Hybride oder auch rein digitale Treffen im Unternehmen sind aus der heutigen Arbeitswelt kaum noch wegzudenken. Was zu Beginn der Pandemie in Deutschland essentiell für den Austausch unter Kollegen war, stellte für Aufsichtsräte ein echtes Problem dar. Die rechtliche Lage für Beschlüsse oder auch die Durchführung der Hauptversammlung war unklar. Erst mit dem Covid-19-Pandemiegesetz gibt es Möglichkeiten, die Arbeit des Aufsichtsrats digital und virtuell zu gestalten.
Wenn Carsten Albrecht, seit Dezember 2017 Aufsichtsratsvorsitzender der Berner Group, die sich auf den Direktvertrieb von Verbrauchsmaterialien, Werkzeugen und Werkstattausstattung spezialisiert hat, auf die Anfangszeit der Pandemie zurückblickt, bleibt für ihn vor allem eins in Erinnerung: Die grundsätzliche Arbeit und Rolle des Aufsichtsrats haben sich durch die Pandemie nicht geändert, wohl aber die Kommunikation mit dem Vorstand. Und damit meint das ehemalige Vorstandsmitglied der Hella KG GmbH & Co KGaA nicht nur die digitale Komponente der Treffen. „Zu Beginn der Pandemie haben wir uns zwei Mal pro Woche mit dem Vorstand kurzgeschlossen. Es hat sich dann mit der Zeit in einen Zwei- bis Vier-Wochen-Rhythmus eingependelt“, sagt Albrecht. Das ist noch heute so, zwei Jahre nach Beginn der Pandemie.

Carsten Albrecht, Aufsichtsratsvorsitzender, Berner Group / Foto: Berner Group
Heute trifft sich der Vorstand um Christian Berner, Familienunternehmer in zweiter Generation, mit dem Aufsichtsrat wieder persönlich. Für Carsten Albrecht sind die Treffen vor Ort trotz aller virtuellen Möglichkeiten nicht wegzudenken. Körpersprache, Gestik, Mimik des Gegenübers mitzubekommen sind für ihn wichtiger als die mögliche Zeitersparnis digitaler Treffen. Zumal sich der Aufsichtsrat bei Berner durch eine informelle Atmosphäre auszeichnen möchte. „Seitdem ich bei Berner bin, waren Aufsichtsratstreffen schon immer sehr informell, bei denen es natürlich um die Ausrichtung der Unternehmensgruppe ging, die aber nicht nur an Agendapunkten und Zahlen abgehandelt wurde.“
Carsten Albrecht sieht das Gremium bei Berner und dessen Ansatz eher als eine Art Unternehmensbeirat – auch wenn aus rechtlicher Sicht ein Aufsichtsrat mit mehr Entscheidungskraft ausgestattet ist als ein Beirat. Die frühere Praxis, als in Aufsichtsratssitzungen Präsentationen und lediglich KPIs und Controlling an der Tagesordnung standen, ist für Albrecht aus der Zeit gefallen. „Es geht um Kommunikation und Austausch untereinander. Typisches Sparring. Und am Ende steht das Ziel, das Unternehmen nach vorne zu bringen“, findet Albrecht. Bei Berner treffen sich die drei Mitglieder des Gremiums auch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern außerhalb des Vorstands. Man müsse weg von Frontal-Präsentationen und der elitären Wolke, die der Aufsichtsrat noch in vielen Unternehmen darstelle, und hin zu einem übergreifenden Dialog. Dazu reiche das traditionelle Quartalstreffen nicht aus. Für Carsten Albrecht heißt das auch, zeitliche Flexibilität zu ermöglichen und nicht nur vier Mal im Jahr Zahlen abzunicken.
Feinkost Käfer in der Pandemie
Vor allem die Pandemie hat die Häufigkeit der Meetings deutlich gesteigert, bestätigt auch Clarissa Käfer. Sie ist Aufsichtsratsvorsitzende der Käfer AG, der Holding der Käfer Gruppe, die vor allem durch ihre Feinkostsparte bekannt ist. Neben ihrem Mandat im Unternehmen, das ihr Mann seit 1988 führt, ist Clarissa Käfer in den Aufsichtsräten des Kaufhausunternehmens Ludwig Beck und der Münchner Bank tätig. In Zeiten von Corona seien Sitzungen der Räte wöchentlich gewesen, blickt sie zurück. Die Mitglieder der Gremien hätten viel tiefere Einblicke in die Abläufe und die Strukturen des Unternehmens erhalten und sich dadurch deutlich intensiver mit dem Geschäft auseinandergesetzt.

Clarissa Käfer, Aufsichtsratsvorsitzende, Käfer AG / Foto: Käfer Gruppe
Zudem seien wegen der Pandemie alle Kostenpositionen noch einmal hinterfragt, optimiert und der Fokus auf das Liquiditätsmanagement gelenkt worden, wovon viele Unternehmen noch immer zehrten. „Die Bedeutung des Aufsichtsrats als Kontroll- und Beratungsorgan wurde wesentlich gestärkt“, resümiert Käfer. Mit Blick auf den Ukraine-Konflikt und die wirtschaftlichen Folgen sieht die Aufsichtsrätin einen entscheidenden Vorteil darin, dass sich die Zusammenarbeit von Vorstand und Aufsichtsrat sowie dessen Besetzung bereits eingependelt hat.
Aber genau dieses richtige Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zu finden ist vor allem in Zeiten von Krisen entscheidend, sagt Andreas Schmid. Er ist Miteigentümer der Helvetica Capital AG, Präsident des Verwaltungsrats der Flughafen Zürich AG und seit 2021 Vorsitzender im Aufsichtsrat der Villeroy & Boch AG. Der Schweizer attestiert vielen Unternehmen in Krisenzeiten Schwierigkeiten, sich auf eine langfristige Strategie festzulegen. Da sei dann der Aufsichtsrat gefragt, um Hilfestellung zu leisten. „Der Aufsichtsrat ist nicht dazu da, Entscheidungen selbst zu treffen. Was aber enorm wichtig ist: Der Vorstand wird umso erfolgreicher arbeiten, je stärker der Aufsichtsrat hinter den getroffenen Entscheidungen steht.“
Um die Entscheidungen des Vorstands mittragen zu können, müsse der Aufsichtsrat seiner Kernaufgabe nachgehen, die bei allem Sparring nicht vergessen werden darf: das Prüfen. Da gelte es für alle Beteiligten, trotz Krise mit einer kritischen Distanz und ohne Nervosität an Zahlen ranzugehen. Denn Nervosität und Hektik seien in schwierigen Zeiten nun wirklich keine guten Ratgeber, sagt Schmid. Die Zahlen, die als KPIs für die Einschätzung der wirtschaftlichen und pandemischen Lage genutzt worden seien, hätten sich nicht von denen in Nichtkrisenzeiten unterschieden, versichert Schmid. Wohl aber, wie man auf die Zahlen geblickt habe. „Natürlich ist Cash in Krisenzeiten vor allem bei Familienunternehmen das A und O, aber für die Interpretation der Lage halte ich es nicht für sinnvoll, ‚vergangenheitserklärend‘ mit Zahlen umzugehen.“ Konkret heißt das für ihn, eine rollierende Cash-Planung an den Tag zu legen und diese nicht nur für ein paar Monate, sondern auf ein Jahr zu halten.
Wie sieht der Aufsichtsrat der Zukunft aus?
Vor der Corona-Pandemie erwirtschaftete die Käfer AG mit ihren 17 nationalen und internationalen Gesellschaften circa 150 Millionen Euro im Jahr. Durch die Schutzmaßnahmen der Bundes- und Landesregierungen wurde die Käfer-Gruppe, die in den Sparten Gastronomie, Catering, Lizenzen und Einzelhandel tätig ist, hart getroffen. Demnach sank der Umsatz im Geschäftsjahr 2020 auf knapp 71 Millionen Euro. Solche Zeiten lassen den Austausch zwischen den Gewerken eines Unternehmens natürlich intensiver werden, sagt Clarissa Käfer, die in ihrer Rolle als Aufsichtsratsvorsitzende auch ihren Mann Michael kontrollieren muss. Sie ist davon überzeugt, dass sich durch eben diese Krisenerfahrung, die Unternehmen und deren Aufsichtsräte gesammelt haben, in Zukunft die Besetzung der Posten in Aufsichtsräten verändern werde. Kompetenzprofile würden durchdachter ausgesucht: „Die Zeiten sind vorbei, in denen der Aufsichtsrat – auch in Familienunternehmen – mit Vertrauten, wie zum Beispiel dem langjährigen Schulfreund oder dem sympathischen Golffreund, besetzt ist.“ Ein Großteil der Unternehmer wünsche sich wertvollen Input und nicht ein Absitzen und Abnicken der Zeit mit rascher Einigkeit.

Andreas Schmid, Aufsichtsratsvorsitzender, Villeroy & Boch AG / Foto: Villeroy & Boch AG
Carsten Albrecht sieht neben den operativen Hilfestellungen und der Möglichkeit des Sparrings einen weiteren Vorteil des Aufsichtsrats und lässt sich hierbei einen Seitenhieb gegen Berater nicht nehmen. „Ich kann durch die Besetzung der Posten im Aufsichtsrat Impulsgeber aus verschiedenen Bereichen an mein Unternehmen binden.“ Ein Beratungsunternehmen eigne sich zwar gut dafür, einzelne Projekte im Tagesgeschäft umzusetzen. Ideen und Impulse für einen langfristigen Erfolg des gesamten Unternehmens bekomme man durch Berater aber nur selten.
Wie schnell kann ein Unternehmen vom Aufsetzen eines Aufsichtsrats profitieren? Albrecht ist sich sicher: „Nach einem Jahr wird sich das lohnen, das weiß ich aus meiner Erfahrung bei anderen Unternehmen.“ Vorausgesetzt, eine Abhängigkeit zwischen den involvierten Personen bestehe nicht und das alte, rein zahlengetriebene Denken werde über Bord geworfen. Andreas Schmid ergänzt, dass man bei der Besetzung des Rats achtsam sein müsse. Er spricht sich für Diversität im Aufsichtsrat aus, warnt aber davor, lediglich professionelle Multiaufsichtsräte in das Gremium zu holen. „Da besteht die Gefahr, dass man sich einen Super-CEO oder Super-CFO ins Haus holt, der sich als Schulmeister gibt und zu sehr ins Operative des Vorstands hineingeht und im Tagesgeschäft mitmischt.“ Das habe auch er selbst erstmal lernen müssen. Als Schweizer, der viel in Verwaltungsräten tätig ist, habe es ihn ein wenig Zeit gekostet, das Verständnis eines deutschen Aufsichtsrats zu verstehen, sagt Andreas Schmid mit Blick auf weniger operative Mitspracherechte.
In Zukunft soll sich das Gremium auf auf eine gewisse Weise verantwortlich zeigen, ist sich Clarissa Käfer sicher. „Um zielgerichteter zu arbeiten, führen wir regelmäßig eine Selbstevaluierung durch.“ Die Evaluation sowie Sitzungen, in denen der Vorstand nicht anwesend ist und sich nur Aufsichtsräte treffen, sind für Käfer Erfolgsfaktoren für ein Gremium im Spannungsfeld zwischen der Beratungsfunktion für den Vorstand und der Pflicht, dessen Handeln für die Aktionäre effektiv zu überwachen.
Bei aller Veränderung und Auflockerung des Verständnisses des Aufsichtsrats – eines muss und wird sich der Aufsichtsratsposten aus Sicht von Andreas Schmid erhalten müssen: „In einem tollen Unternehmen im Aufsichtsrat zu sitzen ist ein Ritterschlag, aber auch eine große Verantwortung.“