Dr. Isabell Stamm, Nachfolge in Deutschland hat sich in den vergangenen 30 Jahren verändert. In Ihrer Forschung sprechen Sie davon, dass das „Succession-Regime“ von einem „Exit-Regime“ abgelöst wird. Warum sprechen Sie von Regime? Ist die Übergabe eines Unternehmens nicht eine Entscheidung der Unternehmerfamilie?
Die Übergabe des Unternehmens ist ein Prozess, der nicht nur innerhalb der Familie ausgehandelt wird, sondern auch viele weitere Beteiligte einbezieht. Denken Sie etwa an bekannte Unternehmerfamilien die als – abschreckendes – Beispiel dienen, an Rechtsanwälte und Steuerberater, an Branchenverbände und Kammern oder an Banken und andere Geldgeber. Zudem ist die Übergabe eines Unternehmens eingebettet in bestimmte Vorstellungen, wer ein guter Unternehmer oder eine gute Unternehmerin ist und wie mit dem Unternehmen verfahren werden sollte. Das alles zusammen formt, was ich als Transferregime bezeichne: Akteure, Normen und Strukturen der Übergabe.
Sie unterscheiden idealtypisch zwischen dem Nachfolgeregime und dem Exit- oder Verkaufsregime. Was bedeutet das?
Im Nachfolgeregime besitzt die Familie das Unternehmen und versteht dieses als persönliches Objekt, das treuhänderisch von einer Generation gepflegt wird, bis es an die nächste Generation übergeben werden soll. Berater spielen in diesem Regime eine passive Rolle und helfen den Familien, ihre Vorstellungen umzusetzen. Auch Verbände und Kammern sehen diese Form der Übergabe als richtig an, da so Kontinuität hergestellt und Verantwortung für das Unternehmen gesichert werden kann. Im Verkaufsregime besitzen Unternehmer – nicht mehr ganze Familien – das Unternehmen und verstehen dieses als ein Lebensprojekt, das an eine möglichst fähige Person übergeben werden soll. Berater, Kammern und Verbände spielen in diesem Regime eine aktive Rolle, denn sie treten als Matchmaker auf. In diesem Regime finden sich Infrastrukturen, zum Beispiel Nachfolgebörsen, die es Übergebern erleichtern, fähige Übernehmer zu finden. Dabei wird das Unternehmen temporär zu einer Ware, die auf einem Markt verkauft wird.
Was sind die Gründe für diesen Wandel?
Ein wichtiges Ergebnis unserer Forschung ist es, dass sich der Wandel von der Nachfolge zum Verkauf langsam und in mehreren Schritten entfaltet. Auch würde ich nicht behaupten, dass heute alle Familienunternehmen verkaufen – es geht darum, eine Tendenz zu beschreiben. Ein erster wichtiger Schritt lag sicherlich darin, dass seit Anfang der 1990er Jahre zunehmend Kritik von Beratern und Verbänden an der familieninternen Nachfolge formuliert wurde. Kritisiert wurde zunächst die Übergebergeneration, die viel zu spät abtrete. Hierzu gab es sogar eine bundesweite Plakatkampagne. Später rückte dann eher die Übernehmergeneration in den Fokus, die als inkompetent oder unwillig dargestellt wurde. Ein wichtiger Meilenstein war auch die Erstellung von Prognosen zum Übergabegeschehen durch das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn, die nicht nur verdeutlichten, wie viele Unternehmen von Nachfolge betroffen seien, sondern auch, wie viele Arbeitsplätze damit „bedroht“ seien. Diese Problematisierung der Nachfolge hat das Thema auf die Agenda der Wirtschaftspolitik gesetzt und einen Markt für Nachfolgeberatung befeuert. Zu nennen ist auch das Wachstum des Mergers-and-Acquisitions- sowie des Private-Equity-Marktes in Deutschland. Seit den 2010er Jahren wächst auch die Anzahl an Plattformen – heute mehr als 30! –, auf denen Unternehmen zum Verkauf angeboten werden. Diese Berater und Plattformen prägen ein neues Narrativ. Hier wird die familieninterne Nachfolge noch als Wunschvorstellung gewürdigt, die aber unrealistisch geworden sei. Deshalb müsse man andere Optionen wie den Verkauf erwägen. Teil dieser Erzählung ist es auch, zu betonen, dass die Übergeber mit dem Verkauf viel Geld erhalten könnten und dass die Übernehmer selbst Gründer seien, die danach strebten, das Unternehmen zum Erfolg zu führen.
Jetzt sind das alles Narrative, also kulturelle Erzählungen. Was ist mit dem tatsächlichen demographischen Wandel?
Mit Sicherheit spielt der demographische Wandel eine wichtige Rolle. Wir haben immer mehr Unternehmer, die sich auf das Rentenalter zubewegen. So stellt sich für immer mehr Unternehmerfamilien die Nachfolgefrage. Es stimmt auch, dass es im Zuge einer Individualisierung in unserer Gesellschaft weniger attraktiv geworden ist, den gleichen Beruf wie den der Eltern zu ergreifen. Die Nachfolger haben das Gefühl: Ich habe doch den Auftrag, individuell zu sein – also kann ich doch keine Kopie meiner Eltern werden? Wer dasselbe macht wie seine Eltern, steht unter Rechtfertigungsdruck. Auch können sich viele potentielle familieninterne Nachfolger nicht vorstellen, in gleichem Maße wie ihre Eltern der Erwerbsarbeit nachzugehen. Sicherlich spielen diese Faktoren eine wichtige Rolle. Sie erklären aber nicht, warum dann Verkauf an Externe als neue Norm entsteht. Alternativen wären durchaus denkbar, wie die Schließung des Unternehmens, die Übergabe an Mitarbeiter oder die Überführung in eine Unternehmensstiftung. In meiner Forschung geht es mir darum, zu verstehen, warum Verkauf nun als nächstbeste Lösung verstanden wird.
Können wir wirklich einen Anstieg an Verkäufen beobachten?
In einer aktuellen Studie, die ich gemeinsam mit dem IfM in Bonn durchgeführt habe, können wir einen deutlichen Anstieg nachweisen. Diese Studie basiert auf Einkommensteuerdaten, in denen der Veräußerungsgewinn erfasst ist. Wir können zeigen, dass die Anzahl der verkauften Unternehmen von 2001 bis 2018 um etwa 80 Prozent zugenommen hat. Im Jahr 2018 haben etwa 150.000 Personen ihre Unternehmen oder zumindest Anteile daran verkauft, davon sind rund 30 Prozent Frauen. Durchschnittlich wird mit diesen Verkäufen ein Gewinn von etwa 83.000 Euro erwirtschaftet – eine Zahl, die angesichts der üblichen Vorstellung, durch den Verkauf von Unternehmen reich werden zu können, eher niedrig erscheint. Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass die unteren 25 Prozent sogar mit Verlusten verkaufen, die nächsten 50 Prozent mit nur geringen Gewinnen, die durchschnittlich unter 37.000 Euro liegen. Erst die oberen 25 Prozent erzielen im Durchschnitt sechsstellige Veräußerungsgewinne, bei den oberen 5 Prozent sind es durchschnittlich etwa 230.000 Euro. Frauen realisieren deutlich geringere Veräußerungsgewinne. Bei den oberen 5 Prozent besteht ein Gender-Gap von über 100.000 Euro.
Welche Rolle spielt die Person des Gründers im neuen Verständnis der Übergabe von Familienunternehmen?
Gründerpersönlichkeiten sind ein Ideal, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen stellen glorifizierte Vorstellungen der Gründerpersönlichkeit in Unternehmerfamilien oft eine wichtige Bezugsgröße in der eigenen Identität dar. Zum anderen erfahren Gründerpersönlichkeiten im Zuge des Silicon-Valley-Kapitalismus und der wachsenden Start-up-Szene in Deutschland eine enorme Aufwertung. Denken Sie an Figuren wie Mark Zuckerberg oder Steve Jobs und in Deutschland Dietmar Hopp oder die Samwer-Brüder. Auch hier wird die Gründerpersönlichkeit glorifiziert, als visionär, wachstumsorientiert und hart arbeitend dargestellt. Wenn nun Familienunternehmer ihr Lebenswerk verkaufen, dann hoffen sie, eine Gründerpersönlichkeit zu finden, also eine Person, die entweder dem Familiennarrativ oder dem kulturellen Ideal eines Gründers entspricht. Diese Rhetorik findet sich beispielsweise auf zahlreichen Plattformen zum Unternehmensverkauf.
Führt dieses neue Ideal dazu, dass die Option des Management-Buy-outs (MBO) so selten gewählt wird?
Die Option des Management-Buy-outs wird Familienunternehmern oft von der Politik oder von Beratern ans Herz gelegt. Häufig sind die Unternehmen aber schlicht zu klein, so dass es keine zweite Führungsebene unter den Eigentümern gibt. Wenn es diese Ebene gibt und die Eigentümer sich trotzdem gegen einen MBO entscheiden, kann es daran liegen, dass die vorhandenen Manager nicht ihren Vorstellungen einer Gründerpersönlichkeit entsprechen.
Wie hat sich die Rolle von Beratern in der Nachfolge von Familienunternehmen in Deutschland verändert?
Im Nachfolgeregime hatten Berater eine zwar wichtige, aber weitgehend passive Funktion. Ihre Aufgabe war es wirklich nur, zu beraten, wenn wichtige Entscheidungen anstanden. Aber im Verkaufsregime führen Berater diese Entscheidungssituationen auch aktiv herbei. Sie sind zu Matchmakern geworden zwischen Familienunternehmern und Käufern. So hat sich ein ganz neuer Markt herausgebildet, eine neue Struktur.
Wagen Sie eine Prognose: Welche Rolle werden Familien für die Kontinuität von Unternehmen in Zukunft spielen?
Zunächst sollte man festhalten, dass gut die Hälfte aller Unternehmen nicht älter als fünf Jahre alt wird. Von jenen, die länger überleben, schafft es dann auch nur ein kleiner Teil überhaupt in die zweite Generation. Insofern trifft die Annahme, dass die Familie in Unternehmen Kontinuität herstellt, nur bedingt zu. Wichtig ist es aber anzuerkennen, dass für jene Unternehmen, die eine Übergabe durchleben, die Familie wichtige Funktionen übernimmt. Sie stellt den Kreis potentieller Nachfolger, schafft Bindung an das Unternehmen und sozialisiert Nachfolger. Wenn also nun zunehmend extern verkauft wird, stellt sich die Frage, wie diese Funktionen zukünftig ersetzt werden. Dass sich der Kreis potentieller Nachfolger erweitert und ein koordiniertes Matching erfolgt, ist grundsätzlich erst einmal nicht schlecht. Durch den Fokus auf vermeintliche Gründerpersönlichkeiten soll Vertrauen in die Kompetenz und Sozialisation der Nachfolger sichergestellt werden. Welche Folgen der zunehmende Verkauf an Externe mit Blick auf die Kontinuität und auch die Konzentration von Eigentum an Unternehmen haben wird, ist Aufgabe für die zukünftige Forschung.
Hat an der Uni Bamberg Germanistik, Philosophie und Kommunikationswissenschaften studiert. Zuvor arbeitete sie als Redakteurin am Zukunftsinstitut von Matthias Horx. Bei dem Magazin brand eins in Hamburg entdeckte sie ihre Liebe zum Wirtschaftsjournalismus, der sie seit März 2023 beim wir-Magazin frönen darf.

