in London einen Master in Kunstgeschichte und ging in Absprache mit seinem Vater für zwei Jahre nach New York – „ins Zentrum des Vulkans“, wie er sagt – zu einer jungen, aufstrebenden Galerie. 2006 kam er nach Berlin zurück und stieg offiziell bei Grisebach ein, als Leiter für den Bereich zeitgenössische Kunst. 2011 ging von Schacky nach Nordrhein-Westfalen, um die Grisebach-Repräsentanz in Düsseldorf aufzubauen. 2014 wurde er Mitgeschäftsführer und Gesellschafter.

Nachfolger im Sack, so könnte man die Entwicklung, dynastisch gedacht, resümieren. Doch dabei blieb es nicht. Im August 2016 stieg Daniel von Schacky – von außen gesehen überraschend – aus dem operativen Geschäft aus und verkaufte auch seine Unternehmensanteile zurück an den Vater, wie es für den Fall eines Ausstiegs vertraglich vereinbart war. Grund seien unterschiedliche Auffassungen über die strategische Ausrichtung im Bereich zeitgenössische Kunst gewesen, sagt von Schacky etwas vage. Klar ist: Anders als in anderen Familienunternehmen war es auch als Hauptgesellschafter für Bernd Schultz offenbar keine Option, zugunsten des Verbleibs seines Sohnes ein Machtwort zu sprechen. „Meinem Vater war es immer sehr wichtig, die Minderheitsgesellschafter ernst zu nehmen und nicht zu überrollen“, sagt von Schacky. Auch dann, als der Sohn auf dem Absprung in die Selbständigkeit war.

In den vergangenen sechs Jahren war Daniel von Schacky mit der Firma Schacky Art & Advisory GmbH in Düsseldorf unter seiner eigenen Flagge auf dem Kunstmarkt unterwegs. Im Dezember 2022 wurde dann bekannt, dass er zum 1. Januar 2023 als Geschäftsführender Gesellschafter zu Grisebach zurückkehren würde. Zugleich zog sich Bernd Schultz aus der Geschäftsführung zurück und wechselte in den Beirat des Unternehmens, der zwar schon zuvor existierte, nun aber konsequenter seine Arbeit betreiben werde, wie von Schacky sagt.

Auch die Rolle des Hauptgesellschafters hat er übernommen: Bernd Schultz hat von seinen ursprünglich 89 Prozent der Unternehmensanteile nur 10 Prozent behalten. Von den übrigen 79 Prozent bekam von Schacky einen Teil übertragen, den größeren Teil haben er und seine Geschäftsführungskollegin Diandra Donecker (34) Bernd Schultz abgekauft. Daneben gibt es zwei weitere Geschäftsführende Gesellschafter, Micaela Kapitzky und Dr. Markus Krause. „Der Kauf der Anteile war von Anfang an im Gespräch“, sagt von Schacky. Teil der Argumentation sei der Fairnessgedanke gegenüber seinen Schwestern gewesen, die nicht im Unternehmen aktiv sind und auch keine Anteile besitzen. Zugleich unterstreicht er die Bedeutung der Transaktion für sein Selbstverständnis als Unternehmer. „Wenn man etwas selbst kauft, hat man noch mal ein ganz anderes Verhältnis dazu“, erläutert von Schacky.

Wie genau es zur Rückkehr ins Familienunternehmen gekommen ist, erläutert Daniel von Schacky nicht. Ein Schnellschuss war die Entscheidung in jedem Fall nicht. Für den Anbahnungsprozess der Nachfolge habe man sich mehr als zwei Jahre Zeit genommen, sagt von Schacky, um die Interessen seines Vaters, seiner Geschwister, der Mitgesellschafter und seine eigenen in Einklang zu bringen – und dann auch noch nach dem Rat von Juristen und Steuerberatern zu optimieren. Immerhin: Mit der heutigen Lösung scheint von Schacky zumindest vorläufig an einem guten Punkt angekommen zu sein. Ganz ohne Mythos und trotz aller Wendungen.

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