Verschiedener könnten die Settings kaum sein. An seinem Arbeitsplatz ist Michael Marhofer (51) umgeben vom lauten, urbanen Leben der Essener Südstadt. Im Radius von einem Kilometer befinden sich der Hauptbahnhof der Ruhrmetropole und die A40, ebenso große Standorte von Siemens, Evonik und RWE. Aus dem Fenster sieht Marhofer den preisgekrönten Neubau des Essener Folkwang-Museums von Stararchitekt David Chipperfield. Im Vergleich dazu liegt der Arbeitsplatz von Martin Buck (52) auf der grünen Wiese: am Rand der baden-württembergischen Kleinstadt Tettnang am Bodensee, umgeben von Landwirtschaft und Einfamilienhäusern. Sieben Autostunden liegen zwischen den beiden Unternehmern, allzu oft besuchen sie sich nicht. Doch Marhofer und Buck arbeiten zusammen, sie bilden sogar eine klassische Doppelspitze: Beide sind Co-Vorstandsvorsitzende der ifm-Unternehmensgruppe, eines Herstellers von Automatisierungstechnik für Industrieunternehmen mit mehr als 8.100 Mitarbeitern und über einer Milliarde Euro Umsatz.
Jedem sein Biotop
Dass die beiden mal gemeinsam an der Spitze des Unternehmens stehen würden, war lange nicht abzusehen. Ihre Väter, Gerd Marhofer (84) und Robert Buck (2016 mit 81 Jahren verstorben), hatten sich in Straßburg auf Montage kennengelernt und 1969 gemeinsam die „Ingenieurgemeinschaft für Messtechnik“, kurz ifm, gegründet. Seitdem waren die beiden mehr als 30 Jahre gleichberechtigt als Geschäftsführer tätig und paritätisch am Unternehmen beteiligt.
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Wie finden zwei Unternehmerfamilien zu ihren Rollen? Im wir-Podcast sprechen Chefin vom Dienst Sarah Bautz und Redakteur Johannes Sill über das Unternehmen ifm und die Familien Marhofer und Buck.>>> wir-Podcast #9: Rollenverteilung und Familienarbeit bei der ifm-Gruppe <<<
Dabei behielten beide Gründer ihren jeweiligen Wohnsitz in unterschiedlichen Teilen Deutschlands bei. Analog zu ihrer fachlichen Aufgabenteilung – Gerd Marhofer war für Verwaltung, Vertrieb und Marketing zuständig, Robert Buck der Cheftechniker – entwickelten sich mit dem Wachstum der Firma die jeweiligen Fachabteilungen im Ruhrgebiet und in Schwaben. Jeder Standort habe sein eigenes Ökosystem, so sagen es die Gründersöhne.

„Die Familie sollte nicht mehr als 50 Prozent des Vorstands stellen,“ sagt Martin Buck. / Foto: ifm
Mit Blick auf das Geschäft schien die räumliche Aufteilung für die Unternehmer bereits damals passend. Dass die Entwicklungsarbeit in Schwaben passierte, „im Land der Tüftler“, wie es Robert Bucks Sohn Martin beschreibt, macht Sinn, kulturell wie personell. Für alles, was mit Kundenkontakt und Netzwerk zu tun hat, ist Essen im Herzen des Ruhrgebiets als eigentlicher Gründungsort der Firma ideal, zumal die damals florierenden großen Stahlwerke zu den ersten Kunden von ifm gehörten. Mit Blick auf die Unternehmerfamilien ist diese Konstellation herausfordernd. Schon in der ersten Generation hatten es Buck und Marhofer mit zwei unabhängig voneinander funktionierenden Familien zu tun, jede mit ihren eigenen Strukturen und Dynamiken, kulturell und geografisch weit weg voneinander. Aber beide mit potentiellem Anspruch auf die operative Führung. Im Fall von ifm kommt hinzu, dass es zwischen den beiden Familien keine Verwandtschaft gibt, die verbindend wirken könnte. Tatsächlich haben sich die beiden heutigen CEOs als Kinder nie getroffen. Sie lernten sich erst 1991 kennen – da waren beide über 20 und am Anfang ihres Berufslebens. Für ein Format wie Familientage, bei dem auch zukünftige Gesellschafter Kontakt halten, sich als Gruppe erleben und auf die Ziele des Familienunternehmens eingeschworen werden können, sahen die Gründer offenbar keine Notwendigkeit.
Stattdessen stand jeder der beiden Gründer für sich vor der Herausforderung, operativ wie anteilsseitig für die eigene Nachfolge zu sorgen. Bei Familie Marhofer sah das zunächst nicht gut aus. Gerd Marhofers Sohn Michael ist Einzelkind. 1990, also genau zu dem Zeitpunkt, als die Väter begannen, sich mit der Nachfolgethematik zu beschäftigen, machte sich Michael Marhofer parallel zum BWL-Studium selbständig, mit einer eigenen Firma für die Beschriftung von Lkw und Transportern. „Ich war immer der festen Überzeugung, dass ich nicht ins Familienunternehmen will“, sagt er. Gerd Marhofer stellte sich auf die Ansage des Sohnes ein. „Mein Vater hat in den neunziger Jahren unter sich eine Struktur aus Führungskräften etabliert, die bereits viele seiner Aufgaben übernehmen konnten, unabhängig von einer innerfamiliären Nachfolge“, sagt Marhofer. „Er hatte sich damit abgefunden.“
Nachfolge mit Hinterhalt
Dass es doch anders kam, ist dem damaligen ifm-Finanzvorstand zu verdanken, einem Familienexternen, der die Firma über viele Jahre gemeinsam mit den Gründern führte. Mitte der neunziger Jahre beauftragte er die junge Firma von Marhofer junior mit einem kleinen Projekt. Die Zusammenarbeit lief gut, und bevor das erste Projekt abgeschlossen war, folgte schon das nächste. Die Bande festigten sich, parallel zu seinem eigenen Geschäft begann Marhofer, auch als Angestellter für ifm zu arbeiten.

„In den vergangenen zwanzig Jahren gab es nur eine Entscheidung, die wir nicht einstimmig getroffen haben“, sagt Michael Marhofer. / Foto: ifm
Die Situation für Start-ups sei damals viel unentspannter gewesen als heute: weniger Vernetzung, weniger Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung, sagt Michael Marhofer. „Der Filialleiter unserer Bank hatte mich damals ziemlich unter Kontrolle.“ Im Gegensatz dazu gab es im Familienunternehmen viel Gestaltungsspielraum und die Möglichkeit, international zu arbeiten – zwei Optionen, die ihn zunehmend reizten. „Das war ein ganz hinterhältiger Trick von unserem CFO“, sagt er lachend. Bis heute weiß er nicht sicher, ob sein Vater den Vorstandskollegen auf ihn angesetzt hatte. Ob er den ersten Auftrag auch angenommen hätte, wenn sein Vater ihn gefragt hätte? „Nein, sicher nicht.“ Als Michael Marhofer sich Ende 1997 für den Verkauf seiner Firma und den Einstieg ins Familienunternehmen entschied, machte er auch klar, dass er das Arbeiten unter seinem Vater als Chef als Test- bzw. Übergangsphase versteht: „Ich schaue mir die Firma fünf Jahre lang von innen an. Dann gehst Du raus und ich komme, oder Du bleibst und ich gehe wieder“, habe er damals seinem Vater gesagt.
Bei Familie Buck waren die Aussichten auf die innerfamiliäre Nachfolge etwas günstiger. Martin Buck studierte Elektrotechnik aus Interesse am Thema und um sich alle Optionen offenzuhalten. Er signalisierte dem Vater aber auch früh, dass er sich den Einstieg ins Familienunternehmen zwar vorstellen könne, allerdings nicht direkt nach dem Studium. Daher ging er zunächst in die Entwicklung der Halbleitersparte von Siemens (heute Infineon) und anschließend zu AMD in den Vertrieb. Nach fünf Jahren im Konzern schien der richtige Zeitpunkt für eine Entscheidung gekommen. „Wenn ich es jetzt nicht mache, werde ich nie wissen, wie es gewesen wäre. Und außerdem kann ich ja jederzeit wieder gehen – dachte ich zumindest“, so Martin Buck über seine Situation im Jahr 2001, also etwa zum selben Zeitpunkt, zu dem sich auch Michael Marhofers Fünfjahresfrist dem Ende näherte.
Die Väter ergriffen die Gelegenheit und einigten sich auf einen klaren Schnitt: Zu Beginn des Jahres 2001 zogen sich beide aus der Geschäftsführung zurück. Die Söhne stiegen zeitgleich auf Geschäftsführungsebene ein, wobei der externe CFO noch für weitere fünf Jahre den Generationenübergang begleitete. „Ich kann mich noch gut an den Notartermin erinnern“, sagt Buck. „Die Senioren sind raus aus dem Büro, wir sind rein – und genau so war es dann auch im Unternehmen.“
Beide Gründer seien vom Typ her eher „Unruheständler“, so beschreibt es Martin Buck. „Aber es war auch beiden klar: Man kann nicht halb im Unternehmen sein. Wer raus ist, kann auch keine Entscheidungen mehr treffen.“ Die Prämisse der klaren Trennung von Zuständigkeiten, mit der die Gründer das Unternehmen ifm mehr als 30 Jahre geführt hatten, praktizieren sie nun offenbar auch gegenüber ihren Nachfolgern. Die Einflussnahme über die Gesellschafterrolle war zum Zeitpunkt der Übergabe ebenfalls keine Option mehr. Die Übertragung der Anteile auf die folgende Generation hatte in beiden Familien bereits Anfang der neunziger Jahre in einer koordinierten Aktion stattgefunden. Michael Marhofer bekam die 50 Prozent seines Vaters. Die andere Hälfte verteilte sich auf Martin Buck und seine drei Geschwister. Eine Schwester ließ sich später ausbezahlen.
Nicht zu viele Regeln in der ifm-Governance
Viele Grundsätze der Väter setzen Martin Buck und Michael Marhofer heute fort, allen voran die strikte Aufgabenteilung auf Vorstandsebene. Dort hatten die Väter den CFO als „dritten Mann“ mit an Bord. Die Söhne haben den Vorstand vergrößert, heute sind sie dort zu fünft. „Die Familie sollte nicht mehr als 50 Prozent des Vorstands stellen“, sagt Martin Buck, allerdings ist das ein ungeschriebenes Gesetz. Insgesamt halten sie die Governance möglichst schlank. Das entscheidende Gremium ist die Gesellschafterversammlung. Für weitere Elemente wie einen Beirat sehen beide keinen Bedarf, externe Expertise holen sie sich über Beratungsmandate ein. „Es ist ja unser Vermögen“, sagt Marhofer. „Wenn wir es vor die Wand setzen, dann auch in alleiniger Verantwortung.“
Beiden Gründersöhnen ist klar, dass der Weg hin zu ihrer heutigen Führungskonstellation auch zu einem guten Teil Glück war. Zugleich teilen sie die Idee ihrer Väter, Gesellschafterkreis und Nachfolge nicht zu überorganisieren. Für den ersten Generationenwechsel gab es keine vereinbarte Strategie. Dass bei Familie Buck nur eins der vier Kinder die Nachfolgte anstrebte, war Zufall; eine Eine-Person-pro-Stamm-Regel gab es nicht. „Die wird es auch in Zukunft nicht geben“, sagt Buck. Er hält es für sinnvoll, dass Familienmitglieder gleich auf Geschäftsführungsebene einsteigen, fest vorgeschrieben werden soll es aber nicht. Beide Unternehmer sehen keinen Bedarf für eine Familienverfassung oder -charta. „Was wichtig ist, muss sowieso in den Gesellschafterverträgen stehen“, sagt Marhofer. Die Anforderungen an Nachfolger zu stark festlegen will er nicht. „Natürlich muss ein Familienmitglied mit Externen mithalten können. Aber was da zum Teil gefordert wird – Vorzeigeabschluss, Berufs- und Auslanderfahrung, und das alles vor 30 –, da müssten Sie schon Superman sein.“
Konstruktiv und sachlich
Dafür, dass sich zwischen den Familien eine Stammesdynamik ergeben könnte, die bei Entscheidungen lähmt, sieht Michael Marhofer keine Gefahr. „Es ist eher so, dass Martin und ich in engem Kontakt sind und dann die Mitgesellschafter ins Boot holen.“ Wichtig für Entscheidungsprozesse sei vor allem die Bereitschaft, wirklich konstruktiv und im Sinne der Sache – also des Unternehmens – zu denken, Einigkeit zu erreichen und dann an einem Strang zu ziehen. So haben es ihre Väter in entscheidenden Situationen getan, etwa beim Zeitpunkt der Nachfolge oder bei der Anteilsübertragung, und so praktizieren es auch die Söhne. „In den vergangenen zwanzig Jahren gab es nur eine Entscheidung, die wir nicht einstimmig getroffen haben“, sagt Marhofer.
Allerdings ist ihnen auch bewusst, dass die Fokussierung auf ein gemeinsames Ziel mit der dritten Generation nicht einfacher wird. Oder, wie Michael Marhofer es ausdrückt: „Es gibt mehrere Kinder, die Lage wird unübersichtlicher.“ Das mag auch der Hintergrund für eine der zurückliegenden – einstimmigen – Entscheidungen der beiden sein: 2013 haben sie eine Stiftung gegründet, die innerhalb der heutigen ifm Stiftung & Co. KG als haftender Gesellschafter und als Dachholding für die inzwischen 80 Gesellschaften der Gruppe fungiert. Warum ausgerechnet eine Stiftung? Martin Buck argumentiert zunächst aus der Logik der Holding heraus und verweist auf die Vorteile gegenüber anderen Rechtsformen wie der SE. Dann ergänzt er pragmatisch: „Dann hat man sie schon mal, falls man mal Anteile einbringen möchte.“ Darauf, ob das der Plan für die Zukunft sei, wollen sich die beiden nicht festlegen lassen. „Wir arbeiten an einer Lösung, die für viele Generationen tragen wird“, sagt Marhofer. Der konkrete Plan soll 2023 stehen. „Dann haben wir noch rund neun Jahre bis zur Rente.“ So wie ihre Väter 1991, als die Söhne sich erstmals kennenlernten.