„Zefix! A Rua is’!“ brüllt die Nachbarin und knallt das Fenster zu. Die Nerven der Nachbarschaft in der Schleißheimer Straße in München liegen blank: Seit der Riedl Hans und die anderen Handwerker in den Garagen im Hinterhof ihren Betrieb aufgenommen haben, haben die Bürger in der näheren Umgebung keine ruhige Minute mehr. Ein Schmieden, Hämmern und Dengeln schallt durch das Wohngebiet, dass die Anwohner sich die Federkissen auf die Ohren pressen. Die Handwerker bauen Aufzüge. Und bei der Metallbearbeitung ist Lärm nicht zu vermeiden, und der dauert von Montag bis Samstag. Allein der Feiertag wird noch geheiligt. Schließlich sind wir im katholischen Bayern, und wir schreiben das Jahr 1934. Zusammen bilden sie etwas, was man heute in der Welt der Start-ups als „Incubator“ bezeichnen würde: einen Innovationscluster aus Firmengründern.
Einer der hoffnungsvollen und lärmenden Start-upper in der Schleißheimer Straße ist Hans Riedl. Er wurde 1899 geboren und wuchs auf einem Bauernhof in Bayern auf. Zu dem landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern gehörte auch eine Schmiede, wo er das ebenso nützliche wie lärmintensive Schmiedehandwerk erlernte. Der junge Schmied schaffte tatsächlich den Sprung vom Bauernhof in die Stadt und entwickelte sich weiter vom Schmied zum Aufzugsmonteur. Bei der Firma Schüle machte sich Hans Riedl mit seiner Cleverness schnell einen Namen. Doch die Firma fiel der Weltwirtschaftskrise 1929 zum Opfer. Übrig blieben die Schüle-Aufzüge, die nach der Firmenpleite in verschiedenen Gebäuden nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland montiert waren und weiterhin gewartet werden mussten. Ein Glück für Riedl, so konnte er sich als Aufzugsmonteur selbständig machen.
Raus aus der Garage
Mit der Verwaltung des Bestands wollte sich Hans Riedl aber nicht zufriedengeben. Er wollte sein eigenes Ding machen, und in der Schleißheimer Straße in München wurde schließlich der Grundstein dafür gelegt. Die Firma Riedl Aufzüge wurde 1934 gegründet. Eine finstere Zeit, in der das Unternehmen seine ersten Erfolge feierte: 1938 eröffnete Riedl die erste Werkshalle. Nach dem Krieg profitierte der Aufzugbauer vom Wiederaufbau, denn in vielen neuen Gebäuden waren Aufzüge gefragt.
Mitten im Dritten Reich gründete Hans Riedl nicht nur ein Unternehmen, sondern auch eine Familie. Er hatte zwei Töchter. Eine davon heiratete einen Herrn Andrä, der 1955 ins Unternehmen einstieg. Die andere wurde von Fräulein Riedl zu Frau Lochmüller-Riedl und kam 1968 als junge Mutter in die Geschäftsleitung. Ihr Sohn Christoph leitet heute zusammen mit seinem Cousin Peter Andrä das Unternehmen in dritter Generation. „Unsere Mütter halten immer noch Anteile am Unternehmen“, sagt Peter Andrä. Aber beide hätten sich längst in den Ruhestand verabschiedet. Frau Andrä war auch nicht operativ tätig wie ihre Schwester, die sich als Prokuristin ins Unternehmen einbrachte, sondern konzentrierte sich auf die Care-Arbeit.
Die Cousins stiegen in den frühen 2000er Jahren in die Geschäftsführung ein. Als Doppelspitze haben sie die Geschäftsführung damals zur Anfangszeit sauber aufgeteilt: Christoph Lochmüller kümmerte sich um das Geschäftliche, Peter Andrä um das Technische. Auch das B2B-Geschäft ist das Metier von Andrä, und darin finden sich heute noch Spuren aus der Gründerzeit im Inkubator in der Schleißheimer Straße. „Wir sind den Türen treu geblieben“, sagt Christoph Lochmüller. Die Firma verkaufte damals Aufzugtüren an andere Unternehmen, die Aufzüge herstellen, und tut das immer noch. „Die Garagen gibt’s auch noch,“ erzählt Peter Andrä lachend. Aber aus den Garagen ist das Unternehmen Riedl längst herausgewachsen. Der Hauptsitz befindet sich heute in Feldkirchen im Landkreis München. Und das Unternehmen ist auf heute 17,8 Millionen Euro Umsatz und 120 Mitarbeiter gewachsen.
Die Quantentür
Eigener Bau und B2B-Geschäft machen zusammen über die Hälfte des Umsatzes aus. Die Wartung bestreitet rund 40 Prozent – ein wichtiger Faktor, denn heute werden Projekte gestoppt, weil die Baukosten nicht mehr zu bezahlen sind, Fachkräfte fehlen und steigende Zinsen ein Ende der billigen Finanzierung eingeläutet haben. Auf Riedl Aufzüge kommen schwierige Zeiten zu. „Da darf man eigentlich trotzdem nicht jammern. Nach zwölf Jahren Bauboom geht’s jetzt halt mal wieder runter“, sagt Lochmüller.
So wie Hans Riedl die Wirtschaftskrise von 1929 überstand, also mit der Wartung des Bestands, übersteht sein Unternehmen zwei Generationen später die aktuelle Krise. Riedl Aufzugsbau betreut mehrere Tausend Anlagen im Service – Aufzüge, die bereits montiert sind und bis zum Ende ihres Aufzugslebens regelmäßig gewartet werden müssen.
Vor dieser Krise gab es einen Hype auf dem Münchner Wohnungsmarkt, von dem Riedl profitiert hat. Und das, obwohl der Aufzugsmarkt gesättigt und unter wenigen großen Playern aufgeteilt ist. In so einem Umfeld behauptet sich als kleines Unternehmen nur, wer seine Nische gefunden – und wer Ideen hat: Die Firma Riedl meldet regelmäßig Patente an und baut Aufzüge nach Maß. Sie kommt mit ihren Aufzügen auch in die winzigen Schächte von Altbauten, die saniert werden sollen – wo große Unternehmen mit Standardgrößen nicht weiterkommen. In den Speckgürteln baut Riedl besondere Aufzüge für Prestigeprojekte.
Und was die Türen angeht, wurde aus dem Fachgebiet des Hans Riedl im Inkubator in der Schleißheimer Straße etwas, was die Firma heute noch als ihr bestes Pferd im Stall verkaufen kann: Riedl Quantum. Ein Quantensprung ist, entgegen der landläufigen Verwendung des Begriffs, kein besonders großer, sondern ein besonders kleiner Sprung. So auch die Quantentür, eine Aufzugtür, die besonders schmal ist.
Christoph Lochmüller und Peter Andrä sind inzwischen 56 und 57 Jahre alt. Jeder von ihnen hat drei Kinder, die zwischen 13 und 22 Jahre alt sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest einer oder eine von ihnen in das Unternehmen einsteigen wird, sei recht hoch, sagt Christoph Lochmüller. Zugleich sind die Kinder aus der Urenkelgeneration von Hans Riedl noch zu jung, um diese wichtige Entscheidung heute schon endgültig zu treffen. In weiser Voraussicht hielten die heutigen Geschäftsführer also Ausschau nach jemandem, der diesen Übergang auffängt und moderiert – denn was, wenn sie in zehn Jahren reif für den Ruhestand sind, aber in der nächsten Generation noch kein Nachfolger beziehungsweise keine Nachfolgerin gefunden ist?
Die Digitalisierung des Unternehmens war hierbei in doppelter Hinsicht ein Glücksfall für Andrä und Lochmüller. Die erste eigene, weitreichende Entscheidung, die die beiden Geschäftsführer in den 2000er Jahren trafen, war die Umstellung der Firmensoftware auf ein neues System. Die ältere Generation hielt sich zurück und überließ den Jüngeren die Entscheidung, wohl wissend, dass ihr selbst das nötige Fachwissen fehlte: „‚Das ist eure Entscheidung‘, haben unsere Eltern gesagt“, erzählen Lochmüller und Andrä heute, „‚aber wenn es schiefgeht, müsst ihr auch die Konsequenzen tragen.‘“ Die Umstellung auf ein neues Softwaresystem war ein riskanter Schritt. Doch Riedl konnte sich erfolgreich modernisieren und blieb von einem Systemausfall verschont.
Christoph Lochmüller und Peter Andrä hatten die richtige Entscheidung getroffen: Die Software läuft seit 20 Jahren stabil und wird regelmäßig aktualisiert. Im Zuge dessen lernten sie auch den IT-Mann Thomas Leitner kennen, der vor zwei Jahren der dritte Geschäftsführer von Riedl Aufzüge geworden ist. Leitner, der aus Österreich stammt, übernahm jüngst die Bereiche Modernisierung und Neuanlagen von Christoph Lochmüller.
So wird aus der Doppel- eine Dreifachspitze. „Diese Transformation ist eigentlich schon durch“, sagt Lochmüller. Die Mitarbeiter wüssten genau, an welchen der drei Geschäftsführer sie sich mit welchem Thema wenden könnten. Dass die Zuständigkeiten geklärt sind, ist ihnen sehr wichtig. Thomas Leitner ist jünger als seine Geschäftsführerkollegen und wird wohl auch noch die Geschäfte führen, wenn die nächste Generation bereit sein könnte, ins Familienunternehmen einzusteigen. Und Peter Andrä und Christoph Lochmüller haben endlich eine Vertretung – und können das erste Mal seit Jahrzehnten beide gleichzeitig in Urlaub fahren.
Hat an der Uni Bamberg Germanistik, Philosophie und Kommunikationswissenschaften studiert. Zuvor arbeitete sie als Redakteurin am Zukunftsinstitut von Matthias Horx. Bei dem Magazin brand eins in Hamburg entdeckte sie ihre Liebe zum Wirtschaftsjournalismus, der sie seit März 2023 beim wir-Magazin frönen darf.

