Mathias Kammüller, Geschäftsführer der TRUMPF GmbH + Co. KG und Vorsitzender des Geschäftsbereichs Werkzeugmaschinen, über die Digitalisierungsstrategie des Familienunternehmens und darüber, warum sich die Schwaben im Wettbewerb vorn wähnen.

Dr. Mathias Kammüller, wenn von Digitalisierung in der Produktion die Rede ist, fällt oft auch der Name Trumpf. Wie muss man sich das bei einem Maschinenbauer vorstellen?

Wir gehen die Digitalisierung in der Produktion auf drei Wegen an. Erstens bieten wir unseren Maschinenkunden Lösungen für die Einführung von Industrie-4.0-Prozessen und -Produkten in ihren Betrieben – diese Lösungswelt nennen wir TruConnect. Dabei geht es beispielsweise um den Einstieg in die vernetzte Fertigung, den wir mit verschiedenen Beratungsangeboten begleiten. Wir verbinden, wenn Sie so wollen, Menschen, Maschinen und Informationen. Mit unserer digitalen Geschäftsplattform Axoom bieten wir zweitens auch allen anderen Unternehmen Lösungen für die horizontale und vertikale Vernetzung ihrer Prozesse und Produktionsmittel. Und dann geht es drittens natürlich auch um die digitale Transformation im eigenen Unternehmen. Diese setzen wir zurzeit in sechs Leuchtturmprojekten um.

Können Sie eines dieser Leuchtturmprojekte näher beschreiben?

Eines dieser Leuchtturmprojekte ist die Stanzwerkzeugfertigung am Standort Gerlingen. Dort haben wir vor acht Jahren angefangen, die Produktion komplett digital zu vernetzen. Inzwischen haben wir dieses Ziel erreicht. Der Kunde meldet sich auf unserer Homepage im Kundenportal an, konfiguriert sein Werkzeug online, schickt die Bestellung ab und startet damit selbst die erste Maschine im Herstellungsprozess. Hat ein Auftrag von der Bestellung bis zur Auslieferung dort früher vier Tage gedauert, ist dies heute in vier Stunden möglich – bei deutlich höherer Liefertreue. Die Produktivität in der Stanzwerkzeugfertigung haben wir durch die digitale Vernetzung verdoppeln können.

Lässt sich das auf das Gesamtunternehmen skalieren?

Mit derartigen Anwendungsfällen können wir es schaffen, die Produktivität in den nächsten Jahren um 30 Prozent und mehr zu steigern und die Durchlaufzeit von Kundenaufträgen zu halbieren. Betraf die Vernetzung anfangs vor allem die Produktion, haben wir unseren Fokus inzwischen auf den kompletten Order-to-Cash-Prozess erweitert. Es geht also nicht nur um die Fertigung an sich, sondern auch um die Schnittstellen zu Bereichen wie Entwicklung, Vertrieb und After-Sales. Innerhalb von fünf Jahren, so unser Ziel, wollen wir die digitale Transformation unternehmensweit umgesetzt haben.

Große Erwartungen hat Trumpf an die Geschäftsplattform Axoom. Was macht Sie da so sicher?

Ich glaube, dass solche Plattformen Industrie 4.0 für die breite Masse der Unternehmen erst ermöglichen. Die meisten kleinen und mittelständischen Firmen sind wegen begrenzter finanzieller und personeller Ressourcen auf externes Know-how angewiesen – auf flexible Lösungen, die eine sichere und durchgängige Vernetzung aller Geschäftsprozesse schaffen und Maschinen unterschiedlichster Hersteller anbinden können. Dass wir mit Axoom so falsch nicht liegen, zeigt das große Interesse bei Kunden, Lieferanten und Softwarefirmen: Wir können uns vor Anfragen kaum retten.

Aber solche Plattformen können andere auch. Vielleicht sogar besser als ein Maschinenbauer …

Unser Vorteil gegenüber großen Softwareherstellern ist, dass wir genau wissen, welche Daten für eine Maschine wichtig sind und wo wir diese erfassen müssen. Das versetzt uns schon heute in die Lage, unseren Kunden in Echtzeit mitzuteilen, dass etwa die Geschwindigkeit beim Laserschneiden nicht passt oder eine Schweißnaht nicht korrekt ausgeführt wird. In der vertikalen Vernetzung der Produktionsprozesse haben wir deshalb (noch) ein Alleinstellungsmerkmal. Hinzu kommt, dass uns die Kunden als Branchenexperten mehr vertrauen als großen IT-Unternehmen. Die Ausgangslage ist daher gut. Allerdings ist uns durchaus bewusst, dass dieses Geschäft zu interessant ist, als dass ein Anbieter den Markt dominieren wird.

Info

Viel Neues bei der TRUMPF GmbH + Co. KG: In den vergangenen zwei Jahren hat der 1923 gegründete Werkzeugmaschinenhersteller mit Hauptsitz in Ditzingen bei Stuttgart unter anderem eine eigene Wagniskapitalgesellschaft für Direktinvestments geschaffen. Insgesamt 40 Millionen Euro wollen Trumpf und Mathias Kammüller bis 2021 für Minderheitsbeteiligungen ausgeben. Eine Neuerung auf technischer Seite ist die Gründung der Trumpf-Tochter Axoom: Dabei handelt es sich um eine offene Plattform, über die alle Schritte in einer Wertschöpfungskette vernetzt werden können. Damit wird Trumpf erstmals zum Provider eines Betriebssystems. Im Geschäftsjahr 2015/16 beschäftigte Trumpf rund 11.100 Mitarbeiter, davon mehr als die Hälfte in Deutschland. Der Umsatz betrug rund 2,81 Milliarden Euro. Das entspricht einer Steigerung von 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Wie verändert die Digitalisierung das Geschäftsmodell von Trumpf? Welche Rolle spielt Software in den kommenden Jahren im Vergleich zur Hardware, zu den Werkzeugmaschinen und Lasern, die man bislang mit der Marke Trumpf verbindet?

Die Bedeutung von Software und Softwarelösungen für Trumpf wird steigen. Von heute 20 auf vielleicht 50 Prozent. Doch es wird unser Kerngeschäft nicht ersetzen: Wir werden auch künftig vor allem innovative Maschinen bauen.

Was bedeuten die Veränderungen in den Produktionsabläufen für die Arbeitswelt? Kostet die digitale Vernetzung Arbeitsplätze bei Trumpf?

Nein. In den vergangenen Jahren hat Trumpf systematisch auf Lean Production umgestellt. Das heißt, vieles ist effizienter und schlanker geworden. Trotzdem haben wir Mitarbeiter eingestellt, auch in der Produktion. Ähnliches erwarte ich durch die digitale Vernetzung. Allerdings lassen sich die Herausforderungen in der Fertigung von heute nicht mehr mit den traditionellen Arbeitszeitstrukturen bewältigen. Aufträge werden mit immer geringeren Stückzahlen platziert, oft geht es sogar um individualisierte Einzelprodukte. Das bedeutet viele kleine statt wenige große Aufträge, was eine tagesgenaue Kapazitätsplanung erfordert. Wir haben daher vor kurzem mit dem Betriebsrat und der IG Metall ein neues Bündnis für Arbeit ausgehandelt.

Was heißt das für die Mitarbeiter bei Trumpf?

Dass nun bis zu 20 Prozent der Arbeitszeit außerhalb des Unternehmens erbracht werden können – entweder im Homeoffice oder aber woanders. Zudem gehen wir weg von der starren Wochenarbeitszeit hin zu einer Jahresarbeitszeit, um Auslastungsspitzen in der Produktion besser abfangen zu können. Bei allen Neuerungen, die Industrie 4.0 mit sich bringt, müssen unsere Mitarbeiter nicht um ihre Arbeitsplätze fürchten. Nicht jeder freut sich, wenn wieder „eine neue Sau“ durchs Unternehmen getrieben wird. Doch wenn die Leute erkennen, dass ihre Arbeit sicher bleibt und gleichzeitig oft interessanter oder leichter zu bewältigen wird, sind sie dabei.

Und die Geschäftsführung? Wie identifiziert die sich mit der digitalen Welt?

Wir sind fünf Geschäftsführer, und wir fühlen uns alle der Digitalisierung verpflichtet. Um das zu stemmen, ist eine bewegliche Organisation nötig, die immer diejenigen Experten zusammenruft, die anstehende Aufgaben am besten lösen können. Agilität ist deshalb für uns eine wichtige Ergänzung und Bedingung der digitalen Transformation. Wir sind gerade dabei, das Thema über alle Geschäftsbereiche und alle Schnittstellen im Unternehmen auszurollen. Ich bin verantwortlich für die digitale Vernetzung in der gesamten Gruppe. Doch mein Schwager Peter Leibinger, der den Bereich Lasertechnik und damit beispielsweise den 3-D-Druck verantwortet, hat ganz ähnliche Vorstellungen wie ich.

Warum versuchen Sie sich als Risikokapitalgeber? Weil andere das auch machen?

Es ähnelt in der Tat dem, was auch andere Konzerne tun. Aber wir machen es nicht deshalb. Wir haben einfach gemerkt, dass wir bei Innovationen eine Heimat für Ideen und Dinge brauchen, die nicht direkt zu unseren Kernbereichen Laser und Werkzeugmaschinen passen. Deshalb haben wir 40 Millionen Euro bereitgestellt, die wir in den nächsten fünf Jahren für Beteiligungen ausgeben wollen. Im Venture-Capital-Bereich gehen wir Dingen nach, die etwas außerhalb liegen, die allerdings einen Bezug zu unserem Kerngeschäft haben.

Was versprechen Sie sich davon?

Es sind im Wesentlichen drei Dinge. Erstens sind wir interessiert an der Zusammenarbeit mit Start-ups, die neue Produkte und Geschäftsideen entwickeln, an denen wir partizipieren können – auch finanziell. Ein Beispiel ist Xetics, ein Softwarehersteller, der auf Fertigungssteuerungssysteme für kleine und mittlere Unternehmen spezialisiert ist und eine wichtige Ergänzung für unsere Plattform Axoom darstellt. Oder C-Labs, ein Unternehmen, das Softwarelösungen für die sichere und einfache Erfassung von Maschinendaten bietet. Zweitens finden wir Ideen, die wir selbst nicht gehabt hätten, weil wir vor allem auf die Wünsche unserer Kunden fokussiert sind. Solche Ideen könnten auch bei Trumpf relevant sein, selbst wenn wir nicht in das entsprechende Start-up investieren. Und als Drittes hoffen wir natürlich auch, auf diesem Weg interessante Mitarbeiter für Trumpf zu gewinnen.

Wie passt die Start-up-Mentalität zu Trumpf?

Das passt gut zusammen. Wir unterliegen als Werkzeugmaschinenbauer traditionell einem ständigen Wandel. Das haben viele Entwicklungs- und Konjunkturzyklen gezeigt. Nur wer flexibel bleibt und sich auf Veränderungen einstellen kann, bleibt langfristig erfolgreich am Markt. Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede zwischen unserer Einheit Axoom, die in Karlsruhe sitzt, und dem Hauptsitz in Ditzingen. Doch das ist kein Problem für uns. Da können beide Welten voneinander lernen.

Und was können Sie den Mitarbeitern in den Start-ups bieten?

Die Leute in den Firmen fühlen sich in der Zusammenarbeit mit Trumpf sehr wohl. Sie sind in einem deutlich sichereren Hafen, als wenn sie lediglich eine unter vielen Beteiligungen eines Venture- Capital-Fonds wären. Sie müssen nicht mehr halbjährliche Finanzierungsrunden überstehen, die in der Regel an bestimmte Meilensteine geknüpft sind, sondern können sich auf die Entwicklung ihrer Geschäftsidee konzentrieren. Wir lassen den Unternehmen darüber hinaus große Freiräume. Das kommt bei den meist jungen Menschen gut an.

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