Jil Hellmann Regouby, Sie haben früh in Ihrer Karriere im Familienunternehmen Hellmann Worldwide Logistics gearbeitet. Dann haben Sie das Unternehmen verlassen, sind aber seit knapp einem Jahr als Gast im Aufsichtsrat. Wie würden Sie Ihre Beziehung zum Familienunternehmen beschreiben?
Wie bei vielen Kindern von Unternehmern waren auch wir durch unseren Vater sehr nah dran am Unternehmen. Mein Vater hat zwei Leidenschaften: Familie und Firma. Das haben wir als Kinder stark aufgenommen und waren früh bei Betriebsfesten dabei. Wenn das europäische Board getagt hat, passierte das bei uns im Gästehaus; da wuselten wir, wenn es ging, auch rum. Im Büro meines Vaters in der Firma wusste ich schon immer, wo die Kekse standen. Ich bin auch als erwachsene Frau dem Unternehmen und seinen Menschen eng verbunden. Jetzt geht es darum, die Firma und die Familie in der nächsten Entwicklungsphase bestmöglich zu unterstützen und zu befähigen.
Wie kann man sich die Funktion als Gast im Aufsichtsrat vorstellen? Haben Sie Rechte oder Pflichten?
An der 150-jährigen Hellmann-Geschichte gemessen, ist der Aufsichtsrat ein relativ neues Gremium. Insofern gibt es auch noch keine Regelung innerhalb der Familie, wann, wer und wie Next-Gens an diesem Gremium teilnehmen. Im April 2021 wurde dann der erste Schritt getan, als mein Cousin Alexander Hellmann und ich als Vertreter der NextGen als Gäste in den Aufsichtsrat berufen wurden. In der Praxis bedeutet die Gastrolle, dass wir aktiv an den Sitzungen und den Ausschüssen teilnehmen und uns frei überall einbringen. Wir enthalten uns lediglich bei den formellen Abstimmungen, da wir nicht stimmberechtigt sind.
Hat sich Ihr Blick auf Hellmann geändert, als sich Ihr Vater und sein Vetter aus der operativen Führung zurückgezogen haben und ein Managementteam übernommen hat?
Ich würde den Fokus sogar nicht nur auf den Austritt aus der operativen Leitung legen. Ich bin Teil der ersten Generation, bei der nicht der älteste Sohn des Unternehmers im Unternehmen gelandet ist. Das ist in der Historie unserer Familie ein großer Bruch. Nun stehen wir zum ersten Mal vor einem Generationenwechsel von einem Gesellschafter auf mehrere Geschwister und Cousins. Dass nun kein Mitglied der Familie mehr in der Geschäftsführung ist, mussten wir aufarbeiten. Der Start in die neuen Managementstrukturen mit uns als Familie in einer komplett neuen Rolle, das ist ein Prozess, der sich erst einspielen muss. Wir haben uns in diesem Prozess natürlich ganz neue Fragen gestellt: Was ist unser Selbstverständnis als Familie? Was zeichnet die Marke aus? Wo und wie sollen wir in Zukunft agieren?

Die Gründer: Jil und Mark Hellmann Regouby / Foto: ElectroFleet
Der Wechsel auf ein rein externes Managementteam bei Hellmann Worldwide Logistics kam 2018. Sie befinden sich als Gesellschafterfamilie in einer Findungsphase. Wie weit sind Sie in diesem Prozess?
Wir haben Workshops mit externen Beratern auf den Weg gebracht. Neben Hellmann Worldwide Logistics gibt es noch andere Beteiligungen in verschiedenen Branchen. Wir können nicht überall in den Unternehmungen operativ dabei sein, das haben wir gelernt zu akzeptieren. Wir haben Beiräte geschaffen und bringen NextGens wie mich in die Gremien, damit wir uns vertraut machen können. Aber Family Governance ist nie fertig. Wir und auch der andere Familienstamm setzen uns noch immer damit auseinander, was es heißt, ein familiengeführtes Unternehmen zu sein und wie eine passende Rolle für die einzelnen Familienmitglieder aussehen kann. Wir wollen nicht, dass jedem Gesellschafter diese Rolle und die Firma ans Bein gebunden ist, und umgekehrt, dass eine Firma mit Gesellschaftern konfrontiert wird, die kein Interesse an der Unternehmung haben. Meine Hoffnung ist, dass sich so alle NextGens frei entwickeln können und die Unternehmungen verantwortlich geführt und weiterentwickelt werden.
Sie waren über sechs Jahre lang bei Hellmann operativ involviert, unter anderem als Head of Organizational Development. Sie sind aber aus dem Unternehmen ausgestiegen. Hätten Sie als älteste Vertreterin nicht Vorreiterin sein wollen für eine neue Interpretation der Familie im Unternehmen?
Mit 16 Jahren habe ich mein erstes Praktikum bei Hellmann unter unserem damaligen CPO gemacht. Da wurde mir klar, dass ich meinen ursprünglich geplanten Werdegang als Ärztin aufgeben würde, um ins Business zu wechseln; ich hatte meine Leidenschaft für die gestalterische Arbeit zusammen mit Menschen entdeckt. Nach weiteren Praktika in Spanien und einem angelsächsischen BWL-Studium bin ich etwas früher als geplant bei Hellmann gelandet. Zunächst war ich bei Hellmann in den USA für die Organisationsentwicklung mitverantwortlich und bin danach in den Vertrieb gewechselt, wo ich Großkunden erst aus Hongkong und dann wieder den USA betreut habe. Dann kam die Restrukturierung der gesamten Gruppe, und ich bin zurück in die Bereiche HR und Kommunikation gewechselt, aus denen heraus ich dem Chief Restructuring Officer zugearbeitet habe. Gleichzeitig war ich schwanger – im achten Monat bin ich noch durch die Welt geflogen und habe versucht, die für alle Mitarbeiter und die Familie schwierigen Prozesse zu unterstützen. Darüber hinaus wurde bei unserem Ältesten ein besonderer Förderbedarf festgestellt, und meine Schwiegereltern brauchten mehr Unterstützung, sodass wir zu ihnen nach Oklahoma gezogen sind. Ich brauchte also eine Pause vom Operativen und mehr Zeit für die Familie und habe daher meine Stelle frei gemacht. Es folgte ein Executive Master in Organizational Dynamics sowie Fortbildungen zum Thema „Families in Business und Coaching“. Das übergreifende Thema war die Förderung des langfristigen Geschäftserfolgs und gesunder Beziehungen durch umsichtiges Management von Unternehmen und Familie. Und da finde ich mich jetzt auch bei Hellmann als älteste Vertreterin der NextGen wieder: aus der Rolle der Gesellschafterin heraus.
Und als wäre das alles noch nicht genug, haben Sie mit Ihrem Mann Mark mit der ElectroFleet GmbH 2022 auch noch ein Start-up gegründet.
Die Gründungsidee stammt von Mark, das muss man schon dazusagen, aber ich stehe mit persönlicher Leidenschaft dahinter und unterstütze in teils konkreten Aufgaben und teils beratend. Die Geschwindigkeit, mit der in einem Start-up Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden können, ist erfrischend. Auch der Zeithorizont, gegen den man Entscheidungen abwägt, ist gänzlich anders: Da geht es um die kurzfristige Existenz und im Familienunternehmen um die langfristige.
Die ElectroFleet GmbH soll ein Energy-as-a-Service-Anbieter werden. Ihre Vision ist, Versorgungssicherheit und langfristig planbare Preise für mittelständische Unternehmen in Deutschland zu garantieren. Gab es da ein Schlüsselmoment für die Gründung?
Wir haben die längste Zeit unseres Lebens in den Vereinigten Staaten gelebt. Mark ist zwar aus keiner Unternehmerfamilie, aber seit seiner Schulzeit immer irgendwie unternehmerisch tätig. Was uns verbindet, ist eine Affinität zur Nachhaltigkeit. Er ist in Texas aufgewachsen, und unsere erste Idee war, die Ost- und Westküste der Staaten mit E-Lkw zu verbinden. Das haben wir modelliert und Fundraising für die erste Net-0-Strecke durch die Vereinigten Staaten betrieben. Dann kam die Pandemie, und Mark musste sich um seine anderen Unternehmungen kümmern, die durch die Lockdowns in die Krise geraten waren. Zeitgleich kam das Trump-Wahljahr, und wir haben im Bundesstaat Oklahoma gelebt, ein traditionell Republikanischer Staat. Das hat man zu spüren bekommen. Wir haben uns da immer weniger wohlgefühlt. Unsere Entscheidung war, das Projekt und auch unser Leben in Oklahoma hinter uns zu lassen. So sind wir 2021 nach Deutschland gezogen. Marks unternehmerischer Blick fiel dort auf die Herausforderungen der Energiewende und die Frage nach der Anschlussgenehmigung für Photovoltaikanlagen. Man ist, vor allem als mittelständisches Unternehmen, nämlich nicht fertig, wenn man eine PV-Anlage auf dem Dach hat. Wie speichert man Strom? Was macht man in den Wintermonaten der Dunkelflaute? Wie finanziert man die weiteren Schritte? Um all diese Fragen wollen wir uns mit ElectroFleet kümmern. Wir treten als Stromvollversorger auf. Wir brauchen dafür nur das Dach der Kunden, auf dem wir die Anlagen selbst installieren und ihnen dafür Stromversorgung und Strompreis garantieren.
Wie ist es, mit dem eigenen Mann zu gründen?
Wir haben schon vor der Idee zur Lkw-Strecke zwischen den US-amerikanischen Küsten unternehmerisch zusammengearbeitet. In den 16 Jahren, in denen wir zusammen sind, haben wir eine Online-Plattform entwickelt und eine Non-Profit-Organisation geführt. Da haben wir viel über uns gelernt. Wir kennen uns in diesem Kontext gut genug und wissen, dass wir in der Lage sind, ans Limit zu gehen. Wir sehen uns im Moment abends nur kurz zwischen dem Zubettbringen der drei Kinder. Das Leben ist intensiv und voll, aber genau dafür können wir uns auch sehr glücklich schätzen.
Ihr Mann ist seit bereits seiner Schulzeit Unternehmer, Sie sind Mitglied einer Unternehmerfamilie. Gründet es sich da leichter?
Natürlich gibt es Parallelen zwischen Gründern und Unternehmerfamilien. Aber am Ende stellt sich, egal, wer man ist, die Frage, ob man bereit ist, Zeit zu investieren, und ob man die Mittel hat, etwas auf die Beine zu stellen. Da mag es ab und an stimmen, dass man als Mitglied einer Unternehmerfamilie Vorteile hat. Nicht unbedingt, weil man weich fällt, wenn es mit einer Gründungsidee nicht klappt, sondern weil man im Gegensatz zu anderen durch die Bekanntheit des Familienunternehmens auf andere Netzwerke zurückgreifen kann und auf mehr Offenheit für Erstgespräche stößt. Aber von Gründer-DNA zu sprechen oder ähnlichen Ansätzen, da tue ich mich schwer. Mein Mann ist Sohn einer Lehrerin und eines Pastors. Und aus ihm ist ein Vollblutunternehmer geworden.