Nach dem Verkauf des Familienunternehmens Mitte der sechziger Jahre gingen die Geschwister Hans, Heidi und Albert Schöpflin getrennte Wege. Heute haben sie über ein gemeinsames Vorhaben, die Schöpflin Stiftung, wieder zusammengefunden. Wie kam es dazu?

„Schöpflin Haagen – weitersagen!“ Mit eingängigen Slogans wie diesem macht die Schöpflin GmbH in den späten vierziger Jahren Werbung für ihr Textilsortiment. Mit der Währungsreform und der Zeit des Wirtschaftswunders steigt die Kon­sumfreude, die Firma blüht auf. 1956 knackt sie erstmals die Marke von 100 Millionen D-Mark Umsatz. In den folgenden Jahren beschäftigt sie mehr als 2.000 Mitarbeiter. In Haagen, das später zu einem Ortsteil von Lörrach wurde, baut die Firma Werkswohnungen, führt eine betriebliche Altersversorgung ein und macht eigene Modenschauen. Schöpflin wächst, kauft andere Unternehmen zu und wird zu einem der größten Arbeitgeber der Region.

Das ist das Umfeld, in dem die drei Geschwister Hans (heute 78), Albert (77) und Heidi (82) aufwachsen. Sie bilden die dritte Generation der Unternehmerfamilie. Ihre Großeltern Wilhelm und Wilhelmine hatten 1929 das gleichnamige Textilunternehmen gegründet. Seit 1948 leitet Hans Schöpflin Senior die Firma in zweiter Generation, er treibt den Ausbau als Großversandhaus für Textilwaren voran. Die kaufmännische Erziehung seiner Kinder hat für den Unternehmer oberste Priorität. Tochter Heidi wird früh ins Unternehmen eingespannt. „Bei mir als Mädel hat er sich eine ganz tolle Geschäftsfrau vorgestellt“, sagt sie. „Der Druck war unendlich groß.“

Der zweitälteste Sohn Albert, der später unter dem Pseudonym Scopin als Künstler arbeitet, widersetzt sich den Plänen, die der Vater für ihn hat. „Ich musste mich entscheiden: Mache ich das, was ich will, und verzichte auf die Unterstützung der Familie?“ Sein Vater zeigt ihm die Konsequenzen auf. „Das Gespräch endete damit, dass mein Vater sagte: ‚Ich kann es nicht ändern, aber du kannst von mir auch nichts erwarten.‘“

Wankende Gewissheiten

Während seine Geschwister Heidi und Albert den Weg in die unternehmerische Ausbildung ablehnen, besucht ihr ältester Bruder Hans Schöpflin Junior die Wirtschaftsoberschule in Freiburg. Er scheint für alle der designierte Nachfolger zu sein. „Als Unternehmersohn war ich immer darauf vorbereitet worden, die Leitung der Firma zu übernehmen,“ sagt Hans Schöpflin rückblickend. Aber es kommt anders: 1964 übernimmt das Versandhaus Quelle mit der Eigentümerfamilie Schickedanz zunächst 74,9 Prozent von Schöpflin, zum selben Zeitpunkt gibt Vater Hans Schöpflin seine Tätigkeit als Geschäftsführer auf. Wenig später folgt die komplette Übernahme. Zu den Gründen für den Verkauf hält sich sein Sohn Hans Schöpflin zurück. „Handel ist Wandel“, sagt er. „Trotz dieser erfolgreichen Jahre fand auch im Versandgeschäft schon ein Strukturwandel statt.“ Auf das Wirtschaftswunder folgt eine schlechte konjunkturelle Phase.

Der Kauf von Schöpflin durch Quelle ist nur die früheste in einer Reihe von Übernahmen: 1974 übernimmt Otto den Schwab- und später den Heine-Versand, 1976 kauft Karstadt Neckermann. Quelle führt Schöpflin zunächst erfolgreich weiter, muss aber 1999 den Standort in Lörrach aufgeben. Der letzte Katalog erscheint, der Markenname Schöpflin verschwindet.

Für die Schöpflin-Geschwister, zum Zeitpunkt des Verkaufs alle Anfang/Mitte 20, ist das Ende des Familienunternehmens eine einschneidende Lebensveränderung. Ihre Wege trennen sich. „Ich wollte nichts wie weg“, sagt Albert Schöpflin. Während seine Schwester Heidi in der Heimat bleibt und jung heiratet, geht er für dreieinhalb Jahre in die Vereinigten Staaten und taucht in die New Yorker Kunstszene ein. Auch Hans Schöpflin geht nach Amerika, allerdings bleibt es bei ihm kein Intermezzo: Nach dem Studium baut er sich in Kalifornien ein neues Leben auf und macht Karriere, unter anderem beim „Big Box Store“-Pionier Price Company, der heute nach der Fusion mit der Handelskette Costco Wholesale weiterhin erfolgreich am Markt ist.

Zentrum für Suchtprävention: die Villa Schöpflin in Lörrach.

Foto: Cathrine Stukhard

Fast 30 Jahre lang sah es nicht danach aus, als würden die Geschwister auf absehbare Zeit wieder zusammenfinden. Da passiert Hans Schöpflin das wohl Schlimmste, was Eltern sich vorstellen können: Sein Sohn Axel stirbt 1995 an einer Überdosis Drogen. Die Eltern sind verzweifelt, Hans Schöpflin wendet sich dem Buddhismus zu. „Da wurde mir klar, dass finanzielles Akkumulieren nicht das höchste Ziel sein kann.“ 1998 gründet er eine Förderstiftung in den USA, die Panta Rhea Foundation mit Sitz im kalifornischen Sausalito, für die heute seine jüngste Tochter Lisl als Board-Chair die Verantwortung trägt: Die Stiftung fördert NGOs und soziale Initiativen, unter anderem in den Bereichen Bildung und Kreativität sowie Demokratieförderung. Dann fasst Schöpflin den Plan, auch in seiner deutschen Heimat eine Stiftung zu errichten. Anknüpfend an die eigene Verlusterfahrung mit seinem Sohn macht er dafür das Thema Drogenprävention zum Ausgangspunkt.

2001 gründet Hans Schöpflin die Schöpflin Stiftung mit Sitz in Lörrach. Der finanzielle Grundstock für die Stiftung stammt aus seinem eigenen Vermögen, nicht aus dem weit zurückliegenden Unternehmensverkauf. Dennoch ist es ihm wichtig, den ideellen Bezug zur unternehmerischen Vergangenheit der Familie herzustellen – vielleicht auch, um das, was beim Verkauf auseinandergebrochen war, ein Stück weit wieder zusammenzufügen. Er bindet seine Geschwister in seine Pläne ein, das Anwesen der Eltern im Lörracher Stadtteil Brombach zum Sitz der Stiftung zu machen. „Das war für mich eine absolute Sternstunde“, sagt seine Schwester Heidi Junghanss. Auch Bruder Albert Schöpflin ist begeistert von der Idee, das Erbe der Familie sinnstiftend einzusetzen. Beide stimmen zu, ihre Anteile am Anwesen in die Stiftung einzubringen.

2002 wird dort die Villa Schöpflin als Zentrum für Suchtprävention eröffnet. Später folgen weitere Einrichtungen auf dem Gelände, wie der Kultur- und Debattenort „Werkraum Schöpflin“ und die Kindertagesstätte „Kinderhaus und Gärtnerhaus Schöpflin“. „Wir sind froh, der Region etwas zurückgeben zu können“, sagt Hans Schöpflin.

Gemeinsame Wurzeln

Seit 2014 bildet die Förderstiftung mit fünf Programmbereichen einen weiteren Kern der Stiftungsarbeit. Im Fokus stehen die Themen Schule und Entwicklung, Flucht und Integration, gemeinnütziger Journalismus sowie Wirtschaft und Demokratie. „Im Zentrum steht immer die Frage: Was braucht eine funktionierende Demokratie?“, sagt Hans Schöpflin. Davon ausgehend, unterstützen und begleiten die Programmbereiche bundesweit agierende Organisationen, die sich mit innovativen Lösungen der Stärkung demokratischer Teilhabe und gesellschaftlicher Vielfalt widmen. „Wir wollen jungen Menschen dabei helfen, ein waches, kritisches Bewusstsein für die Welt zu entwickeln“, erklärt Hans Schöpflin seinen philanthropischen Auftrag. „Zudem habe ich mit der Panta Rhea Foundation in Amerika viel Erfahrung in der Unterstützung von NGOs gesammelt. Da lag es nur nahe, auch unsere Projektarbeit bei der Schöpflin Stiftung damit zu ergänzen.“

Aktuell hat die Stiftung 32 Mitarbeiter, sie realisiert und fördert Projekte im Umfang von über 10 Millionen Euro jährlich. Neben seinen unternehmerischen Tätigkeiten, die er vor allem noch in den Vereinigten Staaten verfolgt, widmet sich Hans Schöpflin heute überwiegend seinem philanthropischen Engagement, für das er im Juni im Rahmen des Deutschen Stiftungstages mit dem Deutsche Stifterpreis 2020 ausgezeichnet werden sollte. Er ist Vorstandsvorsitzender der Schöpflin Stiftung, der familienexterne Tim Göbel ist seit 2016 Geschäftsführender Vorstand. Die Geschwister stellen drei der sieben Sitze im Stiftungsbeirat. Fast scheint es, als hätten die drei auf diese neue Chance gewartet: „Die ganze Stiftung ist eine tolle Sache, weil sie uns verbindet. Wir wollen gemeinsam Verantwortung übernehmen, der Zukunft nachhaltig eine Stimme geben und uns für die Interessen der Jugend starkmachen.“

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