Ich habe in 20 Jahren zehn CEOs eingestellt und wieder gefeuert“, sagte Patriarch Heinrich Villiger von dem Zigarrenproduzenten Villiger Söhne einst unserem Magazin. So extrem und offen formulieren es nur wenige Familienunternehmer, aber kurze Intermezzi von externen Führungskräften sind keine Seltenheit. Bahlsen, Brose, Knorr-Bremse, Ottobock – illustre Namen reihen sich ein, wenn es um überraschende oder schnelle Abgänge von CEOs geht.
Eigentümerfamilien, die reihenweise Vorstandsvorsitzende verheizen, setzen einen über Jahrzehnte aufgebauten Ruf und den guten Namen der Familie aufs Spiel. Ebenso können die Arbeitgebermarke und die Motivation der gesamten Belegschaft leiden, wenn ein immer neuer CEO an der Spitze steht. Und auch das Feld der guten Kandidaten für den Posten lichtet sich. Manager wie er, sagt Andreas Ronken, würden zwei- oder dreimal überlegen, sich einem Unternehmen anzuschließen, dem der Ruf vorauseilt, in den vergangenen Jahren mehr Vorstände als Jahresabschlüsse zu haben. Ronken agiert seit 2015 als familienfremder CEO der Alfred Ritter GmbH & Co. KG mit rund 500 Millionen Euro.
Externe im Familienunternehmen: Wahl- oder Fremdmanager?
Das verschärft ein Problem, das ohnehin größer wird: der Wettbewerb um gute Manager in der Zukunft. Immer wieder rufen Studien von Beratungshäusern und Forschungsinstituten eine neue Nachfolgerkrise für den Mittelstand aus. Wie viel sich von den düsteren Szenarien letztlich manifestiert, ist offen. Was Fakt ist: Die Möglichkeiten für die Nachfolgegeneration, sich zu entfalten, sind größer denn je. Viele Vertreter der NextGen sehen ihre Zukunft nicht in der operativen Leitung des Familienunternehmens. Findet sich niemand aus der Familie, bleibt neben dem Verkauf, den die meisten etablierten deutschen Unternehmerfamilien für sich strikt ausschließen, nur noch der Fremdmanager, um das Fortbestehen des Unternehmens zu sichern. Oder eher der Wahlmanager?

Andreas Ronken / Foto: Ritter Sport
Für Dr. Marc Konieczny und Dr. Marc Viebahn fängt es nämlich schon bei der Bezeichnung an. Die beiden Berater von Interconsilium besetzen Führungspositionen in deutschen Familienunternehmen. Viebahn ist überzeugt, dass der Begriff des Fremdmanagers schon qua Bedeutung negativ konnotiert ist. „Wenn man sich trotz vertrauensvoller Zusammenarbeit fremd bleibt, stimmt etwas nicht. Dabei sucht sich die Eigentümerfamilie den Manager oder die Managerin doch aktiv aus. Deswegen sprechen wir vom Wahlmanagement“, sagt er.
Durch ihre Erfahrung im Austausch mit eben jenen Wahlmanagern haben sich die beiden Anfang 2021 entschlossen, zusammen mit externen Führungskräften aus Familien- oder Stiftungsunternehmen deren Selbstverständnis zu Führung, Governance und dem Miteinander mit den Eigentümern zu untersuchen. Herausgekommen ist der Kodex der Unternehmensleitung von Familien- und Stiftungsunternehmen unter dem Dach der dafür neu gegründeten Stewardship-Gesellschaft. Der Kodex kann in unterschiedliche Richtungen interpretiert werden, sagt Marc Konieczny. Der Kodex könne beispielsweise eine Checkliste dafür sein, was Familienunternehmen von Managern in Führungsverantwortung erwarten können. Umgekehrt sei er auch eine Art Orientierungshilfe für externe Führungskräfte, die sich für ein Familienunternehmen interessieren. Daneben soll die Stewardship-Gesellschaft den „Wahlmanagern mehr Öffentlichkeit geben und ihnen einen Rahmen für den Austausch untereinander und den Dialog mit der Unternehmerseite bieten“, sagt Konieczny.
Die Governance der Schöck AG als wichtiges Kriterium
Einer Eigentümerfamilie bietet der Kodex eine Leitlinie dafür, welche Rahmenbedingungen sie schaffen sollte, um einem potentiellen Kandidaten eine Atmosphäre zu bieten, in der sich der Manager eben nicht fremd, sondern befähigt und ausgewählt fühlt. Denn selbst der beste und passendste Manager wird sich nicht entfalten und gut führen können, wenn die Familie und die Strukturen im Unternehmen nicht auf die Übernahme durch einen externen Manager vorbereitet sind. Das ist der Standpunkt von Prof. Dr. Claudia Leimkühler. Sie ist Mitglied der Kodex-Kommission der Stewardship-Gesellschaft und seit 2003 in Aufsichts- und Beiräten in Deutschland tätig. Aktuell ist sie unter anderem Beirätin der Merz Holding GmbH & Co. KG, eines Pharmaunternehmens mit Sitz in Frankfurt am Main.

Dr. Marc Konieczny und Dr. Marc Viebahn / Foto: Stewardship-Gesellschaft
Ihrer Erfahrung nach sind eine professionelle Corporate und Family Governance im Familienunternehmen Erfolgsfaktoren für einen aussichtsreichen, langfristigen Match zwischen Familie und externem Manager. Wenn es in der Inhaberfamilie Streit gebe ohne klare Regeln zum Umgang mit derartigen Konflikten, dann sei das ein Hemmschuh für jeden externen Manager, sagt Leimkühler. Marc Viebahn geht noch einen Schritt weiter: Er sagt, dass selbst der beste und eigentlich perfekt zu dem jeweiligen Familienunternehmen passende Manager nicht zum Unternehmen kommen beziehungsweise dort bleiben würde, wenn es keine gute Governance gebe. Die Kandidaten, die er und sein Team vermitteln, würden häufig schon zu Beginn der Gespräche fragen, wie es um Bei- und Aufsichtsrat im jeweiligen Zielunternehmen bestellt sei.
Auch für Mike Bucher, Vorstand bei der Schöck AG, waren die Governance-Strukturen entscheidend für seinen Einstieg. Bucher wurde im April 2020 Vorsitzender im Vorstand des Unternehmens aus der Bauzulieferbranche mit gut 230 Millionen Euro Umsatz. „Bei Schöck ist die Familie zwar im Aufsichtsrat vertreten, das aber nur in der Minderheit. Und dort sitzen nicht der Freund des Unternehmers, sein Banker oder sein Anwalt, sondern professionelle Sparringspartner, die das Unternehmen nach vorn bringen.“ Für Bucher, der in manchen Entscheidungen auf den Aufsichtsrat und dessen Meinung angewiesen ist, eine perfekte Ausgangssituation für gutes Arbeiten, wie er selbst sagt.
Andreas Ronken: „Externe CEOs bringen Klarheit.“
Bei der Planung der Zukunftsszenarien gilt es dann für die Manager, mit der Familie an einem Strang zu ziehen. Für Andreas Ronken steht und fällt diese Aufgabe mit Klarheit. Die richtigen Fragen zu formulieren, damit die Familie die Weichen für die Zukunft stellen kann, dafür sei ein externer CEO da, sagt der Chef von Ritter Sport. Der Diskurs zur Ausrichtung und zum Selbstverständnis des Unternehmens fehle allerdings oft, weiß Ronken aus Erfahrungen anderer Unternehmen.

Mike Bucher / Foto: Schöck Gruppe
Abhilfe schaffen kann nur offene Kommunikation, sowohl untereinander in der Familie als auch mit dem externen Manager oder Coach. „Man muss sich als Familie auf dem Weg zu einer Führungsstruktur ohne Gesellschafterfamilie an der Spitze intensiv mit der Thematik beschäftigen“, sagt Ronken. „Untereinander sollte man so viele klärende Gespräche führen wie möglich.“ Die Familie müsse sich öffnen und sich mit Dingen beschäftigen, die auf den ersten Blick vielleicht trivial erscheinen, aber große Debatten auslösen können. Beispielsweise die Frage: Was ist eigentlich der Zweck des Unternehmens für uns als Eigentümerfamilie?
Allein mit Blick auf Nachhaltigkeit und Ressourcen geraten die Sichtweisen der unterschiedlichen Generationen aneinander, sagt Andreas Ronken mit Blick auf die Nachfolgelandschaft in Deutschland. Die aktuelle NextGen der Familienunternehmer sehe die Umwelt- und Klimathematik eben ganz anders. Hier gelte es, einen Konsens in der Familie zu finden und mit dem Manager ein deutlich formuliertes Etappenziel für einen gewissen Zeitraum festzulegen – beispielsweise fünf oder zehn Jahre. Dabei könne für die ersten fünf Jahre ein bestimmter Typ CEO der richtige sein, aber für den nächsten Schritt nicht mehr, ergänzt Ronken.
Wie viel Macht haben Gesellschafter?
Selbst wenn alles noch so gut kommuniziert werde, gebe es Situationen im Unternehmensalltag, die eine externe Führungskraft selbst erfahren haben muss, um sie einschätzen zu können, findet Claudia Leimkühler. Sie spricht von der besonderen „Macht der Inhaber“. Vor allem wenn ein Manager vorher nicht in einem Familienunternehmen war und aus dem Umfeld von kapitalmarktorientierten Unternehmen komme, wo klare Entscheidungsstrukturen vorherrschten, sei die Entscheidungsfindung in einem Familienunternehmen etwas Neues und anderes. Darauf müsse man sich einstellen.

Prof. Dr. Claudia Leimkühler / Foto: privat
Im Gegensatz zu einem börsennotierten Unternehmen ist bei Familienunternehmen die Rollenverteilung zwischen Aktionärsversammlung, dem Aufsichtsrat und dem Vorstand nicht gesetzlich geregelt.
Aktionäre würden zwar in der heutigen Zeit immer aktiver und Entscheidungen des Vorstands kritisch hinterfragen, aber der große Unterschied sei, dass Inhaber von Familienunternehmen die wichtigsten unternehmerischen Entscheidungen in ihrem Sinne beeinflussen, sagt Leimkühler. „Und das ist deren Anrecht als Inhaber“, betont die BWL-Professorin.
„Die Familie kann dabei auch gegen wirtschaftlich rationale Grundlagen entscheiden und andere Aspekte wie beispielsweise Gemeinwohl, Fairness, Tradition stärker gewichten.“ Diesen Umstand müsse ein Manager akzeptieren können.
Im Zwist mit dem Aufsichtsrat: Zustimmungspflichtig oder nicht?
Zur professionellen Entscheidungsfindung gehöre es natürlich, sagt Schöck-Vorstand Bucher, dass gewisse Grundsatzentscheidungen als zustimmungspflichtig durch den Aufsichtsrat deklariert werden. Wenn bei Schöck
beispielsweise Standorte erweitert werden sollen, dann komme die Geschäftsführung mit einer Beschlussvorlage auf das Aufsichtsgremium zu und es werde entschieden. Bucher will aber auch die Meinung der Unternehmerfamilie in Situationen nicht missen, die eigentlich gar nicht zustimmungspflichtig seien, die aber dennoch Brücken zwischen Unternehmen und Familie schlagen könnten.
Bucher macht das an einem konkreten Beispiel aus der Praxis bei Schöck fest: „Mit unserer Strategie, die unter anderem internationales Wachstum als Ziel hatte, wurde aus dem Unternehmen heraus gefordert, das Logo von Schöck zu ändern und auf ein modernes, dynamisches Level zu heben.“ Das Logo zu verändern sei bei weitem keine zustimmungspflichte Entscheidung für den Aufsichtsrat gewesen, aber dennoch haben Bucher und sein Team das neue Logo nach der Konzeption der Familie vorgestellt und erklärt. Die habe zugestimmt und es zu schätzen gewusst, dass die Geschäftsführung auf sie zugekommen sei, ist sich Bucher sicher.
Was die Unternehmerfamilie aber nicht erwarten und worauf sie auch nicht zielen sollte, ist, einen Ja-Sager einzustellen, der genau das machen würde, was die Familie will, sagt Andreas Ronken.
Info
Der Kodex der Unternehmensleitung von Familien- und Stiftungsunternehmen
1. Wir sichern den langfristigen Erfolg des Unternehmens.
2. Wir sind die Brücke zwischen Unternehmen und
Eigentümern.
3. Wir setzen uns für eine professionelle Governance ein.
4. Wir bewahren unsere Unabhängigkeit.
5. Wir agieren verantwortungsbewusst.
Quelle: Stewardship-Gesellschaft
„CEOs sind nicht da, um zu verwalten. Sie wollen in aller Regel gestalten.“ Im ersten Jahr mit Ronken an der Spitze entwickelte Ritter Sport die Strategie „Schokolade 2025“. Der Zehnjahresplan sei seine persönliche Mission, so Ronken. Und in seinem Selbstverständnis als CEO und Manager versteht sich Ronken als einer, der Veränderung bringen möchte – im Idealfall im positiven Sinne und mit einem Verantwortungsbewusstsein, das über das eines Verwalters hinausgehe. „Die wenigsten Manager würden schwere Entscheidungen dann wieder an die Familie zurückspielen, damit die Familie am Ende den Kopf hinhalten muss“, ist sich Ronken sicher. „Wenn etwas falsch läuft, dann nehme ich das auf meine Kappe.“ Das gehe nicht ohne persönliche Schmerzen, wenn man beispielsweise Mitarbeiter austauschen müsse, ergänzt er.
Mike Buchers Vermächtnis bei Schöck
Bucher teilt Ronkens Willen zur Gestaltung der Zukunftsstrategie. Eine Reputation aufzubauen und langfristige Ziele über 10 bis 20 Jahre anzupeilen sei schon immer sein Wunsch gewesen, meint der 43-Jährige: „Nicht aber bei einem Konzern, sondern dort, wo ich wirken und gestalten kann.“ Gleichzeitig kennt er seine Grenzen. „Zu Beginn meiner Karriere habe ich mich in einem Angestelltenverhältnis gesehen. Ich hatte schlicht keine Geschäftsidee, und es hat sich während des Studiums so ergeben“, sagt Bucher über seine Rolle in der Geschäftsführung.
Wo findet man nun das Vermächtnis eines Wahl- oder Fremdmanagers im Familienunternehmen, wenn dieser wieder abtritt? Bucher sagt, was ihm großen Spaß mache, sei die Beteiligung und Weiterentwicklung von Ideen und Zukunftsplänen. Er erzählt von einem Start-up, bei dem sich die Schöck AG an der Gründung beteiligt hat. Der Manager schlägt große Töne an. Eine Weltneuheit soll auf den Markt gebracht werden, verspricht Bucher. Vielleicht werde sie sogar revolutionär für den ganzen Markt. Er sei mit so viel Elan dabei, dass es sich fast so anfühle, als sei das Start-up sein ganz persönliches Unternehmen. Mit so viel Energie und stolz in der Stimme klingt Manager Bucher in diesem Kontext dann doch fast wie ein waschechter Familienunternehmer und nicht wie ein gewählter Fremder, der lediglich auf Zeit bestellt und angestellt ist.