Ein Forscherteam der WHU ging der Frage nach, inwieweit Unternehmergeist nach einer Trennung des Stamm­unternehmens überhaupt noch möglich ist und welche Rolle hierbei Single Family Offices und Direktbeteiligungen spielen können. Erste Ergebnisse der Analyse von mehr als 100 Unternehmerfamilien.

Das Familienunternehmen über Generationen zu bewahren und in der Inhaberschaft der Unternehmerfamilie fortzuführen ist seit jeher das dominierende Ziel in deutschen Familiengesellschaften. Zugleich dominieren Fragestellungen rund um die familieninterne Nachfolge nach wie vor Praxis und Forschung. Dass die Fortführung des originären Familienunternehmens nicht notwendige Bedingung für die Fortführung des Unternehmertums der Unternehmerfamilie ist, setzt sich im wissenschaftlichen Diskurs seit einigen Jahren sukzessive durch. Abgesehen von konzeptionellen und kleinzahligen, qualitativen Studien und subjektiven Einschätzungen aus der Praxis wurde bisher noch keine quantitative Studie vorgelegt, in der untersucht wird, wie sich das Phänomen Unternehmertum auf Ebene der Unternehmerfamilie beziehungsweise im Single Family Office neben dem originären Familienunternehmen und insbesondere nach dessen Verkauf entwickelt. Gleichzeitig sind neuere Phänomene wie unternehmerische Direktbeteiligungen durch zunehmend professionalisierte Familieninvestoren zu beobachten, die in der wissenschaftlichen Diskussion bisher kaum Beachtung finden.

Die Autoren haben in einer aktuellen Studie mit mehr als 100 Unternehmerfamilien neue Erkenntnisse zutage gefördert, die der gängigen Sichtweise zum Verkauf des originären Familienunternehmens entgegenstehen und Anlass geben, diese zu revidieren und den Blickwinkel auf Unternehmerfamilien, ihre diversen unternehmerischen Aktivitäten und die Entstehung von generationenübergreifendem Unternehmertum zu erweitern.

Prof. Dr. Nadine Kammerlander ist Lehrstuhlinhaberin am Institut für Familienunternehmen der WHU – Otto Beisheim School of Management.

Foto: WHU

Technisch betrachtet markiert der Verkauf des Familienunternehmens zwar den Endpunkt des einen unternehmerischen Zyklus, bietet der Unternehmerfamilie jedoch zugleich auch den Startpunkt für neue unternehmerische Wachstums- und Wertgenerierungszyklen. Tatsächlich kann die verkaufende Unternehmerfamilie sowohl ihr Familienunternehmen als auch ihr Unternehmertum durch einen gezielten, verantwortungsbewussten Unternehmensverkauf bewahren und sich zum Beispiel durch ein neu gegründetes Single Family Office neue Wirkungsfelder suchen. Prominente Beispiele für diesen Fall sind die Strüngmann-Brüder (Verkauf von HEXAL im Jahr 2005) und die Wirtgen-Brüder (Verkauf der Wirtgen-Gruppe im Jahr 2017), die nach dem Verkauf des Familienunternehmens wieder sukzessive in unternehmerische Direktbeteiligungen investieren und sich dadurch wieder unternehmerisch engagieren. In diesem Zusammenhang ist ein bisher weitgehend unbeachtetes Phänomen zu erwähnen, das sowohl den Verkauf des originären Familienunternehmens als auch die Re-Investition in andere etablierte Unternehmen umfasst: die generationenübergreifend erfolgreiche Unternehmerfamilie, auch und besonders nach dem Verkauf des Familienunternehmens.

Die Ergebnisse der aktuellen Untersuchungen zeigen, dass der Verkauf des Familienunternehmens eine Re-Allokation der Unternehmerfamilie in unternehmerische Direktbeteiligungen begünstigt. Unternehmerfamilien, die ihr originäres Familienunternehmen verkauft haben, investieren somit wahrscheinlicher in unternehmerische Direktbeteiligungen als Unternehmerfamilien, die ihr originäres Familienunternehmen noch halten. Außerdem zeigt sich, dass Unternehmerfamilien meist anfallende Überschuss­renditen nicht zur Re-Allokation in unternehmerische Direktbeteiligungen verwenden, die finale Verkaufsrendite wiederum als zentraler Treiber für die Investition in unternehmerische Direktbeteiligungen fungiert. Unternehmerfamilien, die über hohe sozio-emotionale Werte und eine hohe unternehmerische Identität verfügen, obwohl sie ihr originäres Familienunternehmen bereits verkauft haben, investieren signifikant wahrscheinlicher in unternehmerische Direktbeteiligungen als Unternehmerfamilien, die geringere Werte aufweisen. Die Ergebnisse sind nicht nur kontra-intuitiv, sie widersprechen auch der weitläufigen Meinung zum Verkauf des Familienunternehmens. Vielmehr ist es durchaus möglich, dass Unternehmerfamilien, die über hohe sozio-emotionale Werte und eine starke Identität als Unternehmerfamilie verfügen, ihr originäres Familienunternehmen verkaufen, um danach mit einer hohen Wahrscheinlichkeit wieder in unternehmerische Direktbeteiligungen zu investieren.

Best-Owner- vs. Better-New-Owner-Prinzip

Zahlreiche Unternehmerfamilien begeben sich in einen Selbstreflexionsprozess, in dem sich insbesondere vor dem Hintergrund der Nachfolge und im zunehmenden Austausch mit internen und externen Stakeholdern die grundsätzliche Frage stellt: „Sind wir noch der beste Eigentümer für unser Familienunternehmen, oder brauchen wir für die zukünftige Absicherung des Familienunternehmens und unseres unternehmerischen Vermächtnisses einen neuen, besseren Eigentümer?“ Diese und ähnliche Fragen resultieren in einem veränderten Selbstverständnis – von affektiv-emotionalen Entscheidungs- und Verhaltensweisen hin zu reflektierten, rational differenzierten, verantwortungsbewussten Entscheidungs- und Verhaltensweisen.

Eine oft unterschätzte Gefahr ist die Vermögens- beziehungsweise die Risikokonzentration im originären Familienunternehmen. Diese entsteht oft über jahrzehntelange Thesaurierungs- und Investitionsprozesse in wirtschaftlich prosperierenden Zeiten, in denen das originäre Familienunternehmen die beste Anlage darstellt. In konsolidierenden, margenschwachen Märkten mit intensivem internationalem Wettbewerb geraten viele Familienunternehmen unter Druck. Aus Sicht der Inhaberfamilie resultiert dies in einem asymmetrischen Risikoprofil, da das Familienunternehmen keine risikoadäquaten unternehmerischen Renditen mehr erzielt. Mit dem Verkauf besteht für die Familie die Möglichkeit, eine angefallene Risikokonzentration aufzulösen und das generierte Family-Equity in ein quasidiversifiziertes Portfolio mit einem angemessenen Risikoprofil und risikoadjustierten Renditen entsprechend dem individuellen Anforderungsprofil zu reallokieren.

Nur wenige Unternehmerfamilien schaffen es, generationenübergreifend erfolgreich zu sein. Erfolgreich sein bedeutet in diesem Kontext, dass jede nachfolgende Familiengeneration auf Basis des übergebenen Family-Equity-Potentials neue unternehmerische Wertgenerierungszyklen initiiert, realisiert und das Family-Equity-Potential nach jeder Generation größer ist als in der Generation zuvor – und das nach Abzug von Steuern, Konsum und Inflation. Analysiert man bekannte deutsche Unternehmerfamilien anhand dieser Erfolgsdefinition, so findet man in der Tat nur einige wenige, denen generationenübergreifendes Unternehmertum konsekutiv erfolgreich gelingt. Beispiele sind die Unternehmerfamilien Quandt und Reimann. Ihnen gelingt es, den Family-Equity-Generierungsprozess von Generation zu Generation über verschiedene Aktivitäten hinweg aufrechtzuerhalten.

Nach dem Unternehmensverkauf: hin zur Unternehmerfamilie

Um generationenübergreifendes Unternehmertum zu initiieren, muss ein Transformationsprozess von der Inhaberfamilie des originären Familienunternehmens hin zu einer Unternehmerfamilie beziehungsweise zu einem Familieninvestor stattfinden. Denn nicht jeder erfolgreiche Unternehmer ist selbstverständlich auch ein erfolgreicher unternehmerischer Investor. Die Transformation ist notwendig, da sich die Anforderungsprofile einer Inhaberfamilie und einer Unternehmerfamilie grundsätzlich unterscheiden. Während im Rahmen des Familienunternehmens langjährige Branchenerfahrung und erfolgskritisches Wissen um das eigene Geschäftsmodell, die Wertschöpfung, Produkte und Kernmärkte von essentieller Bedeutung waren, gewinnen Investment- und Finanzierungsexpertise sowie Erfahrung nach dem Verkauf des Familienunternehmens in der Unternehmerfamilie an Bedeutung. Vorhergehende unternehmerische Erfahrungen, Industrie- und Branchen-Know-how, Netzwerke sowie die Erfahrungen und Lern­effekte aus dem Unternehmensverkauf erweisen sich im Re-Investitionsprozess in Direktbeteiligungen regelmäßig als hilfreich. Erfolgreiche Familieninvestoren zeichnet laut qualitativer Aussagen der Studienteilnehmer aus, dass sie „das Beste aus beiden Welten vereinen“, das heißt, unternehmerische Chancen erkennen und diese höchst professionalisiert mit entsprechendem Know-how umsetzen. Sozio-emotionale Ziele können hierbei weiter eine wichtige Rolle spielen, müssen dies aber nicht unbedingt.

Dr. Philipp Bierl ist Affiliated Researcher am Institut für Familienunternehmen der WHU – Otto Beisheim School of Management.

Foto: WHU

Nach dem Verkauf gründen Unternehmerfamilien in der Regel ein Single Family Office (SFO) als Nachfolgeorganisation, um den Verkaufserlös aufzunehmen und um eine entsprechende Vermögensverwaltung für die beteiligten Familienmitglieder einzurichten. Diese war traditionell meist von passiver Natur und wenig unternehmerisch. Ab dem Jahr 2000 und noch einmal verstärkt ab 2010 sind nach einer Reihe von Unternehmensverkäufen zahlreiche Single Family Offices entstanden, die aktiv sowohl in Start-ups als auch in unternehmerische Direktbeteiligungen investieren. Die Institutionalisierung und Re-Allokation erfolgt meist über SFO-Strukturen, die entsprechend der Ressourcen und Fähigkeiten der Unternehmerfamilie organisiert und ausgestaltet sind. Somit fungieren Single Family Offices wieder als neuer unternehmerischer Nukleus, aus dem heraus quasidiversifizierte unternehmerische Portfolios entstehen. Eines der prominentesten Beispiele ist wiederum die Unternehmerfamilie Reimann, die während und nach der sukzessiven Veräußerung ihrer Anteile an Reckitt Benckiser über ihre Beteiligungsgesellschaft JAB Holding zahlreiche neue Beteiligungen erworben und konsolidiert hat.

Wirtschaftlich betrachtet, fungieren unternehmerische Direktbeteiligungen als neue unternehmerische Wachstums- und Wertgenerierungsmechanismen. Die Beteiligungen werden meist langfristig durch die Unternehmerfamilie erworben, entwickelt und selektiv wieder veräußert. Family-Equity-Investitionen unterscheiden sich grundsätzlich von Private-Equity-Investitionen beziehungsweise dem Leveraged-Buy-out-Geschäftsmodell, da Family-Equity-Investitionen langfristig, ohne Ex-ante-Verkaufsprämisse und meist ohne oder nur mit geringem Leverage durchgeführt werden. Die Wertgenerierung erfolgt nicht durch Financial Engineering, sondern durch unternehmerische organische Wertschöpfung. Die Risikoorientierung bei Family-Equity-Investitionen bleibt im Zeitverlauf weitgehend neutral, während bei Private Equity die Risikoorientierung mit jedem zurückgezahlten Euro Fremdfinanzierung sukzessive abnimmt, um die Risikoexponierung zu minimieren und am Laufzeitende die prinzipalen Investoren bedienen zu können.

Neue sozio-emotionale Ziele

Aus der Perspektive der Unternehmerfamilie kommt unternehmerischen Direktbeteiligungen zum Teil eine wichtige emotionale Rolle als affektive Reflektionsobjekte für die Umsetzung der sozio-emotionalen Ziele der Familie zu. Oftmals ziehen Unternehmerfamilien aus ihren Direktbeteiligungen auch wieder neue unternehmerische Identität als Unternehmerfamilie. Durch den Verkauf des originären Familienunternehmens entsteht oft ein steuerlicher Strukturzwang, der eine Re-Allokation in Sachwerte zwingend notwendig macht, sofern die Unternehmerfamilie die Steuerlast auf den Verkaufserlös möglichst gering halten will. Um das unternehmerische Vermögen der Familie langfristig zu erhalten, sind insbesondere im aktuellen Umfeld, das geprägt ist durch die Asset-Price-Inflation und das anhaltende Niedrigzinsumfeld, unternehmerische Renditen notwendig, um einer Vermögenserosion durch Steuern, Inflation und Konsum entgegenzuwirken.

Darüber hinaus kommt unternehmerischen Direktbeteiligungen eine wichtige Rolle in der Nachfolge zu. Sie bilden quasi die generationenübergreifende Klammer zwischen der aktuellen und der kommenden Generation, insbesondere dann, wenn sie langfristig oder unbegrenzt von der Unternehmerfamilie gehalten werden. Die nächste Generation hat die Möglichkeit, sich sukzessive unternehmerisch einzubringen und Erfahrung zu sammeln.

Auch wenn unternehmerische Direktbeteiligungen grundsätzlich einen notwendigen und geeigneten Baustein für erfolgreiches generationenübergreifendes Unternehmertum darstellen, sind sie nicht zwangsläufig für jede Unternehmerfamilie geeignet. Daher ist ein Engagement in unternehmerische Direktbeteiligungen seitens der Unternehmerfamilie vor allem vor dem Hintergrund der Vermögensgröße genau abzuwägen.

Dr. Philipp Bierl, M.A. LL.M. (M&A) ist Affiliated Researcher, Prof. Dr. Nadine Kammerlander ist Lehrstuhlinhaberin, beide am Institut für Familienunternehmen, Lehrstuhl für Familienunternehmen der WHU – Otto Beisheim School of Management.

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