gibt nur zwei Varianten: Entweder du steigst in das Familienunternehmen ein – oder eben nicht“ – diesen Satz hat fast jeder Sohn und jede Tochter in einer Unternehmerfamilie hören müssen. Auch in Forschung und Praxis wird die Position der sogenannten NextGen ausschließlich vor dem Hintergrund der lang etablierten Familien und ihrer unternehmerischen Tätigkeiten als „Familienunternehmen“ betrachtet. Das Wirken einer Familie wird nur auf dem Niveau des Familienunternehmens gemessen, dessen Überleben ist unbedingt notwendig für den Erfolg und Wohlstand der Familie.

Dr. Christian Klaiber, Institutsmanager Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen (FIF) und Programmdirektor eMA FESH / Foto: FIF
In den vergangenen Jahren hingegen hat sich der Fokus vom Familienunternehmen zunehmend hin zur unternehmerischen Familie verschoben. Hier geht es nicht mehr nur um ein zentrales Familienunternehmen, sondern um ein breites Portfolio unternehmerischer Tätigkeiten durch die Familienmitglieder. Nicht allein das Unternehmen sichert die Zukunft der Familie. Vielmehr sorgt das Talent der familieneigenen Unternehmerinnen und Unternehmer dafür, durch innovative Ideen die Familie und das Unternehmen widerstandsfähig aufzustellen.
Ein solches Umdenken hat auch Konsequenzen für die Nachfolge. Anstatt die Optionen auf Einstieg oder Ausstieg zu reduzieren, ermöglicht das Konzept der unternehmerischen Familie alternative Modelle für die nächste Generation. Es gilt, sich vom klassischen Bild der Nachfolge zu lösen und dabei eine Brücke zwischen Familientradition und Unternehmensverbundenheit auf der einen und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung auf der anderen Seite zu schlagen. Für die Familienmitglieder, insbesondere die NextGens, ergeben sich unterschiedliche Rollen, die sie zu unterschiedlichen Zeiten formal und informal, innerhalb und außerhalb des Unternehmens annehmen können. So bedeutet es nicht das Ende einer Unternehmerfamilie, wenn die nächste Generation (zunächst) nicht in das Familienunternehmen einsteigen möchte, sondern selber unternehmerisch aktiv wird und ein eigenes Unternehmen gründet (Venturing), oder wenn sie nicht operativ tätig wird, sondern Teil der Vermögensverwaltung der Familie wird.
Venturing und die NextGen

Dr. Dinah Spitzley, Geschäftsführende Gesellschafterin, Haus Next / Foto: Haus Next
Tatsächlich hat die Stiftung Familienunternehmen in ihrer Studie „Deutschlands nächste Unternehmergeneration“ herausgefunden, dass sich 45,5 Prozent der NextGens vorstellen können, in Zukunft selbst zu gründen – Tendenz steigend. Die unternehmerische Selbständigkeit ermöglicht es der nächsten Generation, echte unternehmerische Verantwortung zu übernehmen und sich in Familie und Belegschaft zu etablieren. Im familiären Umfeld bleibt ihnen eine vollständige Entwicklung und Qualifizierung durch zu wenig Autonomie und zu viel „Welpenschutz“ meist verwehrt.
Aus der Perspektive der Elterngeneration sollte das eigenständige Unternehmertum nicht als Bedrohung begriffen werden. Vielmehr können sich wertvolle Synergieeffekte zwischen den Organisationen ergeben, zum Beispiel im Hinblick auf das Thema Digitalisierung, das jüngere Ventures oft besser für sich beanspruchen können und das die nächste Generation stärker priorisiert. Dabei fällt der Apfel nicht weit vom Stamm: Die Ventures der nächsten Generation sind durch die generationenübergreifende Solidarität in der Familie meist eng mit dem ursprünglichen Familienunternehmen verknüpft. Werte und Anschauungen werden erhalten, beiderseitiger Nutzen durch strukturelle Ähnlichkeiten kreiert, neue Gelegenheiten genutzt oder familiäre Pflichten erfüllt.
Auch kann das Familienunternehmen durch das (Mit-)Erleben von konkreten Problemstellungen oder durch den Unternehmergeist der älteren Generation als Inspirationsquelle für die neuen Gründer dienen.
Natürlich besteht die Chance, dass die NextGen nicht in das Familienunternehmen zurückkehren möchte – dies ist aber in Anbetracht der bereits früh entstehenden emotionalen Bindung und Sozialisierung in der Familie nicht so wahrscheinlich, wie es erscheinen mag. Außerdem ist das Konzept des Venturings außerhalb des Unternehmens sehr flexibel und kann sich individuellen Bedürfnisse und dem Unternehmenskontext anpassen, zum Beispiel was das Timing und die Rahmenbedingungen eines (Wieder-)Eintritts in das Familienunternehmen betrifft.
Tatsächlich lassen sich durch die getrennte unternehmerische Entwicklung von NextGen und Kernunternehmen sogar Konflikte in der Familie durch Kohabitation vermeiden, wenn sich die ältere Generation bei Rückkehr der Kinder rechtzeitig zurückzieht und eigenen Aktivitäten nachgeht.
Bündelung im Family Office

Natalie Rauschendorfer, Geschäftsführende Gesellschafterin, Haus Next / Foto: Haus Next
Ein weiteres alternatives Modell der Nachfolge für die NextGens liegt in der Professionalisierung der Vermögensverwaltung, also der strukturierten externen Vermögensanlage neben einem existierenden Familienunternehmen. So kommt es immer häufiger vor, dass Unternehmerfamilien ihre Aktivitäten im Rahmen eines Family Offices bündeln, einem Ort, an dem unternehmerisches Vermögen strukturiert und unabhängig neben dem bestehenden Familienunternehmen angelegt wird. Mittlerweile gibt es Schätzungen zufolge rund 400 bis 500 Single Family Offices in Deutschland. Dies bietet der nächsten Generation die Möglichkeit, sowohl den wirtschaftlichen Erhalt der Unternehmerfamilie mitzugestalten, als auch durch unternehmerische Aktivitäten im Family Office direkt Verantwortung zu übernehmen.
In diesem Zusammenhang, aber auch mit Blick auf andere Aktivitäten der Familie und des Unternehmens kann sich die NextGen vorstellen, vermehrt externe Führungskräfte, Berater oder einen Beirat einzusetzen. Der schwächere Fokus auf die Beteiligung möglichst vieler Familienmitglieder in der operativen Leitung zeigt eine Tendenz hin zur Governance-Professionalisierung, die über das Familienunternehmen hinausgeht.
Investition in familieneigene Start-ups
Weiterhin kann das Venturing der nächsten Generation im Sinne der strukturierten und diversifizierten Vermögensverwaltung betrachtet werden. Denn die Unternehmerfamilie kann in die Start-ups der eigenen Familie investieren. Dies ist eine sinnvolle Ergänzung zum klassischen Portfolio, in dem Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Hedgefonds, Private Equity, Private Debt, Immobilien und Sachanlagen liegen. Der mögliche Vorteil dieser familieninternen Investments kann darin liegen, dass sich die nächste Generation wichtige Erfahrung erarbeitet und ein möglicher Erfolg oder Misserfolg direkt von der Unternehmerfamilie begleitet wird. Wichtig in diesem Konstrukt ist allerdings die Abklärung der Erwartungen an solche Investments von allen Beteiligten, ein Zeit-, Finanz- und gegebenenfalls ein Exit-Plan.
Für die Erweiterung des Portfolios aus den eigenen Reihen ist es natürlich notwendig, dass ein gewisser unternehmerischer Geist in der gesamten Unternehmerfamilie gelebt wird. So gibt man der nächsten Generation die Möglichkeit, sich selbst unternehmerisch zu engagieren und zu verwirklichen, und zeitgleich lassen sich die Vermögensverwaltung und die Entwicklung der Familie sinnvoll professionalisieren und weiterentwickeln.
Sauerstoff für Flamme der NextGen
Was kann die Familie konkret aus diesen Daten und Entwicklungen lernen, so dass sie sich als Unternehmerfamilie und nicht nur als Familienunternehmen versteht? Die ältere Generation sollte Offenheit zeigen für die zunehmende Vielfalt der Modelle der Nachfolge. Auch wenn die eigene Gründung möglicherweise impliziert, dass NextGens das Familienunternehmen nicht operativ weiterführen, so bleibt die Unternehmerfamilie doch durch das unternehmerische Engagement der Nachfolgergeneration als solche erhalten. Das gilt insbesondere dann, wenn das Start-up einen Teil des Vermögensportfolios der Unternehmerfamilie umfasst.
Aus diesem Grund sollte die gesamte Familie die nachfolgende Generation bestmöglich in ihrer unternehmerischen Entwicklung unterstützen und der Sauerstoff für die unternehmerische Flamme der NextGen sein. Denn: Die Gründung eines Start-ups ist auch eine Fortsetzung und Ausgestaltung der unternehmerischen Identität der Familie und stellt somit die Sicherung und Zukunftsfähigkeit der Unternehmerfamilie als solche sicher.