Mit einer zerschlitzten Leinwand, so will es die Legende, wollte Verlegersohn Frieder Burda vor fast 50 Jahren seine Eltern Franz und Aenne schockieren. Seitdem hat er eine Privatsammlung aufgebaut, die zu den bedeutendsten in Deutschland zählt. Mit seiner Stieftochter Patricia Kamp übernimmt nun die nächste Generation künstlerische Verantwortung für die Sammlung. Wohin wird sie das Erbe führen?

Patricia Kamp zählt Stecker. Um die 20 Stück, so überschlägt sie, wird es geben in der Ausstellung, die am 8. Juli im Museum Frieder Burda in Baden-Baden eröffnet. Gezeigt werden monumentale Leuchtkästen des kanadischen Konzeptkünstlers Rodney Graham. Dabei bestehen die Werke zum Teil aus mehreren Elementen, von denen jedes einen eigenen Elektroanschluss hat. Noch mehr Stecker also. Doch warum sollte das relevant sein in Zeiten, in denen Kunst und Künstler rasend schnell alle zur Verfügung stehenden Medien erobern?

„Ich schätze keine Kunst, die einen Stecker braucht“ – mit dieser oder ähnlichen Aussagen ist Frieder Burda (81) schon oft zitiert worden. Patricia Kamp (36) lächelt, wenn sie darüber spricht. Natürlich plant sie die Rodney-Graham-Ausstellung mit seinem Einverständnis. Das Zitat stammt aus vergangenen Tagen; es spiegelt längst nicht mehr die aktuelle Einstellung Frieder Burdas zu Werken, die keine Fotos oder Leinwände sind. Heute lässt sich diese Aussage viel eher als Beleg für die Offenheit und die Veränderungsbereitschaft sehen, die Frieder Burda als Sammler über die Jahre bewiesen hat – und für die neuen Impulse, die Patricia Kamp in Sammlung und Museum ihres Stiefvaters bringt.

Die Stiftungsgründung und das Museum Frieder Burda

Frieder Burda wird 1936 als zweiter von drei Söhnen des Verlegerehepaares Franz und Aenne Burda geboren. Das Verhältnis zu seinen erfolgs- und aufstiegsorientierten Eltern ist nicht unproblematisch, schreibt Stefan Koldehoff 2011 in seiner Biografie über den Sammler. Als Kind stottert Frieder, er ist Legastheniker und in der Schule eher schwach. Sein Vater beschließt, dass er nicht das Abitur versuchen, sondern stattdessen gleich eine kaufmännische Ausbildung im „Verlag Aenne Burda“ machen soll. Sein Weg als Unternehmerkind ist vorgezeichnet. Es folgen eine Lehre zum Drucker und Einsätze im Ausland, schließlich bekommt er vom Vater die Verantwortung für eine kleine Druckerei in Darmstadt übertragen. Zur Überraschung Franz Burdas bewährt Frieder sich dort. 1973 beruft der Vater ihn als Finanzverantwortlichen in die Zentrale nach Offenburg.

Mit Kunst kommt Frieder Burda schon in seinem Elternhaus in Berührung. Das Verlegerpaar sammelt vor allem Werke deutscher Expressionisten wie Ernst Ludwig Kirchner, August Macke und Karl Schmidt-Rottluff. Erst während eines USA-Aufenthaltes kommt der Sohn in näheren Kontakt mit zeitgenössischen Werken des sogenannten abstrakten Expressionismus, etwa von Jackson Pollock, Willem de Kooning und Clifford Still. Sein erstes eigenes Bild kauft er – mit vom Vater geliehenem Geld – für 3.500 D-Mark im Sommer 1968 auf der Documenta in Kassel: eine große rote Leinwand des italienischen Malers Lucio Fontana, in die der Künstler große, schwarze „Wunden“ geschlitzt hat. Dass Burda sich ausgerechnet für dieses Werk, quasi das mutwillig zerstörte klassische Tafelbild, begeistert, wird rückblickend oft als Protest gegen die Eltern, als Schritt auf dem Weg der Emanzipation von der Familie und ihren Erwartungen gewertet. Als Franz Burda 1986 stirbt, übernimmt der jüngste Sohn Hubert den wachsenden Konzern, der heute rund 10.000 Mitarbeiter hat und zuletzt mehr als 2 Milliarden Euro Umsatz schrieb. Frieder Burda erbt wie sein älterer Bruder Franz ein Beteiligungspaket – und verstärkt sein Engagement als Kunstsammler.

Info

Viel Glas, klare Linien, weiße Flächen – die moderne Architektur des Museum Frieder Burda von Star-Architekt Richard Meier mutet ganz anders an als viele andere repräsentative Gebäude der Stadt, etwa die neoklassizistische Staatliche Kunsthalle gleich nebenan. Und doch hat das „Geschenk“ Frieder Burdas an seine Heimatstadt längst die Herz der Einheimischen gewonnen. Bau und Betrieb des Museums waren und sind die Hauptaufgabe der Stiftung Frieder Burda. Die Stiftungsgründung erfolgte 1998. Das Museum wird nicht in einer Dauerausstellung, sondern mit wechselnden Themen bespielt.

Der Fontana bildet den Ausgangspunkt für eine umfangreiche Privatsammlung, die heute rund 1.000 Werke moderner und zeitgenössischer Kunst umfasst, darunter Skulpturen, Objekte, Fotografien und Arbeiten auf Papier. Einen besonderen Stellenwert für die Sammlung haben monographische Werkgruppen von Gerhard Richter, mit dem Frieder Burda gut befreundet ist, sowie von Sigmar Polke und Georg Baselitz. 1998 gründet er eine eigene Stiftung zur Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft. 2003 wird der Grundstein für das Museum Frieder Burda in seiner Heimatstadt Baden-Baden gelegt. Der Entwurf stammt von dem amerikanischen Architekten Richard Meier, der bereits für Museen wie das Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt und das Museum für Zeitgenössische Kunst in Barcelona verantwortlich zeichnet. Das Grundstück an der Lichtentaler Allee in Baden-Baden überlässt die Stadt Frieder Burda in Erbpacht, den 20-Millionen-Euro-Bau finanziert er aus eigenen Mitteln, ebenso die laufenden Kosten. „Es war immer ein zentrales Anliegen meines Stiefvaters, den Menschen mit Kunst eine Freude zu machen“, sagt Patricia Burda heute. Das Museum sei für ihn der entscheidende Schritt gewesen, um eine breite Zielgruppe zu erreichen – das sollte sich auch in der Architektur widerspiegeln. In Vorbereitung auf den Bau in Baden-Baden sind beide gezielt zu privaten Sammlungen in die USA gefahren. „Was Kunst betrifft, gibt es kein Richtig oder Falsch. Jeder nähert sich einem Werk vor seinem eigenen Erfahrungshorizont. Zugleich findet man über das Werk ein Gespräch, ein gemeinsames Thema – selbst wenn man gar nicht den gleichen Hintergrund hat.“

Patricia Kamp: Neue Nachfolgeperspektive

Dass er in Patricia Kamp einmal eine Nachfolgerin finden könnte, die seine Einstellung teilt und zugleich aus der eigenen Familie stammt, war für Frieder Burda lange nicht absehbar. Seine ersten beiden Ehen blieben kinderlos. Das änderte sich erst mit seiner dritten Frau, der verwitweten Elke Kamp. Beide kennen sich schon lange, seit 2000 sind sie offiziell ein Paar, 2003 folgte die Hochzeit. Aus erster Ehe bringt Elke Kamp vier Kinder mit. Für Frieder Burda ergeben sich dadurch ungeahnte Möglichkeiten: Er kann die Stiftung zu einem Familienunternehmen zu machen. Elke Burda sitzt heute im Vorstand wie auch im Kuratorium und verantwortet im Museum Frieder Burda zahlreiche gestalterische Aufgaben, von der Entwicklung des Logos bis hin zum handverlesenen und hochwertigen Sortiment des Museumsshops. Ihr älterer Sohn Dominic ist parallel zu seiner Tätigkeit bei einem Schweizer Bankhaus Mitglied des Stiftungsvorstandes und könnte sich, so hat Frieder Burda schon mehrfach erklärt, in Zukunft um die Finanzen der Stiftung kümmern. Elke Burdas älteste Tochter Patricia kennt Frieder Burda, seit sie 16 ist. „Ich stamme aus einem künstlerischen Umfeld“, sagt sie. Die Mutter ist Modedesignerin, und auch der früh verstorbene Vater sei „Künstler durch und durch“ gewesen. Patricia will zunächst Kunst studieren, schwenkt dann aber doch auf Kunstgeschichte um – „etwas Solides“, sagt sie lächelnd. Sie studiert in Paris und in New York, macht ihren Master in zeitgenössischer Kunst in London. Zugleich bleibt sie eng verbunden mit der aktuellen Kunstszene, besucht so viele Ausstellungen und Messen wie möglich, ist mit vielen Künstlern persönlich befreundet.

Auch von Außen eine Augenweide: das Museum Frieder Burda

Foto: Museum Frieder Burda, Baden-Baden

„Mein Kunstverständnis fing nicht erst im Hause Burda an“, sagt Patricia Kamp. Die über die Jahre zunehmende Arbeit an und mit der Sammlung sieht sie als Perspektivwechsel: von der künstlerischen Seite hin auf die des Sammlers. Dabei bringt sie ihre eigene Sicht immer mit ein. Seit 2009/10 kuratiert sie Ausstellungen für das Museum in Baden-Baden, darunter ein Projekt mit dem französischen Street-Art-Künstler JR, der das Thema der deutsch-französischen Freundschaft in den gesamten Stadtraum hineintrug. Ihre ganz eigene Handschrift als künstlerische Leiterin trägt auch der „Salon Berlin“, eine kleinere Ausstellungsfläche, die sie Ende 2016 als Schau- und Projektraum des Museums Frieder Burda in der Hauptstadt eröffnet hat. Der Salon vereint zwei von Patricia Kamps Hauptanliegen: In Berlin ist die Kunstszene so lebendig wie in wohl keiner anderen Stadt Deutschlands, und als Satellit der Baden-Badener Sammlung kann der Salon in Berlin ein neues, vielfältiges Publikum erreichen.

Patricia Kamps Anliegen ist es, immer wieder mit der Kunst eine Plattform für Begegnungen und Zusammenarbeit zu schaffen. Sammeln ist für sie mehr als Aneignung und Präsentation von Kunst. Es geht ihr vor allem auch um ein damit verbundenes soziales und politisches Engagement. „In unserer heutigen Welt kann man das nicht mehr nur anderen überlassen“, sagt sie. „Man muss selbst Verantwortung übernehmen, auf unsere Welt achten und ihr und den hier lebenden Menschen respektvoll begegnen.“ Und so ist auch ihr Einsatz für eine stärkere Vernetzung internationaler Privatsammlungen zu verstehen, der sie aktuell umtreibt. Nur so, sagt Kamp, könne deren kulturelle wie soziale Bedeutung, ja ihre Verantwortung für die Zukunft wirkungsvoll ausgebaut werden.

Die Rodney-Graham-Ausstellung wird der nächste Schritt sein auf ihrem eigenständigen Weg mit der Sammlung ihres Stiefvaters – trotz aller früheren Vorbehalte des Sammlers gegenüber elektrifizierten Werken. Patricia Kamp schätzt an ihrem Stiefvater, der bei wichtigen Entscheidungen nach wie vor das letzte Wort hat, besonders seine Offenheit für die Standpunkte anderer: „Er hört zu und scheut sich nicht, seine Meinung zu ändern.“ Oft findet er Gefallen an Werken, die Patricia entdeckt hat. Anlässlich der kommenden Ausstellung hat er sogar zwei der Werke Rodney Grahams – mit Stecker – für die Sammlung erworben. „Ankäufe hängen eng mit Ausstellungen zusammen“, sagt Kamp. „Bei großen Ausstellungen besprechen wir uns natürlich. Wenn ihm etwas gar nicht gefällt, werde ich den Teufel tun, damit durchzupreschen.“

Persönliche Lösungen

Patricia Kamp hat sich bewusst für die Arbeit in der Sammlung entschieden. Seit 2016 ist sie Vorsitzendes des Kunstbeirates des Stiftungskuratoriums, der über den künstlerischen Kurs und auch Neuerwerbungen berät. Sie vertritt ihren Stiefvater, der sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, auf Messen und Veranstaltungen in künstlerischen Fragen. Die Gesamtverantwortung für das Museum liegt bei Museumsdirektor Henning Schaper. „Wenn ich etwas grundsätzlich anderes machen wollte, würde ich das tun – aber nicht hier“, sagt Kamp. In ihrem Wunsch nach Authentizität und der Fortsetzung des Werks ihres Stiefvaters sieht sie keinen Widerspruch: „Eine Privatsammlung ist ja, wie der Name sagt, etwas Persönliches. Wie sollte es anders fortgesetzt werden als durch subjektive Ansichten und private Obsession?“

Im eigentlichen Sinne beerben wird Patricia Kamp Frieder Burda wohl nicht. Der Sammler hat in den vergangenen Jahren wiederholt darüber gesprochen, dass die Stiftung seine Alleinerbin sein soll. „Ich kann meiner Familie doch nicht die Bilder hinterlassen“, sagte er 2014 dem „Handelsblatt“. „Rechnen Sie bei den aktuellen Richter-Höchstpreisen mal aus, was da bei 30 Gemälden für astronomische Summen an Erbschaftsteuer herauskämen. Das würde auch den Ruin dieses Museums bedeutet.“ Zugleich ist die Sammlung Frieder Burda heute viel mehr als die Summe der Beträge, auf die die Werke jeweils geschätzt werden. Diese Idee in die Zukunft zu tragen wird eine ungleich größere Herausforderung sein, als reine finanzielle oder Sachwerte es sein könnten.

Aktuelle Beiträge