Beim Hardware-Hersteller Wortmann ist gerade erst die zweite Generation am Start. Schon jetzt gehören zur Unternehmensgruppe Wortmann mehr als 30 Tochtergesellschaften. Wie funktioniert die Wortmann AG?

Lichtstrahlen fallen in das „Aquarium“. So nennen sie bei der Wortmann AG den Konferenzraum im ersten Stock der Firmenzentrale. Hier empfängt die Unternehmensgruppe mit Sitz im nordrheinwestfälischen Hüllhorst nicht nur Kunden und Partner, Firmengründer und Vorstandsvorsitzender Siegbert Wortmann hält hier sonntags auch Sitzungen mit der Jugendabteilung seines Herzensvereins, des TuS Tengern, ab. Dass sich Arbeit, Engagement und private Leidenschaft vermischen, ist bei Siegbert Wortmann ganz selbstverständlich. Sein Eckbüro liegt nur wenige Meter den Flur runter. Von hier aus leitet er die Geschicke des Hardwareherstellers.

Der Gründer selbst ist an diesem milden Novembertag nicht zugegen. Dafür die zweite Generation: Svenja (36) und Sven (34) Wortmann, zwei der drei Kinder des Unternehmensgründers. Beide sind im Familienunternehmen groß geworden, haben, wie sie sagen, ihre Wochenenden im Unternehmen verbracht. Mittlerweile haben beide Nachwuchs, der wie sie selbst das Unternehmen von klein auf kennenlernt – in einem extra aufgestellten Laufstall im berühmten Eckbüro von Großvater Siegbert.

Gründer Siegbert Wortmann als Vorbild

Herrscher des Eckbüros: Gründer Siegbert Wortmann.

Herrscher des Eckbüros: Gründer Siegbert Wortmann. / Foto: Wortmann AG

Nach kurzzeitigen Stationen außerhalb haben Sven und Svenja Wortmann ihren Weg zurück in den Familienbetrieb gewählt. Svenja hat sich beim in der Nähe ansässigen Familienunternehmen Gauselmann zur Industriekauffrau ausbilden lassen. Ihr Bruder Sven absolvierte eine Ausbildung als Bankkaufmann. „Mein Vater war und ist mein Vorbild“, sagt Sven Wortmann, dessen weißes Poloshirt das lila Logo der Eigenmarke Terra ziert. „Er ist Bankkaufmann, also wollte ich das auch werden.“ Danach stiegen beide, wie auch Svens Zwillingsbruder Sören, rasch in den Familienbetrieb ein: Svenja zunächst im Tochterunternehmen Roda, Sven im Logistikbereich.

Über Stationen als Co-Geschäftsführer bei zwei von derzeit insgesamt 33 Tochtergesellschaften der Unternehmensgruppe haben beide nun offiziell den Schritt Richtung Unternehmensnachfolge angetreten: Svenja bildet seit Oktober als Chief Marketing Officer zusammen mit ihrem Vater den zweiköpfigen Vorstand der Unternehmensgruppe. Sven Wortmann hat den Platz seiner Schwester im Aufsichtsrat des Unternehmens übernommen, dem außerdem Mutter Gabriele, die zudem in der Buchhaltung arbeitet, und Thomas Knicker, der für Wortmann den Bereich Einkauf leitet, angehören. Sie alle sitzen zusammen mit den übrigen Mitarbeitern in den Großraumbüros bei Wortmann.

Dabei nehmen die Kinder selbst die Veränderung aufgrund ihrer neuen Rollen als Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglied gar nicht so drastisch wahr. Die Aufgaben seien weitgehend gleich geblieben, sagen sie. Lieber als über Ämter und Titel reden sie über Bereiche, um die sie sich „kümmern“. In guter Tradition ihres Vaters und Chefs trennen auch die Kinder nicht zwischen Privatleben und Beruf. Die Familie ist vom Unternehmen durchdrungen und umgekehrt. Die schiere Größe des Geschäfts, dass sich in weniger als 40 Jahren seit der Gründung zu einem Milliardenunternehmen entwickelt hat und nach wie vor voll auf den Gründer zugeschnitten ist, ist für sie noch lange kein Anlass für Veränderungen. „Beständigkeit ist uns wichtiger als große Wachstumssprünge und Zukäufe“, sagt Sven Wortmann. Das heißt allerdings nicht, dass in der Wortmann Gruppe keine neuen Geschäftsideen stattfänden. Im Gegenteil.

Zwischen Opportunitäten und Wachstum

Das Kerngeschäft der Wortmann AG besteht in der Herstellung und dem Vertrieb von IT-Hardware, darunter Desktop-PCs, Laptops und Displays, die unter dem Markennamen Terra firmieren. Der entscheidende Vorteil gegenüber den großen und oft günstigeren Wettbewerbern aus Übersee wie Apple, Lenovo oder Microsoft bestehe in einem Servicenetz mit deutschlandweit 15.000 Fachhändlern als Partner, sagt Sven Wortmann. Mit 750 Mitarbeitern erwirtschaftete die Wortmann AG im Geschäftsjahr 2021 eine Milliarde Euro Umsatz. Und das ist noch nichts alles: In den Tochtergesellschaften kommen 1.300 weitere Beschäftigte hinzu, die im selben Jahr eine weitere Milliarde Euro Umsatz beisteuerten.

Info


Das Familienunternehmen Wortmann wurde 1986 in Hüllhorst gemeinsam von den Geschäftspartnern Siegbert Wortmann und Thomas Knicker gegründet. 1994 feierte Wortmann den ersten Meilenstein, als das Unternehmen acht Jahre nach der Gründung 100 Millionen D-Mark Umsatz mit rund 100 Mitarbeitern erzielte. 1998 wandelte sich das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um, ging jedoch nicht an die Börse. Im Geschäftsjahr 2021 erzielte die Unternehmensgruppe mit insgesamt 2.000 Mitarbeitern rund 2 Milliarden Euro Umsatz. Die Anteile der Familie Wortmann sind über eine Kapitalgesellschaft organisiert. Thomas Knicker ist nach wie vor mit einer Minderheit beteiligt und sitzt im Aufsichtsrat der AG.

Die Entwicklung hin zu einer Unternehmensgruppe ist eine Mischung aus Gründungen, Zukäufen und günstigen Gelegenheiten verschiedenster Art. Heute bieten die Unternehmen der Gruppe, an denen die Wortmann AG überwiegend mehrheitsbeteiligt ist, Lösungen in den unterschiedlichsten Bereichen an. Dazu gehören unter anderem IT-Hersteller und Distributoren: Die Gruppe produziert mit Wortmann Asia beispielsweise ihre eigene Hardware in Asien oder bietet über die Tochtergesellschaft Roda IT-Lösungen für die NATO und die Bundeswehr an.

Dabei haben nicht alle Geschäftsideen und die dahinterliegenden Gründungen von Anfang an schwarze Zahlen geschrieben. So hat das 2012 gebaute Rechenzentrum zu Anfang enorme Investitionskosten verschlungen. Hier bietet Wortmann Cloud-Services an, allein das Backup-Cube kommt auf eine Speicherkapazität von rund 25 Petabyte. Die Montage der Notstromaggregate und Dieselgeneratoren, die das Rechenzentrum im Falle eines Netzausfalls fünf Tage versorgen können, dürfte kostenintensiv gewesen sein. Zum Glück versorgt der Erfolg des Kerngeschäfts die Unternehmensgruppe mit finanziellem Spielraum – und die Idee, als IT-Unternehmen auch eine Cloud-Lösung anzubieten, liegt einfach zu nahe, um die Chance ungenutzt zu lassen.

Die Wortmanns scheuen sich jedoch auch nicht davor, Zeit und Geld in Geschäftsmodelle zu investieren, die mit IT wenig bis nichts zu tun haben. So wurde für die Montage von Photovoltaikanlagen auf den eigenen Immobilien kurzerhand eine eigene Tochtergesellschaft gegründet. Unter Terra Solar habe man auf das Unternehmen zugeschnittene Konstruktionen für die Befestigung der Solarpanels bauen können und „erhebliche Kosten gespart“, sagt Sven Wortmann. Seit dem Jahr 2008 seien alle freien Dächer der Unternehmensgruppe mit Solaranlagen bestückt. Das Hauptgebäude der AG wurde mittlerweile bereits auf die zweite Photovoltaik-Generation umgerüstet, sagt Sven Wortmann.

DIY für Geschäftsmodelle

Die Gründung eines Tochterunternehmens zur kostengünstigen Ausstattung mit Solarenergie zeugt bereits von einer gewissen Do-it-yourself-Einstellung. Andere Geschäftsideen wirken jedoch um einiges unorthodoxer. So wurde ein alter Supermarkt in Hüllhorst im Zuge der Gründung einer eigenen Tochtergesellschaft, Terra Fitness, in ein Fitnessstudio umgebaut. Zuvor war eine Fitnesstrainerin und -kauffrau mit eigenem kleinem Studio, ebenfalls aus Hüllhorst, 2012 mit einer Idee auf Svenja Wortmann zugekommen. Nach einer Planungs- und Umbauphase eröffnete Terra Fitness Anfang 2014. Mitarbeiter der Gruppe können das Studio kostenvergünstigt nutzen. Auch die Marke Terra Sports gehört heute zur Unternehmensgruppe. Die beiden jetzigen Geschäftsführer Sven Janus und Sven Wortmann haben damals ihre Unternehmensanteile an der Firma, die unter der Marke „Bodystreet“ Studios zur Elektromyostimulation (EMS) im Rahmen eines Franchise-Konzepts betreibt, an Manuel Neuer verkauft. Danach eröffneten beide mit Terra Sports 54 eigene EMS-Studios mit demselben System.

Das System Wortmann

Was alle diese Gründungen gemeinsam haben: Sie sind den Weg durch das Eckbüro gegangen. „Die Tür des Büros von Siegbert Wortmann steht immer offen“, wie Pressesprecher Sven Öpping sagt. Kommt ein Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin oder ein Familienmitglied mit Fragen, Bedenken oder auch einer Geschäftsidee, nimmt sich Siegbert Wortmann stets Zeit. Erscheint dem Vorstandsvorsitzenden die Idee vielversprechend, wird erst einmal im Familienkreis über eine mögliche Umsetzung nachgedacht und gesprochen. Damit die Familie eine gewisse Kontrolle über das Geschäft behält, fungiert fast immer ein Familienmitglied als Co-Geschäftsführer und stellt sicher, dass sich die neuen Unternehmen wie gewünscht entwickeln.

Nach dem „Prinzip Eckbüro“ lief auch die Gründung von terra e-sports. Pressesprecher Sven Öpping und Christian Wiechert, der seit Anfang 2021 als Geschäftsführer von terra e-sports fungiert, kamen 2021 mit der Idee auf Siegbert Wortmann zu, das Engagement von Terra im Bereich Gaming-Hardware auszubauen. „Die Gamer von heute sind die Geschäftskunden von morgen“, sagt Wiechert – das Argument hat Siegbert Wortmann offenbar überzeugt.

Dieser jüngste Baustein im System Wortmann ist nicht nur nach außen eine Innovation, er wirkt auch in die Organisation hinein. Neben der neuen Tochtergesellschaft für Gaming wurde außerdem eine eigene E-Sport-Betriebsgruppe ins Leben gerufen, die bei den Mitarbeitern auf großes Interesse gestoßen sei – bei einer ersten internen Abfrage hätten sich in kürzester Zeit mehr als 60 Interessenten gemeldet, berichtet Öpping. Mittlerweile werden regelmäßig LAN-Partys der „Terra Tigers“ durchgeführt. Geplant ist, dass die Gruppe auch an Turnieren und Wettkämpfen teilnehmen soll. Mit der Beteiligung an der OWL-Arena, die Wortmann 2021 von der Gerry-Weber-Eigentümerfamilie Hardiek übernommen hat, steht zudem ein möglicher Austragungsort für künftige E-Sport-Events zur Verfügung, was stärker als die Betriebsgruppe die Wahrnehmung von Terra bei Businesskunden erhöhen dürfte.

Die Bausteine, die die Unternehmensgruppe auf diese Weise in den vergangenen 36 Jahren angehäuft hat, bilden mittlerweile so viele Synergien, dass sich – wenn auch nur bedingt beabsichtigt – ein ganzes Ökosystem an aufeinander abgestimmten Waren und Dienstleistungen gebildet hat. Die AG und ihr rentables IT-Geschäft ermöglichen als Cashcow unternehmerische Wagnisse.

Ob die Gruppe mit diesem Modell weiterhin Erfolg haben wird, wird sich spätestens dann zeigen, wenn der Senior in den Ruhestand geht und nicht mehr alle wichtigen Entscheidungen über den Schreibtisch eines Eckbüros in Hüllhorst laufen. Den ersten Schritt in diese Richtung hat die Wortmann Gruppe mit den neuen Rollen getan, die Sven und Svenja als Vertreter der zweiten Generation im Unternehmen ab sofort einnehmen. Stand heute werden sie noch eine Weile mit ihrem Vater zusammenarbeiten.

Ein Datum für den Ausstieg hat er sich nicht gesetzt. Alle gehen davon aus, dass der 67-jährige Gründer so lange in der Firma bleibt, wie er kann. „Wir sind froh, wenn unser Vater noch möglichst lang dabei ist“, sagt Svenja Wortmann. In den bestehenden Strukturen der Wortmann Gruppe wäre das womöglich auch klug.

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